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Lieferkettengesetz: Umsetzen statt Aussetzen!

Es war noch keine drei Wochen her, seit Robert Habeck beim Unternehmertag der BGA am 2. Oktober erklärt hatte, die Politik sei beim Lieferkettengesetz „bei guter Intention völlig falsch abgebogen“, und die Berichtspflichten mit der „Kettensäge“ sogar „wegbolzen“ wollte. Auf dem Arbeitgebertag am 22. Oktober legte Bundeskanzler Olaf Scholz nach und verkündete: „Das Lieferkettengesetz kommt weg“.

Lieferkettengesetz Umsetzen statt Aussetzen!

Wie zuvor Habeck buhlte auch Scholz um den Beifall seiner Gastgeber aus der Wirtschaftslobby – und löste eine Welle der Empörung in der eigenen Partei, in Gewerkschaften und Zivilgesellschaft aus. Und wie Habeck ruderte auch das Kanzleramt später zurück. Beide verwiesen auf die Ankündigung der Bundesregierung aus der „Wachstumsinitiative“, das EU-Lieferkettengesetz noch in dieser Legislaturperiode „bürokratiearm“ umzusetzen. In diesem Sinne, so Regierungssprecher Hebestreit, komme das deutsche Lieferkettengesetz weg.

Viel Aufregung um nichts?

Leider nicht. Denn die verbalen Entgleisungen von Kanzler und Vizekanzler befeuern Spekulationen und sorgen für ein Höchstmaß an Verunsicherung: Unternehmen fragen sich, ob es sich noch lohnt, Nachhaltigkeitsabteilungen für Menschenrechte, Umwelt und Klima aufzubauen. Und Betroffene fragen sich, was aus ihren Beschwerden bei der zuständigen BAFA-Behörde gegen Verstöße deutscher Unternehmen wird, wenn das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz „wegkommt“. Die Betroffenen haben einen Rechtsanspruch darauf, dass die Behörde Maßnahmen anordnet, um Menschenrechtsverletzungen abzustellen oder gegebenenfalls Sanktionen gegen die verantwortlichen Unternehmen verhängt.

Diese Unsicherheit bleibt, weil die zuständigen Bundesminister die Wachstumsinitiative völlig unterschiedlich interpretieren. So stellte die FDP Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vor zwei Wochen ein Ultimatum, bis November ein Gesetz zur Aussetzung des Lieferkettengesetzes vorzulegen, obwohl in der Wachstumsinitiative von Aussetzung keine Rede ist. Wirtschaftsminister Robert Habeck fordert zwar keine Aussetzung (mehr), vertritt aber die Position, dass in der Übergangsphase die Sorgfaltspflichten nicht verpflichtend sein sollten. Faktisch käme dies einer Aussetzung des Gesetzes bis zum Inkrafttreten der EU-Lieferkettenrichtlinie im Juli 2027 sehr nahe. Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) und das Kanzleramt streben einen nahtlosen Übergang ohne Unterbrechung an, wie es auch der Text der Wachstumsinitiative nahelegt.

Handlungsempfehlungen für die wirksame Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Gesetz

Statt einer Aussetzung erwarten wir von der Bundesregierung die konsequente Umsetzung beschlossener Gesetze. Das heißt erstens, die Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetzes und zweitens die Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) in deutsches Recht. Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie ist im BMAS bereits in Arbeit. Für die Initiative Lieferkettengesetz ist dabei entscheidend, dass dies nicht nur „bürokratiearm“, sondern vor allem effektiv im Sinne der Betroffenen und EU-rechtskonform geschieht. Das heißt zum Beispiel:

  • Die Bundesregierung darf nicht gegen das Rückschrittsverbot in Art. 1 Abs. 2 der EU-Richtlinie verstoßen, also das auf nationaler Ebene bereits bestehende Schutzniveau nicht absenken. Die Ankündigung der Wachstumsinitiative, die Zahl der erfassten Unternehmen auf ein Drittel zu reduzieren, ist daher rechtswidrig.
  • Auch andere Stärken des deutschen Gesetzes gegenüber der EU-Richtlinie müssen daher erhalten bleiben, etwa der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen für Unternehmen, die ihre Sorgfaltspflichten massiv verletzen.
  • Auch die Fortschritte der EU-Lieferkettenrichtlinie müssen im Sinne der Betroffenen möglichst effektiv umgesetzt werden. Dies gilt zum Beispiel für die Regelungen zur zivilrechtlichen Haftung, zur effektiven Beteiligung der Betroffenen an allen Sorgfaltsmaßnahmen, zur Wiedergutmachung als Teil der Sorgfaltspflicht, zur fairen Beschaffung und Vertragsgestaltung insbesondere mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), zu umweltbezogenen Sorgfaltspflichten und zur Umsetzung von Klimaplänen.
  • Schließlich muss die Bundesregierung bei der Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie aus den bisherigen Erfahrungen mit dem deutschen Gesetz lernen. Das heißt zum Beispiel: mehr Transparenz über Beschwerden und deren Bearbeitung beim BAFA und eine stärkere Beteiligung der Beschwerdeführenden am gesamten Verfahren. Maßnahmen können kaum wirksam sein, wenn sie an den Interessen der Betroffenen vorbeigehen.

Statt über Aussetzung zu spekulieren, sollte sich die Bundesregierung auf diese Maßnahmen konzentrieren und nach konstruktiven Lösungen suchen. Gemeinsam mit der Initiative Lieferkettengesetz, ECCHR, Brot für die Welt, Germanwatch, dem Deutschen Institut für Menschenrechte und medico veranstaltet Misereor deshalb am 13. November in Berlin eine Fachtagung mit öffentlicher Podiumsdiskussion. Alle, denen der Schutz von Menschenrechten, Umwelt und Klima in der Wirtschaft am Herzen liegt, sind herzlich eingeladen.

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Armin Paasch ist Experte für Verantwortliches Wirtschaften und Menschenrechte bei Misereor.

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