Erst im Juli letzten Jahres war die EU-Lieferkettenrichtlinie in Kraft getreten, die Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards verpflichtet – ein zentraler Meilenstein auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Mit dem heutigen Vorschlag einer Omnibus-Verordnung legt die Kommission jedoch die Kettensäge an die Lieferkettenrichtlinie, noch bevor diese in den Mitgliedstaaten zur Anwendung kommt. Damit erfüllt sie weitgehend einen Wunschzettel des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) vom 22. Januar und macht den Weg wieder frei für einen Wettbewerb auf Kosten von Textilarbeiterinnen, Kakaopflückern, indigenen Gemeinschaften, der biologischen Vielfalt und des Klimas.

Die Knackpunkte im Einzelnen:
- Begrenzung der vollen Sorgfaltspflicht auf direkte Zulieferer, womit die tatsächlichen Risikobereiche – etwa Umweltzerstörungen im Bergbau oder Kinder- und Zwangsarbeit auf Plantagen in Ländern des Globalen Südens – zunächst ausgeblendet würden.
- Streichung der zivilrechtlichen Haftung für Unternehmen, die ihre Sorgfaltspflichten verletzen und dadurch Schäden verursachen. Betroffene hätten damit kaum eine Chance auf Schadensersatz und Wiedergutmachung.
- Abschwächung der Vorgabe, dass die maximale Bußgeldhöhe für schwerste Menschenrechtsverstöße nicht unter fünf Prozent des Jahresumsatzes liegen darf. Die Bußgeldhöhe soll vom Umsatz eines Unternehmens stattdessen entkoppelt werden. So könnten Großkonzerne niedrige Bußgelder voraussichtlich aus der Portokasse zahlen, ohne ihr Verhalten zu verändern.
- Unternehmen müssten Geschäftsbeziehungen selbst dann nicht beenden, wenn der betreffende Zulieferer Menschenrechtsverstöße trotz mehrfacher Aufforderung, Vereinbarungen und Unterstützung nicht abstellt. Im Zweifel steht Profit also über Menschenrechten und der Umwelt.
- Aushöhlung der Klimapflichten: Zwar müssten Unternehmen weiterhin Pläne zur Absenkung von Treibhausgasemissionen im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen erstellen. Die Verpflichtung zur Umsetzung entfällt jedoch, so dass die Pläne getrost in der Schublade verschwinden können.
Am 8. November 2024 hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch zugesagt: „Der Inhalt der Gesetze ist gut. Wir wollen ihn erhalten und wir werden ihn erhalten.“ Ziel der Omnibus-Verordnung sei eine „Vereinfachung“, um die „bürokratische Last zu reduzieren, ohne den korrekten Inhalt des Gesetzes zu verändern, das wir alle wollen.“
Was die Kommission heute vorgelegt hat, ist hingegen ein Kahlschlag, der die Lieferkettenrichtlinie zum zahnlosen Papiertiger degradieren würde. Auch andere Kernprojekte des European Green Deal – die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die Taxonomie und der Grenzausgleich für CO2-Emmissionen würden erheblich abgeschwächt.
Allerdings: Beschlossene Sache ist der Omnibus noch keineswegs. Dafür bedarf es der Zustimmung des Europäischen Parlaments sowie von zwei Dritteln der Mitgliedstaaten im EU-Rat, die zudem zwei Drittel der EU-Bevölkerung repräsentieren. Nachdem Sozialdemokraten, Grüne und Linke ihre klare Ablehnung signalisiert haben, wäre die Europäische Volkspartei auf die Unterstützung von Rechtsaußen angewiesen – also einen Abriss der Brandmauer.
Dies gilt es zu verhindern. Misereor und die Initiative Lieferkettengesetz sowie zahlreiche Prominente aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kirchen und Zivilgesellschaft appellieren daher an alle Verantwortlichen in der aktuellen und künftigen Bundesregierung, Bundestag und Europäischem Parlament, die Lieferkettenrichtlinie zu verteidigen und fristgerecht umzusetzen.
Weitere Hintergründe im Briefing für die Initiative Lieferkettengesetz hier