Mit dem heutigen Internationalen Tag der Indigenen Völker rufen die Vereinten Nationen dazu auf die Rechte Indigener Völker zu fördern und umzusetzen. Doch auch 30 Jahre nach der Einführung scheint die Erreichung dieses Ziels in weiter Ferne: Misereor-Partnerorganisationen, die mit Indigenen Völkern vor allem in Lateinamerika und Asien arbeiten und sie im Kampf um die Anerkennung und Wahrung ihrer Rechte unterstützen, berichten immer wieder von systematischen und gewaltvollen Menschenrechtsverletzungen. Mechthild Bock, Misereor-Beraterin1 für die Rechte Indigener Völker (Schwerpunkt Amazonien und Region El Chaco), berichtet aus ihrer Arbeit.
Was macht eigentlich eine Beraterin für die Rechte Indigener Völker?
Als Beraterin und Ethnologin arbeite ich seit Februar dieses Jahres mit den Partnerorganisationen von Misereor in Amazonien und Chaco, um die Zusammenarbeit mit Indigenen Völkern und Organisationen besser zu vernetzen. Das ist wichtig, um Indigene Organisationen konkreter unterstützen zu können. Dazu gehört, zwischen den verschiedenen Welten zu kommunizieren und auf beiden Seiten dazu beizutragen, die Zusammenhänge zwischen dem westlichen Lebensstil einerseits und den Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen im globalen Süden andererseits deutlich zu machen. In dieser Funktion war ich zuletzt mehrere Wochen auf Dienstreise und habe gemeinsam mit Regina Reinart, die bei Misereor für die Projektbegleitung brasilianischer Partnerorganisationen zuständig ist, unter anderem die Misereor-Partnerorganisationen „Zentrum für die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern“ (Centro de Trabalho Indigenista, CTI), den Indigenenmissionsrat (Conselho Indigenista Missionário, CIMI) sowie die Indigene Organisation Federação das Organizações Indígenas do Rio Negro (FOIRN) getroffen. Sie alle arbeiten im Bereich der Verteidigung und Umsetzung der Rechte Indigener Völker.
Warum ist die Unterstützung der Indigenen Völker so wichtig?
Indigene Völker erfahren weltweit Rassismus und Diskriminierung. Sie sind von Vertreibung sowie dem Verlust ihrer Territorien oder Landrechte bedroht, weil sie Wirtschaftsinteressen und Infrastrukturprojekten weichen müssen. Im Vergleich zur herrschenden Gesellschaft ihrer jeweiligen Länder denken und leben sie meist ganz anders. Deshalb wird ihnen häufig unterstellt, ein Hindernis für Fortschritt und Entwicklung zu sein, wenn sie beispielsweise ihr traditionelles Territorium verteidigen. Diese tief verankerten rassistischen Stereotype bedingen häufig einen Ausschluss aus der nationalen oder regierenden Bevölkerung. Der Zusammenschluss zu Organisationen Indigener Völker ist somit überlebenswichtig, um sich Gehör zu verschaffen und ihre Rechte einzufordern. Dabei ist wissenschaftlich belegt, dass Biodiversität und Wald dort am besten geschützt sind, wo Indigene Völker leben. Kann die heutige Gesellschaft sich es wirklich nicht leisten Indigenen Völkern ihre verbindlichen Rechte zu garantieren? Es geht nicht um einen romantisierenden Blick auf die Indigenen Völker, sondern um das Recht der Indigenen Völker auf ihr Territorium und auf Selbstbestimmung, ihr Leben auf ihrem Land nach ihren Vorstellungen zu gestalten.
Rechte Indigener Völker stärken
Rechte Indigener Völker, die Schutzwürdigkeit ihrer Gebiete, Traditionen und Lebensweisen, sind durch internationale Abkommen und Deklarationen anerkannt, es hapert aber an der Umsetzung dieser Rechte durch die nationalen Regierungen und Gesellschaften. Häufig stehen wirtschaftliche Interessen und Profite im klaren Konflikt zu den Anliegen Indigener Gemeinschaften. Zu häufig werden Wirtschaftsinteressen über Menschen- und Naturrechte sowie das Selbstbestimmungsrecht der Indigenen Völker gestellt. Das muss sich dringend ändern!
Aber auch die Sicht auf Indigene Rechte braucht eine andere Perspektive. Misereor-Partner verstehen ihre Arbeit schon seit langem so, dass es darum gehen muss, Indigene Organisationen und Gemeinschaften in die Lage zu versetzen, ihre Interessen selbst zu verteidigen. Gleichzeitig braucht es einen Schutzcharakter, nämlich fremde Einwirkungen abzuhalten. Indigene Gemeinschaften haben wenig Widerstandskräfte gegen Krankheitserreger, die von außen in ihre Gebiete getragen werden. Das trifft insbesondere auf nichtkontaktierte Indigene Völker und sich erst seit kurzem in Kontakt befindende Völker zu, denen der heutige Internationale Tag der Indigenen Völker einen Schwerpunkt setzt. In Erinnerung gerufen wurden sie als Mitte Juli die Nachricht und Fotos über die Sichtung des Volkes der Mashco Piro im südlichen Amazonasgebiet von Peru um die Welt gingen. In der Vergangenheit wurden Tausende Indigene durch Krankheiten der Kolonialisten getötet. Als Konsequenz der häufig traumatisierenden Kontakte mit Außenstehenden und Weißen wählen Indigene Gemeinschaften häufig ein zurückgezogenes und isoliertes Leben tief im Urwald, um sich vor Einflüssen von außen zu schützen. Der oft benutzte Begriff der freiwillig isoliert lebenden Völker mag da eher beschönigend, romantisierend klingen, da es nicht immer ihre freie Entscheidung ist, isoliert zu leben, sondern eine Notwendigkeit.
Zurückgezogenheit bietet kaum noch Schutz
Doch abgeschieden im Wald zu leben, wird immer schwieriger, denn der Druck auf das Amazonasgebiet und andere von Indigenen Völkern bewohnten Gebieten in Afrika und Asien in meist tropischen Regionen nimmt immer weiter zu. Es sind Gebiete mit großen Vorkommen an natürlichen Ressourcen, sie sind reich an kommerzialisierbarem Holz, Mineralien wie Gold und sie sind auch für den industriellen Fischfang und die Jagd relevant. Somit sind diese Gebiete interessant für wirtschaftliche Ausbeutung, die oft jeglichen Umwelt- und Menschenrechtsstandards widersprechen.
Hier setzen verschiedene Misereor-Projektpartner mit ihrer Arbeit an. So arbeitet das „Zentrum für die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern“ (CTI) in Brasilien vor Ort direkt mit der indigenen Organisation UNIVAJA, einem Zusammenschluss der Indigenen Völker des Javarí-Tals, zusammen. Bushe Matis, Koordinator des UNIVAJA und selbst Nachkomme von erst in den siebziger und achtziger Jahren kontaktierten Völkern, unterstreicht wie wichtig es für sie als kontaktierte Völker ist, ihre Familienangehörigen, die weiterhin im Wald leben, zu schützen: „Wir ermöglichen ihnen durch den Schutz ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung. Dafür überwachen wir das riesige Gebiet mit einem eigenen Monitoring-System. So können wir verhindern, dass illegale Holzfäller, Jäger und Fischer, aber auch Tourismusagenturen die geschützten Indigenengebiete betreten. Neben der Naturzerstörung könnten sie Krankheiten einschleppen, die für die isolierten Völker gefährlich sind und für sie fatale Folgen haben.“
Auch die Mashco Piro sind von illegalem, manchmal auch legalisiertem Holzeinschlag bedroht, der sie aus ihren traditionellen Gebieten verdrängt. Diese Fälle zeigen, dass eine Absicherung der indigenen Rechte auf ihr Territorium auch gegenüber nationalen Staaten und Regierungen notwendig ist, um die Indigenen Völker dabei zu unterstützen, ihr Recht auf Selbstbestimmung in einer intakten Umwelt auszuüben. Dabei unterstützen die Misereor-Projektpartner. Davon profitieren wir alle, denn geschützte, rechtlich abgesicherte und intakte Gebiete indigener Völker leisten einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität und zum Schutz des Klimas weltweit.
Brasilien: Für den Erhalt des Amazonas!
Waldbrände, Staudämme, Viehweiden: Der Regenwald wird immer schneller zerstört. Dabei ist er nicht nur entscheidend für unser Klima, sondern auch die Heimat vieler indigener Völker. Zum Spendenprojekt