Durch Klimaschutzprojekte im Globalen Süden möchten immer mehr Konzerne und Unternehmen ihre Klimabilanz auf ‚klimaneutral‘ stellen. Doch einige dieser internationalen Projekte, die eigentlich dem Klimaschutz dienen sollen, lassen andere wichtige Aspekte außer Acht – wie die Land- und Menschenrechte der betroffenen Menschen vor Ort. Das zeigt auch ein aktuelles Beispiel aus Tansania: Die afrikanische Volksgruppe der Maasai gerät durch die geplanten Vorhaben massiv unter Druck. Auch der deutsche Autohersteller Volkswagen ist in diesen Fall involviert.

Besonders im Flugverkehr und in der Automobilbranche wird verstärkt auf die Kompensierung von CO2-Emissionen gesetzt, um Unternehmen als klimaneutral auszuweisen. Unternehmen wie beispielsweise Lufthansa oder Volkswagen setzen also darauf, ihre verursachten CO2- Emissionen wiedergutzumachen, indem sie sogenannte Emissionszertifikate kaufen, die wiederum Klimaschutzprojekte finanzieren. Doch nicht alle diese Klimaschutzprojekte sind so nachhaltig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen.
Die Emissionszertifikate finanzieren beispielsweise nachhaltige Bodenkohlenstoff-Projekte im Ausland, wie das „Longido and Monduli Rangelands Carbon Project“, das von Soils for the Future Tanzania Ltd. durchgeführt und von Volkswagen ClimatePartners finanziert wird; sowie das „Resilient Tarangire Ecosystem Project“ von The Nature Conservancy. Bei beiden Bodenkohlenstoff-Projekten soll die Nutzung der Weideflächen der Hirtenvölker der Maasai verändert werden, damit zusätzlicher Kohlenstoff im Boden gespeichert werden kann und dadurch Kohlenstoffemissionen kompensiert werden.

Die Maasai International Solidarity Alliance (MISA) führte im Januar 2025 im Norden Tansanias eine umfassende Untersuchung dieser beiden Projekte durch. Dazu besuchte das Forschungsteam von MISA elf betroffene Dörfer, um die Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung zu dokumentieren. Die Studie enthüllt eine Reihe von Ungereimtheiten: zweifelhafte Vorabzahlungen an Dörfer, intransparente und teilweise gesetzeswidrige Vertragsabschlüsse unter Druck und Fehlinformationen, die Nichteinhaltung völkerrechtlicher Normen sowie den Kontrollverlust der Dörfer über ihr Weideland. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass beide Bodenkohlenstoff-Projekte gravierende Mängel aufweisen.
Mangelnde Einbindung der lokalen Bevölkerung
Die unzureichende Einbindung der Bevölkerung zieht sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche der Projektplanung. Während insbesondere Frauen und Jugendliche systematisch kaum einbezogen werden, mangelt es in den betroffenen Gemeinden an grundlegendem Wissen über Kohlenstoffmärkte und Vertragsbedingungen, wie die Anwohnenden in den betroffenen Gebieten Tansanias berichten:
„Ich weiß nicht, dass ein Kohlenstoffprojekt in unser Dorf kommt. Eigentlich weiß ich nicht einmal, wovon Sie sprechen. Ich habe in der Schule von Kohlenstoff gehört, aber ich weiß überhaupt nicht, was ein Kohlenstoffprojekt sein soll.“*
Aussagen wie diese hörte das Forschungsteam bei den Besuchen vor Ort häufiger. Ohne die aktive und umfassende Einbeziehung der betroffenen Gemeinden ist eine faire Gestaltung der Projekte nicht möglich. Dies zeigt sich auch daran, dass die Interessen und Rechte der Maasai in den Projekten unzureichend berücksichtigt werden.

So gefährdet beispielsweise die in den Projekten neu festgelegte rotierende Weidehaltung die traditionellen Weidepraktiken der Maasai. Diese wurden über Generationen weitergegeben und sind ein wichtiger Bestandteil der Identität der ostafrikanischen Maasai-Gemeinschaften. Die mobile Tierhaltung der Maasai ist nicht nur eine zentrale Säule für ihren Lebensunterhalt, sondern trägt maßgeblich zur Erhaltung und Resilienz der Weidegebiete bei. Das Gefühl, dass diese traditionellen Praktiken durch die Projekte gefährdet werden, führt zu tiefer Verzweiflung, wie eine weitere Person vor Ort schildert.
„Ich habe Angst, dass wir auf lange Sicht unser Land verlassen müssen, so wie es in Ngorongoro geschehen ist.“*
Die Maasai stehen unter starkem Druck Verträge mit den Trägern der Kohlenstoff-Projekte abzuschließen. Dies verstärkt die Befürchtungen über langfristige Beschränkungen der Landnutzung und kulturelle Konflikte. Zudem besteht die Gefahr des Landgrabbings, bei dem ausländische Investoren das Land der Maasai für private Klimainvestitionen nutzen könnten und dadurch die Nutzung der Gebiete für die lokale Bevölkerung stark eingeschränkt wird.
MISA fordert daher ein sofortiges fünfjähriges Moratorium – also einen Stopp für alle Bodenkohlenstoffprojekte auf den Weideflächen der Maasai. So könnten auf nationaler und internationaler Ebene menschenrechtlich verbindliche Rahmenbedingungen in den Projektplanungen verankert werden und die Bevölkerung umfassend beteiligt werden.

Das zweifelhafte Geschäft mit den Emissions-Zertifikaten
„Wir haben gehört, dass die Luft in Europa aufgrund der Industrie sehr schlecht ist. Mit dem Kohlenstoffprojekt verkaufen wir unsere gute Luft an die armen Menschen in Europa, die kaum noch atmen können.“*
Mit diesem Zitat einer befragten Person wird die grundsätzliche Ironie solcher Emissionszertifikat-Programme zu Tage getragen – Wirtschaftsakteure aus dem globalen Norden, die auf Kosten des Klimas hohe Gewinne erzielen, outsourcen das Problem ihrer umweltschädlichen Emissionen, indem sie sich in Klimaprojekte einkaufen. Die negativen Folgen tragen – mal wieder – lokale Bevölkerungen im globalen Süden.
Über den Horizont des fünfjährigen Moratoriums hinaus sollte daher eine grundlegende globale Reform des freiwilligen Kohlenstoffmarktes umgesetzt werden, um zu verhindern, dass Kohlenstoffprojekte weiterhin als Instrument für Greenwashing und Landgrabbing missbraucht werden. Nationale und internationale politische Entscheidungsträger müssen handeln, um sicherzustellen, dass der Klimaschutz nicht als Vorwand für Menschenrechtsverletzungen und Vertreibung indigener Gemeinschaften genutzt wird. Konzerne wie Volkswagen müssen ihrer unternehmerischen Verantwortung entsprechend nachkommen.
*alle Zitate stammen von Bewohner*innen in den betroffenen Gemeinden und wurden zu deren Schutz anonymisiert