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„Wir machen uns weltweit für die Rechte von Kindern stark“

Vor 21 Jahren gründeten die Tatort-Kommissare Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt gemeinsam den Verein „Tatort – Straßen der Welt“. Der Verein unterstützt unter anderem die Arbeit des Misereor-Partners Preda, eine Kinderrechtsorganisation auf den Philippinen. In Berlin trafen die Schauspieler Lino Cañete, der – unterstützt vom Tatort-Verein und Misereor – drei Jahre lang als Entwicklungshelfer bei Preda arbeitete. Ein Gespräch über Menschenrechte, Engagement und Chancengleichheit.

© Hartmut Schwarzbach | MISEREOR

© Klaus Mellenthin | Misereor

Herr Bär, Herr Behrendt, Sie haben den Tatort-Verein 1998 nach den Dreharbeiten für den Tatort „Manila“ gegründet. Welche Erfahrungen waren dafür ausschlaggebend?

Dietmar Bär: Es war der erste Tatort, der in Übersee gedreht wurde. Klaus und ich waren beide zum ersten Mal in Asien. Man kann sagen, dass wir damals ziemlich naiv nach Manila gereist sind. Und dann wurden wir mit diesem Elend konfrontiert, der extremen Armut, dem Leben in den Slums. Das hat unser gesamtes Team sehr berührt und dazu geführt, dass wir den Verein gegründet haben.

Klaus J. Behrendt: Bei den Dreharbeiten haben wir den irischen Pater Shay Cullen und seine Organisation Preda kennengelernt. Er setzt sich seit 40 Jahren für die Menschenrechte und vor allem gegen den Sextourismus auf den Philippinen ein. Unter großer persönlicher Gefahr recherchiert er im Rotlichtmilieu, entlarvt Kinderhändler und kämpft gegen die korrupten lokalen Behörden. Ein unglaublich mutiger Mann, der uns ziemlich beeindruckt hat.

Lino Cañete:
Pater Shay Cullen und sein Team bekommen regelmäßig Drohungen per E-Mail und Telefon. Immer wieder werden Klagen gegen ihn und die Mitarbeiter von Preda eingereicht. Als ich noch bei Preda gearbeitet habe, wurde ich auch, zusammen mit dem Management-Team von Preda, wegen Verleumdung angeklagt. Und es gab verschiedene Rufmordkampagnen gegen Pater Shay und Preda. Das Team lässt sich aber nicht einschüchtern und macht die Arbeit zum Schutz der Kinderrechte weiter. Preda setzt sich unter anderem für Kinder ein, die im Gefängnis sitzen. Als Sie zuletzt auf den Philippinen waren, haben Sie verschiedene Gefängnisse besichtigt.

Behrendt: Wir waren in fünf verschiedenen Gefängnissen. Getarnt als medizinisches Team und mit versteckter Kamera. Das, was wir dort zu sehen bekommen haben, hat uns schockiert. Ein Junge sitzt neben dem anderen, sie sind eingepfercht wie die Hühner. Alle tragen nur Unterhosen. Und wenn einer die Krätze hat, dann stecken sich die anderen direkt an.

Bär: Die hygienischen Zustände sind grauenvoll. Das kann man sich gar nicht vorstellen, wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Das sind Kinder, die zum Teil wegen Bagatelldelikten im Gefängnis sitzen. Sie werden grundlos kriminalisiert.

Cañete: Aktuell sitzen rund 40.000 Kinder und Jugendliche in Metro Manila im Gefängnis. Es gibt seit 2006 ein Jugendstrafgesetz, das die Strafmündigkeit auf 15 Jahre festgesetzt hat. Philippinische Jugendliche mit 15 Jahren und jünger dürfen eigentlich nicht verhaftet werden, egal was sie gemacht haben. Aber dieses Gesetz wird einfach umgangen. Die Kinder werden zum Beispiel verhaftet, wenn sie sich nach Ablauf der Sperrstunde auf der Straße befinden. Oder beim Schnüffeln von Klebstoff erwischt werden. Die Polizei bringt sie dann einfach ins Gefängnis, ohne die Eltern zu kontaktieren. Meistens sind die Verwandten mit der Situation überfordert, weil sie mit einem übermächtigen Polizeiapparat und korrupten Behörden konfrontiert sind. Vor Kurzem wurde per Gesetzesentwurf versucht, die Strafmündigkeit von 15 Jahren auf neun Jahre herabzusetzen. Dank des unermüdlichen Engagements der Kinderrechtler aus der Zivilgesellschaft konnte dies verhindert werden.

© Hartmut Schwarzbach | MISEREOR

© Klaus Mellenthin | Misereor

Wie haben Sie sich beim Anblick dieser Situation gefühlt?

Behrendt: Richtig wütend und hilflos. Man würde die Kinder ja am liebsten alle sofort aus dieser Situation befreien. Aber das geht natürlich nicht.

Bär: Aber wir machen das, was wir eben machen können. Wir erzählen immer wieder von den unglaublichen Zuständen und sammeln Gelder für die so wichtige Arbeit von Shay Cullen und seinem Team. Ich bin froh und dankbar, dass uns unsere Prominenz dabei hilft.

Auf welche Erfolge im Verlauf ihrer Vereinsgeschichte sind Sie besonders stolz?

Behrendt: Mit der Hilfe des Tatort-Vereins konnte Preda verschiedene Häuser bauen, in denen sexuell traumatisierte Mädchen und Jungen aus dem Gefängnis ein Zuhause finden. Sie bekommen eine Schulausbildung und werden therapeutisch begleitet. Außerdem haben wir die Gefängniskinder- Kampagne unterstützt.

Cañete: Es ging um die Verabschiedung des Jugendstrafgesetzes in den Philippinen. Es gab dazu von Preda initiierte CNN-Berichte aus den Gefängnissen und Interviews mit den Behörden. Wenige Wochen nach der Ausstrahlung wurde das neue Gesetz aufgrund des internationalen Drucks verabschiedet. Das war ein großer Erfolg! Dennoch bestand die Herausforderung darin, das Gesetz mit entsprechenden Mitteln umzusetzen.

Bär: Wir konnten bei einem Besuch auf den Philippinen wirklich hautnah miterleben, wie Shay Cullen sich im Stadtrat mit Schwert und Lanze für die Gefängniskinder einsetzt. Über all die Jahre haben wir eine Beziehung zueinander entwickelt. All das wäre
ohne unser tolles Team nicht denkbar. Und nicht ohne die zahlreichen Unterstützer, die wir in Deutschland haben. Zum Beispiel auch Misereor.

Gibt es auch Dinge, die nicht so gut gelaufen sind?

Bär: Wir mussten uns natürlich erst mal an das Klinkenputzen für Spenden gewöhnen. Unsere Popularität hat uns dabei geholfen. Irgendwann mussten wir uns dann die Frage stellen: Können und wollen wir wachsen und größer werden? In dem Charity-Ozean
den es mittlerweile in Deutschland gibt, sind wir ein kleines, feines Boot.

Behrendt: Wir müssen leider immer wieder Projektanfragen ablehnen. Wir haben neben der Unterstützung von Preda zahlreiche neue Projekte gestartet, aber unser Wachstum ist begrenzt. Seit einigen Jahren ist auch der Faire Handel mit Mangos zu einem zentralen Aspekt der Arbeit von Preda geworden. Der Tatort-Verein fördert nun auch diesen Bereich. Wieso?

Bär: Weil so Tausende Familien eine Chance haben, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Die Mangos werden von der Fairhandelsgenossenschaft dwp schonend und nach den höchsten internationalen Hygienestandards verarbeitet. Sie garantiert den Mangobauern die Abnahme ihrer Gesamternte zu fairen Preisen. Das stoppt die Abwanderung in die Slums der Großstädte.

Behrendt: Wir haben 2013 eine Mango-Kooperative besucht und gelernt, wie die Kleinbauern auf dem Land leben und arbeiten. Gegen die Großbetriebe hätten sie eigentlich keine Chance. Aber der Faire Handel ermöglicht ihnen, auf dem Land zu überleben.
Und ihre Kinder wieder in die Schule zu schicken.

Cañete: Preda kauft alle Mangos: Auch die kleineren und krumm gewachsenen Früchte, die konventionelle Händler gezielt aussortieren. Die stetig steigende Abnahme an fair gehandelten Mangos brachte ein bestehendes Kartell, das lange Jahre die Erzeugerpreise für Mangos künstlich niedrig hielt, zum Erliegen.

© Hartmut Schwarzbach | MISEREOR

© Klaus Mellenthin | Misereor

Was hat Sie persönlich all die Jahre zum Weitermachen motiviert?

Bär: Trotz allem Auf und Ab, was mit einem Vereinsleben natürlicherweise einhergeht, ist unsere Vision im Kern über all die Jahre bestehen geblieben: Wir machen uns weltweit für die Rechte von Kindern stark. „Mittlerweile klafft leider auch in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich extrem auseinander.“

Behrendt: Rund um den Globus erleben Kinder heftige Schicksale. Es ist uns wichtig, dass wir einen Beitrag dazu leisten, die Situation für diese Kinder zu verbessern. Mit dem Projekt „Wir starten gleich – Kein Kind ohne Schulranzen!“ unterstützt der Tatort-Verein seit 2012 Kinder aus benachteiligten Familien in Deutschland.

Wie kam es dazu?

Behrendt: Es ist mittlerweile leider ein Fakt, dass auch in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich extrem auseinanderklafft. Wir haben erfahren, dass es unglaublich viele bedürftige Familien gibt, die sich die notwendige Ausstattung für ihre Schulanfänger nicht leisten können. Und da wollten wir handeln.

Bär: Dass es in einem der reichsten Länder der Welt so eine Ungerechtigkeit gibt, das verschlägt einem schon den Atem. Und ist beängstigend. Mittlerweile verteilen wir Schulranzen- Sets in sechs Städten.

Haben Sie Pläne für die Zukunft?

Behrendt: Wir sind sehr breit gefächert aufgestellt und uns geht es jetzt erst mal darum, den Status quo aufrechtzuerhalten und gut zu machen.

Das Interview führte Daniela Singhal. Die freie Journalistin lebt und arbeitet in Berlin – auch als Yoga-Lehrerin.


Dieser Artikel erschien zuerst im Misereor-Magazin „frings.“ Das ganze Magazin können Sie hier kostenfrei bestellen >

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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