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Die Zeit freiwilliger Unternehmensverantwortung ist vorbei

Die Zeit bloß freiwilliger Unternehmensverantwortung ist vorbei. Ein gesetzlicher Rahmen muss her, um gewissenloses Gewinnstreben auch bei deutschen Unternehmen künftig zu unterbinden. Dies fordert die „Initiative Lieferkettengesetz“, die am 10. September 2019 in Berlin vorgestellt wurde.

In einer Petition an Bundeskanzlerin Merkel fordert die Initiative ein Gesetz, das deutsche Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umwelt auch in ihren Auslandsgeschäften verpflichtet, kurz: ein Lieferkettengesetz. „Wirtschaft darf nicht töten“, forderte Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel auf der Auftaktpressekonferenz. Die Initiative zählt insgesamt 64 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Misereor, Brot für die Welt, BUND, der DGB, Germanwatch, Greenpeace, Oxfam und Verdi.

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Konkret müssten Unternehmen im Falle einer solchen  gesetzlichen „Sorgfaltspflicht“ die menschenrechtlichen und ökologischen Risiken in ihren Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen regelmäßig untersuchen, Vorbeugemaßnahmen ergreifen, transparent berichten, Beschwerdemechanismen einrichten und für Betroffene Abhilfe schaffen. Unternehmen, die diese Anforderungen nicht erfüllen, würden mit einem Bußgeld belegt und vorübergehend von öffentlichen Aufträgen und der Außenwirtschaftsförderung ausgeschlossen. Wenn Unternehmen durch Missachtung der Sorgfaltspflicht vermeidbare und vorhersehbare Schäden mitverursachen, sollen Betroffene die Möglichkeit erhalten, sie auch vor deutschen Zivilgerichten auf Schadensersatz zu verklagen.

Anlass zum Start der Initiative war der siebte Jahrestag der verheerenden Brandkatastrophe in der pakistanischen Textilfabrik Ali Enterprise. 258 Näherinnen kamen damals ums Leben, weil Fenster vergittert, Feuerlöscher defekt waren und Notausgänge ins Nichts führten. Hauptkunde war der deutsche Textildiscounter KiK, der trotz regelmäßiger Audits die Brandschutzmängel angeblich nicht erkannt und daher nicht beanstandet hatte. Vier Betroffene verklagten KiK beim Dortmunder Landgericht auf je 30.000 Euro Schmerzensgeld. Im Januar 2019 wurde die Klage jedoch abgewiesen: nur eins von vielen Beispielen, wo deutsche Unternehmen – auch mangels einer gesetzlichen Sorgfaltspflicht im deutschen Recht – für ihren Beitrag zu Menschenrechtsverletzungen nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte. 

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© Initiative Lieferkettengesetz

Mit symbolischen Grabsteinen gedachten die Träger und Unterstützer der Initiative vor dem Bundeskanzleramt der pakistanischen Näherinnen, aber auch des Massakers an 34 Bergarbeitern einer Platinmine im südafrikanischen Marikana im August 2012. BASF war zum Zeitpunkt des Massakers Hauptkunde der südafrikanischen Platinmine und bezieht von dort jährlich immer noch Platin im Wert von 600 Millionen Euro, um Katalysatoren für die deutsche Automobilindustrie zu beschichten.

Sie gedachten auch der 272 Opfer des Dammbruchs einer Eisenerzmine des Bergbaukonzerns VALE im brasilianischen Brumadinho im Januar 2019.  Zu den besten Kunden von VALE gehört der deutsche ThyssenKrupp-Konzern mit einem Abnahmevolumen von fast 40 Millionen Tonnen Eisenerz allein zwischen 2016 und 2018. Im Jahr 2017 entsprachen die Einkäufe von ThyssenKrupp bei VALE einem Drittel der gesamten deutschen Eisenerzimporte. Eine schwere Mitverantwortung an dem Umwelt- und Menschenrechtsverbrechen von Brumadinho trifft insbesondere den TÜV Süd, dessen brasilianische Tochter wenige Monate zuvor die Sicherheit des Damms zertifiziert hatte. Dabei waren die hohen Sicherheitsrisiken den Prüfern laut der zuständigen Staatsanwaltschaft in Brasilien durchaus bewusst. Das Motiv für die Zertifizierung sieht die Staatsanwaltschaft in der damaligen Sorge, künftige lukrative Aufträge von VALE zu verlieren.

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„Gegen Gewinne ohne Gewissen hilft nur ein gesetzlicher Rahmen“, so die Überzeugung der Träger der neu gestarteten Initiative. Dass der deutsche Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte von 2016 keine gesetzliche Regelung vorsieht, „können unsere Partner und wir als Misereor weder nachvollziehen noch akzeptieren“, so Pirmin Spiegel. Zwar begrüßte er, dass die Bundesregierung die menschenrechtliche Sorgfalt deutscher Unternehmen aktuell einem Monitoring unterzieht, bemängelte aber zugleich dessen schwache Methodik. Gewertet werden dabei nur Unternehmen, die sich an der Befragung freiwillig beteiligen. Die Plausibilität ihrer Antworten wird nur oberflächlich überprüft. Zudem wurden auf Druck des Bundeswirtschaftsministeriums neben den Erfüllern und Nicht-Erfüllern der menschenrechtlichen Sorgfalt Zwischenkategorien von Fast-Erfüllern und Bald-Erfüllern eingeführt, welche das Ergebnis verwischen und letztendlich schönfärben.

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© Initiative Lieferkettengesetz

Spiegel kritisierte auch den Grundansatz des Nationalen Aktionsplans, wonach ein Gesetz nur dann erwogen wird, wenn weniger als die Hälfte der untersuchten Unternehmen bis 2020 ihre Sorgfaltspflichten umsetzen. Diese Logik hatte auch der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in seiner Beurteilung des deutschen Staatenberichts 2018 zurückgewiesen. „Es reicht nicht, wenn 50 oder auch 90 Prozent der Unternehmen die Menschenrechte achten“, betont auch Pirmin Spiegel. „Menschenrechte sind nicht quantifizierbar.“ Immerhin: Im geltenden Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist von der 50-Prozent-Quote keine Rede. Dort heißt es, dass die Bundesregierung „auf nationaler Ebene gesetzlich tätig“ wird, falls sich das Prinzip der Freiwilligkeit als unzureichend erweisen sollte. Dazu bedarf es allerdings vor dem Hintergrund zahlreicher Fallbeispiele keines Monitorings mehr.

Die Erfolgsaussichten der Initiative stehen also nicht schlecht. Die Unterstützung für eine gesetzliche Regelung ist in den letzten Jahren in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kontinuierlich gewachsen. So hat sich Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) bereits mehrfach für ein Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht in Wertschöpfungsketten ausgesprochen und sogar einen Gesetzesentwurf erarbeiten lassen. Für verbindliche Regeln auf nationaler und EU-Ebene hat sich auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ausgesprochen.

Massiver Widerstand kommt hingegen von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Dieser handelt allerdings in einem falsch verstandenen Interesse der deutschen Wirtschaft. Während Unternehmensverbände wie BDA und BDI gegen ein Gesetz polemisieren, haben sich fortschrittlichere Unternehmen wie Tchibo und Vaude, aber auch Daimler, BMW und sogar KiK offen für eine verbindliche Regulierung gezeigt. In den kommenden Monaten wird die Initiative Lieferkettengesetz zeigen, dass eine gesellschaftliche Mehrheit nicht länger bereit ist, Gewinne ohne Gewissen zu akzeptieren. Dies darf auch die Bundesregierung nicht länger ignorieren.


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Mehr zur Kampagne „Initiative Lieferkettengesetz“

Die Initiative Lieferkettengesetz ist ein Zusammenschluss vieler Organisationen mit einem gemeinsamen Ziel: eine Welt, in der Unternehmen Menschenrechte achten und Umweltzerstörung vermeiden – auch im Ausland. Zur Kampagne >

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Ansprechpartnerportrait

Armin Paasch ist Experte für Verantwortliches Wirtschaften und Menschenrechte bei Misereor.

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