Der nun zweijährige Bürgerkrieg im Sudan ist inzwischen die größte humanitäre Krise, die jemals verzeichnet wurde. Etwa 25 Millionen Menschen sind von Hunger bedroht, rund 14 Millionen Menschen wurden vertrieben oder sind geflohen. Der Krieg entbrannte aufgrund eines Machtkampfs zwischen dem Militärmachthaber Abdel Fattah al-Burhan (SAF) und dem Rebellenführer Mohamed Hamdan Dagalo (RSF). Die Hauptlast der Gewalt trägt seither die Bevölkerung: Millionen von Menschen sind ohne Nahrung, medizinische Versorgung oder sichere Unterkunft. Es gibt Berichte über weitverbreitete Gräueltaten – darunter Folter, Massaker, sexuelle Gewalt und Plünderungen. Viele suchen Schutz im instabilen Südsudan, obwohl dort selbst große Not herrscht. Der sudanesische Bischof Yunan Tombe aus El Obeid berichtet im Interview von der dramatischen Lebensrealität.

Wieso ist der Konflikt im Sudan ein Krieg ohne Grenzen?
Dieser Krieg dreht sich um Macht und Wohlstand. In diesen Kämpfen wird mit allem gekämpft, was die Menschen haben, bei ihren Angriffen machen sie keinen Unterschied zwischen den Armen und Reichen, zwischen Jung und Alt, zwischen Moslems und Christen. Wir alle leiden sehr unter diesem Krieg, die ganze Bevölkerung.
Die Menschen, die genügend Geld haben, verlassen schnellstmöglich das Land. Die Familien ziehen mit ihren Kindern nach Ägypten, Eritrea, Uganda, Äthiopien, Tschad und in den Südsudan. Aber viele Menschen können das Land nicht verlassen, ihnen fehlt das benötigte Geld dazu.

Wie geht es den Menschen, die im Sudan verblieben sind?
Die Menschen bleiben überwiegend in ihren Unterkünften und verlassen die Häuser möglichst wenig. Sobald es kurze Waffenruhen gibt, versuchen sie zu fliehen, um an sicheren Orten Schutz zu suchen. Doch da so gut wie alles angegriffen wird, müssen die meistens Menschen mehrmals innerhalb des Landes fliehen. Die neuen sicheren Orte werden früher oder später auch angegriffen, also müssen sie wieder weiterziehen. Sie sind durchgehend auf der Flucht, ziehen von einem Ort zum nächsten. Aktuell fehlen ihnen jegliche Lebensmittel und Bildungschancen. Alle Hilfsorganisationen in der Hauptstadt Khartum sind beim Kriegsausbruch geflohen, um sich selbst zu retten. Alle versuchen zu überleben.

Wie erleben Sie persönlich die Eskalationen in ihrer Rolle als Bischof?
Der Bürgerkrieg hat alle Institutionen zerstört, nur wenige Menschen sind in den Städten geblieben, da sich dort das Militär und die Miliz bekämpfen. Ich bin trotzdem mit einigen Menschen in einer Kirche in der Stadt El Obeid geblieben. Seit 21 Monaten leben wir dort ohne Wasser, ohne Strom, ohne Internet. Ich ziehe es vor, mit den Menschen dort zu bleiben, ihnen die Hoffnung zu geben, dass dieser Krieg eines Tages enden wird. Es ist mir nicht möglich ihnen Lebensmittel, Trinkwasser oder Medizin zu geben. Den Menschen die Hoffnung zu schenken, dass wir eines Tages wieder Licht sehen werden, ist das Einzige, was ich tun kann.

Wie gehen die verbliebenen Sudanesen mit dem Leben inmitten des Bürgerkriegs um?
Diejenigen, die die Waffen haben, haben das Sagen. Wir haben keine Zeit, um über den Konflikt nachzudenken, außer darüber, dass wir uns nach friedlicheren Zeiten sehnen. Die Menschen weinen, sie hoffen auf Lebensmittel, sie beten, dass die Anführer damit aufhören, zu kämpfen und Menschen zu töten. Und wenn dieser Konflikt schon nicht endet, hoffen wir zumindest auf humanitäre Hilfe von internationalen Organisationen. Doch seit Tag eins der Eskalation sind die meisten internationalen Hilfsorganisationen gegangen. Diejenigen, die konnten, sind schnellstmöglich geflohen, sie sind ebenfalls in Gefahr vor den Angriffen der Miliz gewesen. Nur wenig humanitäre Hilfe kommt bei uns an. Die Menschen brauchen dringend Nahrungsmittel und Trinkwasser. Doch es ist keiner da, der helfen kann.
Das Interview mit Bischof Tombe wurde bei seinem Deutschlandbesuch im November 2024 geführt. Bei seiner Rückkehr im Dezember 2025 ist er zwischen die Fronten geraten: Bischof Tombe wurde bei der Einreise in den Sudan erst von der SAF überfallen und ausgeraubt. Danach wurde er gezielt von der RSF angegriffen. Bischof Tombe wurde dabei schwer verletzt. Trotz dieser Tortur ist der Bischof weiterhin entschlossen, inmitten des anhaltenden Konflikts bei seiner Gemeinde in El Obeid zu bleiben. Misereor unterstützt Partnerorganisationen vor Ort, die in Auffanglagern im Südsudan geflüchtete Sudanesen aufnehmen und diese mit Nahrungsmitteln versorgen.
Das Interview erschien zuerst im Straubinger Tagblatt.