Bereits das zweite Jahr in Folge um Weihnachten gebracht
Das Bild von Bethlehem ruft in den Köpfen vieler Menschen romantische Vorstellungen aus biblischen Texten und idealisierten Projektionen hervor. Doch die Realität vor Ort zeichnet ein anderes Bild: eine leere Geburtskirche, keine Touristen und ausgefallene Feierlichkeiten. So präsentiert sich Bethlehem bereits im zweiten Jahr in Folge im Schatten des bis heute anhaltenden Krieges auf Gaza nach dem 7. Oktober 2023.
Eingeschlossen von einer acht Meter hohen Mauer, belastet durch Bewegungseinschränkungen und von Perspektivlosigkeit geprägt, war Weihnachten in Bethlehem für die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt und Umgebung stets ein Hoffnungsschimmer. Trotz der Herausforderungen des Lebens unter militärischer Besatzung brachten die Feierlichkeiten der letzten Jahre – wie das Anzünden des großen Weihnachtsbaums vor der Geburtskirche oder die bunte Weihnachtsparade mit zahlreichen Besucherinnen und Besuchern – neues Leben in die Stadt. Besonders am 24. Dezember entstehen die klassischen Bilder: Pfadfindergruppen ziehen musizierend durch Bethlehem, bunte Ballons steigen in den Himmel und die Straßen füllen sich mit Menschen, die diesen karnevalesken Umzug begeistert verfolgen.
Dieser einzigartige Anlass zum Feiern ist nun offiziell abgesagt worden. Für die Menschen in Bethlehem hat dies spürbare Folgen: wirtschaftliche Einbußen, Arbeitsplatzverluste und die wachsende Angst vor einer ungewissen Zukunft. Insgesamt liegt ein Klima der Trauer über der Stadt.
Kamal Mukarker, ein Tourguide aus Bethlehem, der seit dem Krieg seine Arbeit verloren hat, erklärt: „Die Wirtschaft in Bethlehem hängt zu 80 % vom Tourismus ab – sei es direkt, etwa durch Souvenirläden oder Hotels, oder indirekt, beispielsweise durch Bäckereien, die Brot an Hotels liefern, oder Fabriken, die Weizenmehl produzieren. Die übrigen 20 % entfallen auf Palästinenser*innen, die in Israel gearbeitet haben – eine Möglichkeit, die es jetzt nicht mehr gibt. Darüber hinaus erhalten die Angestellten der Palästinensischen Autonomiebehörde nur noch 60 bis 70 % ihres eigentlichen Gehalts. Die gesamte Bevölkerung leidet unter diesen Umständen erheblich. Viele denken deshalb sogar über Auswanderung nach.“ Insbesondere für Christ*innen in Palästina, die sich seit über 100 Jahren der Herstellung von Olivenholzfiguren widmen und dabei in mehr als 850 Werkstätten tätig sind, hat der Wegfall des Tourismus erhebliche wirtschaftliche Nachteile mit sich gebracht.
Nur wenige Meter von der Geburtskirche entfernt steht die Weihnachtskirche, in der die traditionelle Krippe eine eindringliche Umgestaltung erfahren hat: Jesus liegt hier unter Trümmern. In einem Social-Media-Post schreibt der Priester Rev. Dr. Munther Isaac: „Jesus liegt in Gaza weiterhin unter den Trümmern, während Kinder aus den Ruinen des Gaza-Streifens geborgen werden. Es zerreißt uns das Herz, dass wir noch immer um einen Waffenstillstand bitten müssen. (…) Doch wir beharren darauf: Wir sehen das Bild Jesu in jedem getöteten Kind. Diese Kinder sind für Gott von unschätzbarem Wert. (…) Dieses Weihnachten (…) werden wir unseren Glauben, unsere Hoffnung auf das Gute und unser Vertrauen in Gottes Gerechtigkeit nicht verlieren.“ (Quelle: Instagram)
Kamal Mukarker berichtet jedoch: „Obwohl die Weihnachtsfeierlichkeiten auf offizieller Ebene aufgrund der allgemeinen Trauer abgesagt wurden, bleibt die Geburt Jesu Christi für uns und die gesamte Menschheit ein einzigartiger Anlass. Deshalb werde ich zu Hause mit meinen Kindern einen Weihnachtsbaum aufstellen und schmücken. Während viele Kinder um die üblichen Feierlichkeiten gebracht werden, gibt es dennoch Initiativen, um zum Beispiel Geschenke an die Kleinen zu verteilen und ihnen trotz der schwierigen Umstände ein Lächeln zu schenken.“
Für Kamal und viele einheimische Christ*innen in Bethlehem sowie im gesamten Heiligen Land lautet die Botschaft an Christinnen und Christen weltweit, die in diesem Jahr Weihnachten feiern: „Wir wünschen uns, dass Christ*innen aus aller Welt wieder hierherkommen, um in Bethlehem zu beten, uns zu besuchen und gemeinsam mit uns zu feiern. Deshalb unser Appell: An Weihnachten zu beten, reicht nicht aus – es braucht beides: Gebet und konkrete Maßnahmen, um Druck auszuüben und den Krieg zu beenden. Nur so kann Bethlehem, die Stadt des Friedens, wieder Tourist*innen und Pilger*innen willkommen heißen. Gleichzeitig wird dadurch die Resilienz der Bewohnerinnen und Bewohner gestärkt, in ihrer Stadt zu bleiben und dort ihre Zukunft aufzubauen.“
Mariana Ghawaly Giacaman ist Expertin für Flucht und Migration
bei Misereor mit besonderem Fokus auf die MENA-Region.
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Ein sehr wichtiger Beitrag! Ist doch Palästina der Ursprung und die Geburtsstätte des Christentums, beobachtet man jedoch mit Entsetzen die stumme Weltgemeinschaft, wie sie die indigene Bevölkerung, nämlich die Palästinenser, seit Jahrzehnten allein lässt.