Suche
Suche Menü

Vom Streben nach Glück

„Glück für die Welt. Die Vereinten Nationen diskutieren ein neues Wohlstandsmodell“, so heute ein Artikel auf Seite eins der Süddeutschen Zeitung. Worum geht’s? Das Himalaya-Königreich Bhutan hat zu einem Spitzentreffen bei den Vereinten Nationen in New York eingeladen. 600 hochkarätige Teilnehmer sind angekündigt, sie sollen sich mit einer neuen möglichen Wirtschaftsordnung auseinandersetzen, einem System, in dem nicht mehr der Wohlstand eines Landes im Mittelpunkt steht, sondern das Wohlbefinden, das Glück seiner Bürger. Wachstumskritik auf höchster Ebene. Ban Ki Moon kommt und Prinz Charles ist per Video zugeschaltet. Es soll um mehr Nachhaltigkeit gehen, um das Streben nach Glück als politische Maxime.

Eine neue Initiative zum Umdenken, weg vom gängigen Wachstumsmodell, hin zu einer neuen Vision, einer Alternative: Das ist ganz im Sinne MISEREORs und des Mottos „Gut leben statt viel haben.“ Denn das Wachstum stößt an seine sozialen und ökologischen Grenzen, das wird uns in unserer Arbeit täglich bewusst: Umweltverschmutzung, Artensterben, Ausdehnung von Armutsvierteln, Ressourcenknappheit. Deshalb engagiert sich MISEREOR schon seit Jahren für einen Kurswechsel hin zu einer nachhaltigeren Ökonomie.

Erfahren Sie mehr in unserem spannenden Dossier „In den Grenzen von morgen!“ 

Flatternde Lungen

„Wenn einer bald stirbt, dann kann ich das spüren“, sagt Xu Yundong und legt einem hageren Bauern die Hand auf die Schulter. „Dann flattert die Lunge.“ Xu muss es wissen: Er hat das Flattern bei so vielen gespürt: Bei seinen Kollegen in der Schleiferei für Halbedelsteine, wo er sich selbst, als einer der ganz wenigen mit abgeschlossenen zwölf Jahren Schulbildung, zum Manager hochgearbeitet hat.

Die Folgen jahrelangen Steineschleifens sind nicht zu übersehen.

Die Folgen jahrelangen Steineschleifens sind nicht zu übersehen.

Bei anderen jungen Männern aus seinem Dorf im Norden Chongqings, wo jede Familie nach der Landreform nur ein mu bekam [das entspricht einer Größe von zweieinhalb Tennisplätzen], wovon sie sich gerade so satt essen kann, und von wo bereits 1988 großen Scharen aufgebrochen sind, um in der tausend Kilometer entfernten Sonderwirtschaftszone Shenzhen Arbeit zu finden. Dann hat er das Flattern bei den Arbeitern gespürt, die wie er nach Shenzhen zurückgekehrt waren, um in jahrelangen Prozessen eine Entschädigung zu erstreiten, oder – weil sie nichts anderes gelernt hatten – weiter Steine zu schleifen, dann aber nicht mehr als Angestellte, sondern als Scheinselbständige. Read more

Widerstand als Pflicht

„Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!“, sagte Bertolt Brecht einmal zum Thema Widerstand. Ein Widerstand, der Aussicht auf Erfolg haben soll, braucht manchmal eine starke Koalition. Vor allem, wenn er sich gegen Korruption, gegen starke politische Gegenpole wendet.
Im Kampf gegen Intransparenz im Rohstoffsektor ist MISEREOR diese Koalition mit Brot für die Welt, Transparency International und dem Global Policy Forum eingegangen. Seit Jahren engagieren sich diese Organisationen für mehr Transparenz im Rohstoffhandel. Heute richtete sich ihr Widerstand in Berlin gegen die Bundesregierung, die momentan die Pläne der EU für mehr Transparenz im Rohstoffsektor blockiert. Read more

Zu gut für die Tonne

Verbraucherministerin Ilse Aigner stellt in Berlin neue Kampagne zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen vor. Das ist gut. Aber:

Heute Morgen habe ich den Abfall unseres Vier-Personen-Haushalts weggeworfen –  zwei Säcke voll mit was auch immer nach nur zwei Tagen – und mich an eine Zahl erinnert, die das Verbraucherministerium vor Kurzem veröffentlicht hat: 82 Kilogramm Lebensmittel werfe ich als Bundesbürgerin jährlich im Durchschnitt auf den Müll. Und trage damit zu den 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfällen in Deutschland bei. 11  Millionen Tonnen. Was für eine Zahl!  Unser Anteil an den über 30 Prozent, der weltweit produzierten Lebensmittel, die so wie unsere zwei Säcke heute Morgen auf dem Müll landen. Was sagt man dazu? Read more

Indonesien: „Die Indigenen leiden unter dem Palmöl-Boom“

Indonesien produziert 44 Prozent des globalen Palmöls. Rahmawati Retno Winarni von SAWIT Watch spricht im Interview über die negativen Folgen des Palmöl-Booms in ihrem Land und die Bedeutung von Information.

Welche Auswirkungen hat die Palmölproduktion auf die Umwelt Indonesiens?

Rahmawati Retno Winarni

Rahmawati Retno Winarni

Rahmawati Retno Winarni: Die industrialisierte Palmölproduktion führt zur Verarmung der Böden und zu Wasserverschmutzung. Hinzu kommt der Klimaeffekt: Wenn Torfland für neue Plantagen gerodet wird, entweichen riesige Mengen CO2. Doch die Regierung setzt auf das Wachstum, das durch die Palmölindustrie angeschoben wird. Die Politiker glauben an den Trickle-Down-Effekt, also daran, dass Wohlstand von oben nach unten bis in die ärmsten Schichten dringt und damit alle vom Wirtschaftswachstum profitieren.

Der Plan der Regierung – Wohlstand für alle – ist an sich gut. Geht er auf?

Rahmawati Retno Winarni: Nein. Vor allem die Indigenen leiden unter dem Palmöl-Boom. Viele verlieren durch die Ölplantagen ihr Land, ihre Existenzgrundlage, ihre Gesundheit und ihre Kultur. Und wer sich dagegen wehrt, wird kriminalisiert. Es gibt Gewalt, Morde und Vertreibungen. Trotzdem fördert die Regierung die Palmölindustrie. Zum einen verabschiedet sie entsprechende Gesetze und erlässt Regelungen. Zum anderen ist die Unterstützung ganz konkret.

Was bedeutet das?

Rahmawati Retno Winarni: Manchmal vergibt die Regierung beispielsweise „Land ohne Menschen“ an Unternehmen. Dieses Land ist allerdings nur allzu oft von Indigenen bewohnt. Das Katastersystem Indonesiens ist nicht gut. Es ist gerade für Indigene schwierig, Besitzrechte an ihrem Land zu beweisen. Manchmal helfen Regierungsvertreter auch dabei, Indigene unter Druck zu setzen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Als ich meine Arbeit bei SAWIT Watch begann, besuchte ich ein Dorf der Dayak Ibun im Herzen Borneos – umgeben von Plantagen. Als wir nach zehnstündiger Fahrt durch matschige Straßen im Dorf ankamen, empfingen die Indigenen mich mit einer traditionellen Zeremonie. Die Dayak sind sehr gastfreundlich. Und das nutzen die Mächtigen aus. Die Palmölplantage sollte wachsen, dafür brauchten die Betreiber weitere Flächen. Um Druck auszuüben, kam ein Kommunalpolitiker mit einer Delegation des Unternehmens nachts per Hubschrauber ins Dorf geflogen. So signalisierte er, dass es wichtige Leute sind, die das Land wollen – und die Dayak unterzeichneten.

Wovon leben die Menschen, wenn sie ihr Land verkauft haben? Vom Verkaufserlös?

Rahmawati Retno Winarni: Oft erhalten sie gar kein Geld für ihr Land. Es ist ein Tauschgeschäft: Land gegen Ölpalmen. Angenommen ein Indigener hat 7,5 Hektar Land, das er bewirtschaftet. Eines Tages kommen Investoren und bieten ihm folgenden Deal an: Für fünf Hektar seines Landes und eine bestimmte Summe Geld erhält er Ölpalmen, die er auf den verbliebenen 2,5 Hektar anbauen kann. Die Ölpalmen muss er nicht gleich bezahlen, sondern kann sie mit der Ernte verrechnen. Danach gehören die Palmen auf den 2,5 Hektar ihm und er kann mit den Erträgen Geld erwirtschaften. Das ist die Theorie. In der Praxis kenne ich viele Fälle, in denen die Menschen am Ende weniger Land hatten als besprochen, weniger Ölpalmen per Hektar oder das Land nach Abzahlung gar nicht erhielten. Hinzu kommt, dass Ölpalmen viel Wasser und Dünger brauchen und es mindestens vier Jahre bis zur ersten Ernte dauert. Indigene und Kleinbauern aber haben kaum finanzielle Rücklagen, um die Zeit bis zur ersten Ernte zu überstehen. Und selbst wenn sie die Ernte einholen, müssen sie die Früchte an Ölmühlen verkaufen, die den großen Unternehmen gehören. Weil die Früchte sehr schnell nach der Ernte verarbeitet werden müssen, haben sie kaum Verhandlungsmacht, was die Preise angeht.

Wieso lassen sich Indigene auf solche Geschäfte ein?

Rahmawati Retno Winarni: Ihr Eigentumsverständnis ist ein ganz anderes. Das Land ist Gemeinschaftsland. In ihrem Verständnis verleihen sie es nur. Oft wissen sie einfach nicht genug, um die Situation wirklich beurteilen zu können.

SAWIT Watch setzt sich für die Rechte der Indigenen und Kleinbauern ein. Wie arbeitet Ihre Organisation?

Rahmawati Retno Winarni: Wir informieren die Menschen, was in Indonesiens Wäldern geschieht. Die Gesellschaft muss wissen, welche Bedingungen auf den Plantagen herrschen. Wir informieren auch Kleinbauern, Indigene und Plantagenarbeiter über ihre Rechte, über das Wirtschaftssystem und gute Anbaumethoden. Damit sie unabhängig bleiben können. Durch politische Arbeit versuchen wir, die weitere Ausbreitung von Palmölplantagen zu verhindern. Und dort, wo bereits Plantagen existieren, müsse die Rechte der Bewohner gewahrt werden. Indigene müssen Zugang zu politischen Prozessen haben. Die Regierung muss anerkennen, dass die Menschen existieren.

Palmöl ist in vielen Produkten, in Eis, Joghurt, Schokolade, in Kosmetikprodukten und natürlich in Biotreibstoff. Was können Verbraucher in Deutschland tun, um Ihre Arbeit zu unterstützen?

Rahmawati Retno Winarni:  Sie können Palmölprodukte nicht vermeiden. Umso wichtiger ist es, zu wissen, wie das Palmöl produziert wird. Die Konsumenten sollten von den Produzenten verlangen, nachhaltige Produkte herzustellen, die nicht auf Menschenrechtsverletzungen beruhen.


 

Karneval und Indigene Völker – Spaß für alle

Der Karneval in Lateinamerika findet nicht nur in Río de Janeiro statt.  Die kulturelle Vielfalt der Karnevalstraditionen auf dem Subkontinent ist riesengroß: Besitzt Brasilien vielleicht den spektakulärsten, Uruguay vielleicht den längsten, Bolivien vielleicht den buntesten und Argentinien den vielleicht witzigsten Karneval, die verschiedenen Kulturen Lateinamerikas sind auch gerade hier herrlich vielfältig.  Auch in der nordargentinischen Provinz Formosa, an der Grenze zu Paraguay gelegen und eine der ärmsten Regionen im südlichen Lateinamerika, wird Karneval gefeiert. Und zwar von der ganzen Bevölkerung.

"Agrupación Ele": Jugendliche gründen erste Karnevalsgruppe des Wichi Volkes im Norden Argentiniens

„Agrupación Ele“: Jugendliche gründen erste Karnevalsgruppe des Wichi Volkes im Norden Argentiniens

Was dieses Jahr allerdings in dem kleinen Ort Las Lomitas, im Herzen der Provinz gelegen, passierte, war schon ein weit beachtetes Novum: zum ersten mal in der Geschichte nahm hier eine indigene Karnevalsgruppe an dem jährlich veranstalteten Umzug teil. Es waren 55 Kinder und Jugendliche des Wichi-Volkes, die dieses Jahr so nicht nur für  lokale angeregte Diskussionen sorgten. Die Gruppe der 9-19 jährigen Mädchen und Jungen leben in drei indigenen Gemeinde und hatten sich schon vor Monaten zusammengeschlossen, um jetzt im März gemeinsam am Karnevalsumzug teilzunehmen. Der Name ihrer Karnevelsgruppe lautet „Agrupación Ele“, was in der Wichi-Sprache „Papagei“ heisst. Die Mitglieder einigten sich auf diesen Namen, da der in ihrem Habitat lebende Papagei in der Vision der Kids die Fähigkeit besitzt, von anderen Kulturen, ihren Gebräuchen und Sprachen zu lernen. Auch die Farben der Kostüme der Gruppe wurden gemeinsam festgelegt: Grün für die Natur, Gelb für die Früchte des in ihren Territorien wachsenden hitze- und trockenresistenten Johannesfruchtbaums und Braun für den Lehm, aus dem ihre Hütten und Häuser sind. Read more