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Essen von Herzen, Essen mit Herzen – die Cuisine du Coeur

Pampanaaa!“, ruft unser Freund und Kollege Oscar durch den Lärm der lachenden und tuschelnden Kinder. „Paaaa!“, schallt es zurück und augenblicklich herrscht Ruhe. Denn – was immer es auch heißen soll, keiner weiß es so genau – Pampana ist hier bei uns das Stichwort.

Bevor das Buffet eröffnet wird, berichten einige der Kinder und Jugendlichen noch von ihrer Woche – Geschichten, die uns teils zum Nachdenken, teils herzlich zum Lachen bringen. Anschließend beten wir gemeinsam. Dann endlich dürfen sich alle anstellen. Lächelnd teilen Charlotte und ich, unsere Freundin und ebenfalls Freiwillige Selina, sowie Ganzungu, einer der Köche bei VJN, das typisch afrikanische Essen aus – Kartoffelchips, Reis, Bohnen, Möhrengemüse, eine weiße, formbare Masse aus Maismehl und rote Tomatensoße.

In gemeinsamer Runde sitzen die Kinder und essen. Als ich mich zu einem der Kleinen geselle, steckt mir dieser eine Kartoffelecke in den Mund; grinsend und mit vollen Backen: „Muryoherwe – bon appetit, Yasmini!“

Den aufgeblähten Bauch im Anschluss stolz präsentieren, stellen die satten Teilnehmer ihre Teller auf einen Haufen, bevor sie sich nochmals in einem großen Kreis für ein Abschlussspiel treffen. Wer gewinnt, darf beim nächsten Mal den Anfang der Essensschlange bilden.

Seit einigen Wochen sieht so ein ganz normaler Donnerstagabend bei ca. 60 Straßenkindern, die regelmäßig ins Centre Culturel kommen, aus – und bei uns. „Cuisine du Coeur“ heißt das neue Projekt, das Charlotte, ich und eine weitere Gisenyi-Freiwillige ins Leben gerufen haben: eine Küche, die von Herzen kommt.

Die Idee eines Essensprojektes kam nicht von ungefähr. Wer wie wir an einem Ort arbeitet, an dem viele Kinder auf der Straße leben, und sich zudem noch dafür entscheidet, dieser Zielgruppe einen großen Bereich seiner Tätigkeit zu widmen, kommt nicht umhin, mitzubekommen, dass die ständige Suche nach Essen, der Kampf ums alleinige Überleben ohne Dach überm Kopf, für die Kinder im Zentrum ihres Lebens steht – und das noch lange vor dem Sport, dem sie bei Vision Jeunesse Nouvelle aufgrund des Hungers nicht immer so nachgehen können, wie sie wollen.

Die Gründe dafür, dass in Ruanda so viele Jungen und Mädchen bereits im frühen Alter auf der Straße leben, sind ganz individuell: während einige einfach der grenzenlosen Armut des Elternhauses entfliehen wollen, in der Hoffnung, allein besser durchzukommen, werden andere beispielsweise vom neuen Ehemann der Mutter nicht als Sohn oder Tochter akzeptiert und so gezwungenermaßen von Zuhause verstoßen. Wiederrum andere haben gar keine verbliebenen Verwandten mehr, nichts.

Diese Tatsache hat schon viele Freiwillige vor uns berührt und nachdenklich gestimmt. Nicht umsonst bestehen so Projekte wie „Cinema Culturel“, d.h. einmal pro Woche „Kino“ für die Kinder und Jugendlichen bei VJN, und seit einigen Jahren außerdem „Noel des Enfants“, was soviel wie „Weihnachten der Kinder“ bedeutet und das auch wir dieses Jahr geleitet haben. Mithilfe von Spenden aus der Heimat, durch Freunde, Bekannte und Familie, konnte so den Straßenkindern aus Gisenyi eine Woche Ferienprogramm im Dezember ermöglicht werden, in der sie verschiedenen Workshops – moderner Tanz, Akrobatik, Kunst, Theater, Musik und Sport – nachgehen konnten. Ende dieser Zeit bildete ein gemeinsames Weihnachtsfest, an dem das in den Gruppen Einstudierte auf der Bühne zur Schau gestellt wurde, es eine große Bescherung und anschließend kostenlos Buffet für alle Teilnehmer gab.

Wir waren uns nach diesen Tagen einig, dass es ein gelungenes Weihnachten für die Kinder gewesen war – auch wenn alles völlig anders gelaufen war als geplant. Angefangen hatte das Chaos damit, dass uns eine halbe Woche zuvor erst so richtig bewusst wurde, was beim Noel des Enfants noch alles an Planung vor uns lag. Dazu kam, dass wir uns aufgrund eines Missverständnisses mit VJN und Misereor kurz vor Beginn ohne jegliche finanzielle Mittel zur Verfügung fanden und in letzter Sekunde einen verzweifelten Hilferuf nach Deutschland starteten.

Niemals hätten wir damit gerechnet, dass dieser Aufruf so viele unserer Freunde und Familienmitglieder dazu bewegen würde, zu spenden. Und niemals hätten wir gedacht, dass aus der geplanten Teilnehmerzahl von maximal 60 Kindern und Jugendlichen schon am zweiten Tag umfangreiche 200 werden würden, und dass das Projekt trotzdem so gut verlaufen könnte, wie es es letztendlich tat.

Fazit des Ganzen: Am Ende dieser Tage fanden wir uns noch mit mehr als Dreiviertel der Spenden wieder, und überlegten, wie wir sie sinnvoll nutzen könnten. Da wir den Spendern aus Deutschland versprochen hatten, dass das Geld für die Straßenkinder verwendet werden würde, war für uns klar, dass wir ihnen noch etwas Gutes tun wollten. Und plötzlich ergab sich für die Essensidee, die uns schon seit Monaten durch den Kopf spukte, eine ganz neue Möglichkeit. Also stellten wir unserem Chef unser Konzept der Cuisine du Coeur vor.

Im Prinzip handelt es sich dabei um eine Chance für die Straßenkinder von VJN, einmal pro Woche eine kostenlose Mahlzeit in Gemeinschaft zu erhalten. Höchstgrenze der Teilnehmer, die auf einer Liste festgehalten werden, regelmäßige Teilnehmer im Centre Culturel sein und das Alter von 18 Jahren nicht überschreiten sollten, sind 60. Sehen wir, das ein Kind jede Woche essen kann, während dafür ein anderes in einer ähnlich armen Lage keine Möglichkeit erhält, dabei zu sein, so ist auch die Häufigkeit der Teilnahme ausschlaggebend. Das war bisher aber zum Glück nicht der Fall.

Die Essenstafel, die seit Mitte Januar jeden Donnerstag gegen 17.30 Uhr stattfindet, soll aber nicht nur den Zweck des Sattwerdens von etwa 60 Kindern haben. Idee hinter dem gemeinsamen Abendessen ist es außerdem, einfach mal Gemeinschaft zu genießen, sich auf das, was sein Gegenüber in den letzten Wochen bewegt hat, einzulassen, und einmal dem unangenehmen Gedanken an Essen als „Überlebensmittel“ zu entfliehen. Denn für uns in Deutschland sind Lebensmittel längst nicht mehr ausschließlich etwas „Lebensnotwendiges“ – sie sind auch Genussmittel; etwas, das man oft gemeinsam genießt und worüber man sich keine Sorgen machen muss. Satt werden ist für uns etwas völlig Normales.

Dieses Gefühl einer genussvollen Mahlzeit sollten auch die Kinder in Gisenyi kennenlernen, und das am Besten in einer großen Gruppe, was ihnen zudem noch vermittelt, aufeinander zu achten und miteinander zu teilen. Oft treffen wir uns schon lange vor Beginn der Cuisine zum Fußballspielen, Malen oder Kartenspielen, und oft spielen wir auch nach dem Essen noch ein, zwei Gruppenspiele, singen oder tanzen zu altbekannten Kinderliedern und Animationen aus Ruanda. Uns Freiwilligen ist es wichtig, dass nicht nur das Essen dieses Projekt für die Kinder ausmacht, sondern auch die ganzen „Rituale“ davor und danach. So unter anderem kurz innezuhalten und über Erlebnisse nachzusinnen, Erfahrungen zu teilen, Dankbarkeit mittels Gebet auszudrücken und gemeinsam Freude zu empfinden. Die Kinder und Jugendlichen sind in jedem Fall begeistert vom Projekt und bitten uns teilweise noch immer, Fotos nach Deutschland zu senden und ihren Dank an die Spender zu übermitteln.

Die Zukunft der Cuisine du Coeur ist bislang unklar. Ursprüngliche Idee war es auch, die Kinder ins Kochen der Mahlzeiten zu integrieren, was sich bisher aber eher als schwierig herausstellte und von der Kantine von VJN übernommen wurde. Ob das Projekt auch nach unserem Freiwilligendienst bestehen kann, hängt davon ab, ob wir regelmäßige Spender finden, wer die Finanzen vor Ort in Gisenyi regelt und über welches Konto das Ganze geschieht. Vonseiten VJNs besteht zumindest Interesse an einem Fortführen der Essenstafel für die Straßenkinder. Das lassen wir aber einfach auf uns zukommen – wer weiß, was die Zukunft für die Cuisine bereithält.

Trotzdem, für unsere restliche Zeit in Ruanda schweben uns noch einige Ideen vor, wie wir das Projekt ausbauen können. So überlegen wir für besondere Festtage kleine Geschenke mit nutzbarem Wert für die Kinder bereitzustellen. Von Oscar kam zum Beispiel der Vorschlag, zu Ostern eine große Einheit zum Thema Zahnhygiene zu machen und danach Zahnbürsten und Zahnpasta an die Kinder zu verteilen.

Zahnbürsten für Kinder, denen nie eine Mutter, geschweige denn ein Arzt gezeigt hat, wie man sich ordentlich die Zähne putzt.

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Yasmin absolviert ihren Freiwilligendienst im Projekt Vision Jeunesse Nouvelle in Gisenyi, Ruanda.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Liebe Uta,
    vielen Dank für deine liebe Rückmeldung! Ja, wir sind echt stolz, wenn wir sehen, wie toll das Projekt läuft, und froh, dass wir es derzeit ermöglichen können. Nicht nur für die Kinder ist der Donnerstagabend inzwischen etwas ganz Besonderes geworden, auch wir freuen uns jede Woche aufs Neue darauf. Aber es ist auch tatsächlich so, dass Vision Jeunesse Nouvelle eine Organisation ist, in der man sich und seine Ideen verwirklichen kann. Deswegen gibt es hier auch schon so viele tolle Projekte, die von Freiwilligen initiiert wurden und noch immer bestehen. Bei unserem Projekt und dessen Zukunft ist das einzig ausschlaggebende Problem, dass es einer Finanzierung bedarf – und jemandem, der die Spenden verwaltet. Wir wollen uns auf jeden Fall dafür einsetzen, dass das irgendwie klappt und die Kinder weiterhin einen Tag in der Woche Gemeinschaft und gutes Essen genießen können.
    Ganz liebe Grüße aus Ruanda,
    Yasmin 🙂

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    Mensch Yasmin, ich bin total geplättet von dem, was ihr da auf die Beine gestellt habt!!! So eine tolle Idee. Da sieht man mal wieder, dass Freiwilligendienst eine richtig tolle Sache ist. Für beide Seiten. Du schreibst so begeistert und mit Herzblut, man merkt richtig, mit wieviel Spaß ihr beide bei der Sache seid. Ihr und eure Vorgänger/-innen bringt so viele neue Ideen in das Projekt ein. Das ist wirklich klasse. Und natürlich auch Geld. Aber man sieht ja mal wieder, dass die meisten Menschen sehr gerne für etwas spenden, von dem sie überzeugt sind und das Gefühl haben, unmittelbar etwas Gutes zu tun. Auch der für uns Deutsche „neue“ Umgang mit Essen, Lebensmitteln und Hunger ist eine wichtige Erfahrung für euch. Für das Projekt VJN und vor allem für die Straßenkinder ist es natürlich klasse, dass sie so direkt eine Verbesserung ihrer Lebenssituation erhalten. Nicht nur Essen, wie du schon schreibst, sondern auch Gemeinschaft. Für uns alle eine wichtige und bereichernde Erfahrung.
    Ich wünsche euch viel Glück bei der weiteren Planung eures Projekts.
    LG auch Aachen, Uta

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