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Die vermeidbare Katastrophe

Alle Jahre wieder, so scheint es, wiederholt sich dasselbe verheerende Schauspiel: in Bolivien und seinen Nachbarländern Brasilien und Paraguay gehen enorme Landstriche in Flammen auf. Die Hauptursachen dafür sind einerseits die extreme Trockenheit, die sich durch den Klimawandel stetig verstärkt und bereits an sich zu hohen Ernteausfällen geführt hat, und andererseits die Gesetzgebung des Staates, die Brandrodungen und intentionale Brandstiftung befördert. Die Hauptakteure sind auf der einen Seite Siedler, die von der Regierung unterstützt werden und Land für Spekulationszwecke erwerben wollen. Auf der anderen Seite steht die Agrarindustrie, vor allem die großen Viehzüchter. Sie brennen jedes Jahr große Flächen ab, um ihre Weiden zu erneuern, können dabei aber nicht verhindern, dass die Brände außer Kontrolle geraten.

Waldbrände in Bolivien © CIPCA
Die Brandbekämpfer*innen sind Tag und Nacht im Einsatz. © UGR

Zerstörte Lebensräume, bedrohte Biodiversität und indigene Existenzen

Dieses Jahr jedoch ist es besonders schlimm: Seit Ende Juli brennt es im Tiefland Boliviens von der Chiquitanía im Südosten bis zum Amazonasregenwald im Nordosten. Der niederländisch-bolivianische Biologe Vincent Vos schätzt, dass seitdem ungefähr 6 Millionen Hektar Land dem Feuer zum Opfer gefallen sind – davon 40 Prozent Wald und 60 Prozent Grasland. Dabei seien mindestens 400 Millionen Bäume und zwischen 10 und 20 Millionen Wildtiere verbrannt. Das ist ein enormer Verlust für die Biodiversität Boliviens, die sich von den jährlichen Bränden auf absehbare Zeit nicht mehr erholen wird. Der Rückgang der Waldflächen heizt zusätzlich noch den Klimawandel an, der wiederum die Trockenheit begünstigt – ein Teufelskreis.

Waldbrände in Bolivien © CIPCA
Die Reste eines Agroforstsystems nach dem Brand. © Grover Moye

Doch auch für die Menschen, die in der Region leben, besonders für die indigene Bevölkerung, deren Lebensgrundlage der Wald mit seinen Produkten darstellt, sind die Folgen katastrophal. Hunderte Familien haben ihre Anbauflächen und Ernten verloren. Einige Gemeinden mussten evakuiert werden, weil das Feuer zu nah an sie rückte. Eine Frau aus der Gemeinde Palestina in de Chiquitanía, die besonders hart vom Feuer getroffen wurde, erzählt unter Tränen: „Zuerst haben wir unsere Kinder vorausgeschickt, und dann mussten wir auch fliehen. Und jetzt sind unsere Felder mit allem verbrannt, was wir darauf gepflanzt hatten, den Bananenstauden und Yuca-Pflanzen, und auch die Cusi-Bäume, deren Öl wir verkauft haben. Damit haben wir die Schulgebühren unserer Kinder bezahlt.“ Damit ist auch die Lebensgrundlage der Familien verloren, die größtenteils in Selbstversorgung leben. Sie benötigen dringend Unterstützung zunächst in Form von Lebensmittelhilfe, um überhaupt wieder etwas zu Essen zu haben. Auf Dauer werden vor allem Saatgut, Setzlinge und Ausrüstung benötigt, um zumindest mittelfristig das Nötigste wieder anbauen zu können.

Politische Lähmung und Solidarität aus der Bevölkerung

Die bolivianische Regierung ist vollkommen in parteiinterne Machtkämpfe verwickelt und hat gegenwärtig weder den Willen noch die Fähigkeit, die Brände wirkungsvoll zu bekämpfen oder gar Vorbeugung zu betreiben. Unsere Partnerorganisationen vor Ort helfen, wo sie können, und in der Zivilgesellschaft Boliviens hat sich angesichts der Katastrophe eine starke Bewegung der Solidarität gebildet. Freiwillige aus dem ganzen Land reisen in die Waldbrandgebiete, um bei den Löscharbeiten zu helfen.

Waldbrände in Bolivien © CIPCA
Es fehlt an vielem, vor allem an Werkzeug um die Waldbrände zu bekämpfen. Doch die Menschen wissen sich zu helfen. © UGR

Die Organisation CIPCA berichtet jedoch, die Feuerwehr und viele freiwillige Helfer*innen hätten kaum Ausrüstung und würden teilweise nur mit Zweigen und Macheten versuchen, das Feuer zu bekämpfen. Durch die Trockenheit fehlt Wasser zum Löschen, und gleichzeitig ist der Treibstoff durch die wirtschaftliche Krise knapp. Die Lokalregierungen müssen zivilgesellschaftliche Organisationen darum bitten, damit Löschpersonal und Wasser zu den Brandherden transportiert werden können. Eine freiwillige Helferin berichtet: „Wir sind hier alle voller Motivation hergekommen, doch es ist zum Teil sehr frustrierend, was wir erleben. So haben wir zum Beispiel gestern zwei frisch gerodete und abgebrannte Flächen gesehen, obwohl das eigentlich streng verboten ist – während wir hier gleichzeitig versuchen zu löschen. Und die Koordination zwischen den staatlichen Stellen läuft sehr schlecht.“ Ohne Spenden aus der Bevölkerung in anderen Landesteilen wäre die Situation noch einmal deutlich schwieriger.

Für die Misereor-Partnerorganisationen ist es klar, dass neben der Brandbekämpfung und Nothilfe als unmittelbare Maßnahmen dringend auf eine Veränderung der Rahmenbedingungen hingearbeitet werden muss, damit sich die Katastrophe in Zukunft nicht wieder und wieder ereignet. Juan Pablo Chumacero von Fundación Tierra sagt: „Die Auswirkungen der Waldbrände im ganzen Land haben sehr viele Menschen für die Problematik sensibilisiert, und wir müssen dieses Momentum ausnutzen, um jetzt auf Gesetzesänderungen zu drängen. Jetzt haben wir die Chance, tatsächlich den nötigen Druck auf die Regierung auszuüben, damit endlich etwas getan wird.“ Dabei haben sie die volle Unterstützung Misereors.

Autor: Markus Zander, Länderreferent bei Misereor für Bolivien

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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