In den letzten Wochen riefen vor allem junge Menschen in Kenia, die Generation Z, zu Protesten auf. Das größtenteils friedliche Aufbegehren gegen ein Steuergesetz stieß auf eine brutale Reaktion der Polizei. Der mittlerweile extrem unpopuläre Präsident Ruto beugt sich schließlich dem Willen des Volkes. Doch ist es nach den vielen Opfern, Toten, Verletzten und Verschwundenen nicht zu spät für ihn? Auf X ist seit Tagen #RutoMustGo ein populärer Hashtag. Kenia steht wieder einmal vor der Frage: Wie viel Demokratie lassen die seit Jahrzehnten etablierten Eliten zu? Und wie viel nehmen sich die Menschen selbst?
Das Aufbegehren der Gen Z
Das, was in den letzten Wochen in Kenia passierte, kann man aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Da ist die Gewalt, die vielen Toten, Verletzten, Verschwundenen, das brennende Parlament, der Schock über die Ereignisse, der Kenia trotz der vielen aktuellen Krisen in die internationalen Medien brachte. Unbewaffnete junge Menschen wurden vor den Augen internationaler Presseteams erschossen – in einem als vorbildhaft betrachteten afrikanischen Land, dessen Präsident bei seinen vielen internationalen Besuchen von seinen Partnern im Globalen Norden gefeiert wurde,. Das Grauen, die Wut und die Trauer sind unermesslich.
Doch es gibt auch eine andere Perspektive, eine hoffnungsvollere Sicht. Die jungen Menschen in Kenia kämpfen um ihr Land. Es sind keine Politiker*innen, wie noch bei Protesten im letzten Jahr, die die schlechte wirtschaftliche Situation und Verzweiflung für sich instrumentalisieren. Die bekannten Oppositionsfiguren wurden von den Protestierenden gebeten, zuhause zu bleiben. Es sind ihre Anliegen, ihre Wut, ihr Land und sie wollen sich nicht mehr mit Lügen abspeisen lassen.
Doch blicken wir kurz zurück, um zu verstehen, was diese Proteste ausgelöst hat.
Das Fass ist voll…
Präsident Ruto gewann die Wahlen vor knapp zwei Jahren mit einer Kampagne, in der er sich als Mann der Massen präsentierte, der gegen „die Eliten“ kämpft. Er versprach, die Situation der Mehrheit zu verbessern. Stattdessen folgten mehr Verschuldung, drastische Steuererhöhungen und steigende Lebenshaltungskosten, die die Menschen schon letztes Jahr auf die Straßen trieben. Mit dem kürzlich vorgeschlagenen Steuergesetz, das z.B. so grundlegende Dinge des täglichen Lebens wie Hygieneartikel für Frauen verteuert hätte, war das Fass voll.
Tage des Zorns
Jugendliche und junge Erwachsene gehen auf die Straße, organisieren sich auf sozialen Medien unter #RejectFinanceBill2024. Schon in der ersten Woche werden zwei junge unbewaffnete Protestierende getötet. Die Wut wächst und „7 Days of Rage“ (sieben Tage des Zorns) werden verkündet. Am fünften Tag der Proteste, die nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in sehr abgelegenen Regionen Kenias stattfinden, eskaliert die Situation. Die Polizei schießt erneut auf unbewaffnete Demonstranten, das Parlament, das höchste Gericht, Parteibüros und einige andere Gebäude werden gestürmt und angezündet.
Der Präsident hält am Abend eine unversöhnliche Rede und schickt das Militär auf die Straßen. Die Menschen fassen es als eine Kriegserklärung gegen das eigene Volk auf und verkünden den Marsch auf den Präsidentensitz. Am Tag darauf, kurz vor dem geplanten Marsch, macht Präsident Ruto eine überraschende Kehrtwende und verkündet, das umstrittene Gesetz, dem die Abgeordneten kurz vorher in Rekordzeit zugestimmt haben, nicht zu unterschreiben. Er verspricht Kürzungen im Regierungsbudget und spricht sich für einen Dialog aus.
Koloniale Ressentiments werden wach
Ruto behauptet, er möchte Kenia durch die Steuereintreibung unabhängiger machen. Das Steuergesetz wird jedoch mit einem großen Kredit vom IWF (Internationaler Währungsfonds) in Verbindung gebracht, der Kenia unter seiner Amtszeit bewilligt wurde und zurückgezahlt werden muss. Die allgemeine Wahrnehmung ist jedoch, dass das geliehene Geld statt für die Bedürfnisse der Menschen für die Ausschweifungen der politischen Klasse und Korruption ausgegeben wird. Dem IWF, der das Steuergesetz unterstützt hatte, und auch den USA, die als Strippenzieher hinter der Kreditvergabe betrachtet werden, wird koloniales Verhalten vorgeworfen. Darüber hinaus führte die überschwänglich positive Darstellung des ungeliebten Präsidenten in den meisten Ländern des Globalen Nordens in letzter Zeit zunehmend zu Frust und Enttäuschung.
Hören Sie auf zu lügen, Herr Präsident!
Die Protestbewegung ist mittlerweile gespalten. Die einen sehen die Kehrtwende in Bezug auf das Steuergesetz als Erfolg an. Doch andere haben jegliches Vertrauen in die Regierung verloren. Viele wollen weiter protestieren. Es geht ihnen nun nicht mehr nur um das Steuergesetz. Sie wollen, dass der Präsident geht. An seinen Händen klebt Blut. In einem langen Interview am Sonntag, dem sich Präsident Ruto stellte, sagten die Reporter zu Ruto: „Die Menschen glauben Ihnen nicht mehr. Wann hören Sie auf zu lügen, Herr Präsident?“ Auch in dem Interview schafft es der Präsident nicht, zu den Menschen durchzudringen. Es fehle ihm komplett an Einfühlungsvermögen, wird ihm im Nachhinein vorgeworfen.
Es ist schwer, in solchen Tragödien etwas Positives zu sehen. Und doch sind diese Proteste in dieser Region, in Ostafrika, etwas Besonderes. Die Menschen ziehen ihre Regierung zur Verantwortung, verlangen Rechenschaft und der Präsident gibt nach. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, aber es ist nicht nur eine Tragödie…
Autorin: Dieser Beitrag wurde von Kamila Krygier, Dialog- und Verbindungsstellenleiterin in Nairobi, Kenia, verfasst.
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