Suche
Suche Menü

Hunger und Verwerfungen in der Sahel-Region – was nun?

Die Bundesregierung hat diese Woche ihre Aufmerksamkeit auf das westliche Afrika gerichtet. Außenministerin Baerbock besuchte den Senegal und die Elfenbeinküste, um dort Deutschlands Verhältnis zu wichtigen Politik- und Wirtschaftsakteur*innen auf eine neue Grundlage zu stellen. Gleichzeitig lud Bundesentwicklungsministerin Schulze zu einer internationalen Konferenz in Berlin ein, auf der es um die Unterstützung der Sahel-Region ging. Die Region sieht sich mit zahlreichen Herausforderungen und geopolitischen Umwälzungen konfrontiert.

© Canva
© Canva

Diese deutsche Charmeoffensive hat einen klaren Ausgangspunkt: In den Sahel-Ländern Mali, Niger und Burkina Faso haben zuletzt europakritische, russland-freundliche Militärregierungen die Macht übernommen. Dies hat große Spannungen innerhalb der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) ausgelöst, die im Januar 2024 zum Austritt der sogenannten Allianz dieser drei Sahel-Staaten (AES: Burkina Faso, Mali und Niger) führten. Die diplomatischen Beziehungen sind seitdem angespannt und Deutschland fürchtet um seine politischen Interessen: So muss der Bundeswehr-Luftwaffenstützpunkt in Niamey bis Ende August geräumt werden, während jihadistische Gruppierungen weiterhin blutige Anschläge auf die wehrlose Bevölkerung verüben und inzwischen auch westafrikanische Küstenstaaten bedrohen. Erneut steigt die Zahl der Menschen, die fliehen müssen. Als Binnenflüchtlinge sind sie vom Wohlwollen der Gastdörfer oder der Lieferung von Nahrungsmittel abhängig. Ein Teil versucht über das Mittelmeer Europa zu erreichen, die Zahl steigt aktuell wieder. Der Alltag der meisten Menschen vor Ort bleibt geprägt von schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen, Ernährungsunsicherheit, Strommangel und staatlicher Fragilität.

Das berichten die Misereor-Partner:

Wir haben mit unseren Partnerorganisationen vor Ort gesprochen. Sie alle berichten über die besorgniserregende Sicherheitslage in Teilen ihrer Länder, vor allem den Grenzregionen. Dort kommt es regelmäßig zu bewaffneten Überfällen. Banditentum und Kleinkriminalität sind weit verbreitet, während die Präsenz des Staates zu wünschen übriglässt. Dies beeinträchtigt die landwirtschaftliche Produktion und den Handel: Vielerorts ist der Zugang zu Anbau- und Weideflächen versperrt, landwirtschaftliche Produktionsmittel wurden zerstört, Nutztiere gestohlen oder getötet. Die Sicherheitskrise erschwert auch die allgemeine Bewegungsfreiheit: Bestimmte Reisen werden nur noch tagsüber angetreten, Versorgungsströme sind dauerhaft unterbrochen, Besucherzahlen auf Wochenmärkten gehen zurück. Dazu kommen wachsende Abgaben (z.B. auf Getränke, Telefon- und Fernsehprodukte), die der staatlichen Kriegsfinanzierung dienen und sich im Alltag der Menschen bemerkbar machen.

Umstritten ist, inwiefern sich die wirtschafts- und handelspolitischen Umwälzungen, wie die Spaltung der ECOWAS, die temporären Grenzschließungen und Wirtschaftssanktionen gegen die AES-Staaten, auf den Lebensalltag der Menschen in ländlichen Regionen auswirken. Die Partner zeichnen ein Bild erheblicher regionaler Unterschiede.

Mali:

Vor allem die Partner aus Mali erklären, dass sich die Auswirkungen der Abspaltung der AES und der damit verbundenen Sanktionen bisher klar in Grenzen halten. Sie betonen, dass sowohl der regionale als auch der grenzüberschreitende Handel von Schlüsselprodukten wie Baumwolle, Erdnüssen, Obst, Getreide und Lebendvieh ohne größere Unterbrechungen weitergehe. Auch die Personenfreizügigkeit sowie der Zugang zu Märkten und Betriebsmitteln (wie Saatgut, Dünger und Tierfutter) bleibe weitestgehend unbeeinträchtigt. Da es sich beim ECOWAS-Austritt und der AES-Neugründung um einen längeren Prozess handelt, rechnen sie aber mit spürbaren Konsequenzen (z.B. Preisanstiegen, Nahrungsmittelengpässen und Exporteinschränkungen) – wenn überhaupt – erst zu einem späteren Zeitpunkt. Abgesehen von Brotweizen und asiatischem Reis, so die Sicht der Partnerorganisationen, sei die kleinbäuerliche Landwirtschaft weiterhin das verlässliche Rückgrat für die Nahrungsmittelversorgung der malischen Bevölkerung.

Burkina Faso und Niger:

Andere Partner, vor allem in Burkina Faso[1] und Niger, betonen hingegen, die Abspaltung habe die ohnehin schon prekäre Lage in ihren Ländern – verursacht durch jihadistische Gewalt und die Auswirkungen der russischen Ukraine-Invasion – enorm verschärft. Sie berichten von rückläufiger Wirtschaftsaktivität, unterbrochenen Lieferketten und starken Preisanstiegen seit Anfang 2023. Alles werde teurer: Strom, Treibstoff, Saatgut, Betriebsmittel. Dies erschwere die landwirtschaftliche Produktion ebenso wie die Vermarktung von Erzeugnissen. Auf den Märkten haben sich die Preise für Grundnahrungsmittel (wie Hirse, Reis, Erdnüsse, Zucker und Früchte) teils mehr als verdoppelt. Vielerorts herrsche eine Unterversorgung und Lebensmittelengpässe werden immer spürbarer. Auch muss eine wachsende Zahl intern vertriebener Menschen, die oftmals in fremden Dörfern unterkommen, ernährt werden. All dies führe zu wachsender Ernährungsunsicherheit, und viele Bauernfamilien seien nicht mehr in der Lage, dreimal täglich zu essen. In Teilen des Nigers drohe sogar eine Hungersnot. Ständige Angriffe der Jihadisten sowie eine schlechte Vorjahresernte seien hierfür die Hauptursachen.

Das braucht es jetzt:

Für Deutschland folgt daraus vor allem eines: Es bedarf weiterhin einer Offenheit, mit den neuen Machthabern und der Zivilgesellschaft in Burkina Faso, Mali und Niger zusammenzuarbeiten. Gerade jetzt braucht es gute Angebote, um die Belange der ländlichen Bevölkerung in den drei Ländern gemeinsam anzugehen. Dies erfordert schnelle und greifbare Maßnahmen

  1. zur Eindämmung und Abfederung der Preissteigerungen von Grundnahrungsmitteln, Energie und Betriebsmitteln.
  2. zur Steigerung der lokalen, nachhaltigen Lebensmittelproduktion durch kleinbäuerliche Betriebe und Tierhalter. Unbürokratische Förderprogramme zum Einkauf und skalierten Einsatz von angepasstem Saatgut, organischen Düngemitteln und biologischen Schädlingsbekämpfungsmethoden könnten hier helfen.
  3. zur Unterstützung von Binnenflüchtlingen. Beispielsweise sollte ihnen der Zugang zu Ackerland oder Weideland erleichtert werden; dafür könnte der Staat für Investoren ausgewiesenes Land in sogenannten Entwicklungspolen zur Verfügung stellen.

Leider muss davon ausgegangen werden, dass die handelspolitischen Umwälzungen in Westafrika – im Zusammenspiel mit extremistischer Gewalt und dem Krieg in der Ukraine – auch künftig eine störende Wirkung auf regionale Agrarmärkte entfalten und somit Versorgungsengpässe, Preisanstiege und Hunger forcieren. Dem sollte, in Zusammenarbeit mit lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen, entschlossener entgegengetreten werden – auch, um den Akzeptanzverlust westlicher Regierungen abzufedern.


[1] In Teilen Burkina Fasos kommt es zunehmend zu ethnischen Konflikten. Besonders Pastoralisten, vornehmlich Peulh, geraten ins Visier gezielter Angriffe. Da sie sich in ländlichen Regionen nicht mehr sicher fühlen, sind viele in die Anonymität der größeren Städte geflüchtet. Angesichts der prekären Sicherheitssituation ist ihr Lebensunterhalt durch die mobile Tierhaltung fast vollständig zusammengebrochen.

Geschrieben von: und

Carsten Bockemühl, Experte für afrikapolitische Lobbyarbeit @Claudia Fahlbusch

Carsten Bockemühl ist Experte für afrikapolitische Lobbyarbeit bei Misereor.

Avatar-Foto

Dr. Sabine Dorlöchter-Sulser ist Referentin für den Bereich ländliche Entwicklung in Afrika bei Misereor.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Wenn man sich die „Culture of Violence Scale 2023“ ansieht so wird klar, dass es bereits innerhalb vieler afrikanischer Staaten eine hohe Akzeptanz der Gewalt gibt, die sich in fehlenden Schutzgesetzen (z.B. für Kinder, für Frauen) zeigt. Insoferne könnte für einen nachhaltigen Frieden eine „konditionale“ Entwicklungspolitik sinnvoll sein, die derartige Schutzgesetze einfordert. Das könnte ein wichtiger Fokus aller Triple Nexus / HDP Nexus Strategien sein, meint der Friedensforscher Franz Jedlicka.

    Martina

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.