Am 15. September ist die Menschrechtlerin Pilar Coll in Lima verstorben. Ich betrachte es als ein Geschenk, dass ich Pilar seit vielen Jahren persönlich gekannt habe. In der Eucharistiefeier am Tag ihrer Kremation hat mich eine symbolische Handlung tief berührt, da sie auf einfache Weise zum Ausdruck brachte, was Pilar zutiefst charakterisiert hat.
Zusammen mit Brot und Wein wurde der Stock, auf den sich Pilar in den letzten Jahren wegen ihrer Knieprobleme beim Laufen gestützt hatte, nach vorn getragen und auf ihren Sarg gelegt. Die zunehmenden gesundheitlichen Beschwerden hinderten Pilar nicht daran, sich weiterhin mit ganzem Herzen in der Verteidigung der Menschenrechte und für mehr Gerechtigkeit in Peru einzusetzen. Mit Hilfe des Stockes ging sie diesen Weg weiter. Der Stock als Stütze erinnerte zugleich daran, dass Pilar sich nie als Einzelkämpferin verstanden hat. Im Rückblick auf ihr Leben betonte sie vielmehr: „Ich habe es als ein Geschenk Gottes erfahren, dass ich viele Weggefährtinnen und -gefährten habe, mit denen ich in Freundschaft verbunden bin. Das hat mir immer wieder Kraft geschenkt für meine Arbeit, insbesondere in schwierige Situationen.“
Pilar war eine gebürtige Spanierin aus Huesca, die Peru zu ihrer Wahlheimat gemacht hatte.
In ihrer Kindheit erlebte sie die schlimmen Folgen von Gewalt, als während des spanischen Bürgerkrieges ihr Vater und vierzehn weitere Familienangehörige ermordet wurden. Wie sie selbst später sagte, hat diese zutiefst schmerzliche Erfahrung ihre Option geprägt, sich in ihrem Leben entschieden für die Verteidigung der Menschenrechte einzusetzen. Sie studierte Zivilrecht in Barcelona und kam 1967 nach ihrem Eintritt in ein missionarisches Säkularinstitut nach Peru. Hier war sie zunächst in der Stadt Trujillo als Lehrerin und in einem Alphabetisierungsprogramm für die Insassen im Frauen- und im Männergefängnis tätig. Zehn Jahre später zog sie nach Lima, wo sie als Mitglied des Pastoralteams in der Jesuitenpfarrei „Jungfrau von Nazaret“ im „El Agustino“, einem großen Armenviertel am Stadtrand von Lima, arbeitete. Dort unterstützte Pilar die Frauen beim Aufbau von Gemeinschaftsküchen, gab Weiterbildungskurse für Frauen und setzte sich erfolgreich für die Gründung einer Menschenrechtskommission in der Pfarrei ein.
Pilar war eine Pionierin in der Menschenrechtsarbeit in Peru und hat die Menschenrechtsbewegung im Land entscheidend geprägt, ja sie ist zu einer Symbolfigur dieser Bewegung geworden. Dazu wurde sie von ihrer Glaubensüberzeugung bewegt, dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist und daher eine unveräußerliche Würde besitzt, die anerkannt und geschützt werden muss. Daher engagierte sich Pilar zunächst in der „Bischöflichen Kommission für die Soziale Aktion“ (CEAS) in der Verteidigung der Menschenrechte in Peru. Von 1987 bis 1992 arbeitete sie dann als erste Generalsekretärin der „Coordinadora de Derechos Humanos“, einer Koordinierungsstelle für Menschenrechtsarbeit im Land, die aufgrund des internen bewaffneten Konflikts in Peru gegründet worden war. In dem genannten Konflikt geriet die peruanische Gesellschaft zunehmend in einen jahrezehntelangen Strudel von der Gewalt, in dem die verschiedenen bewaffneten Akteure unzählige Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen. In dieser gefährlichen Situation zeigte sich die große Gabe Pilars, zahlreiche Menschenrechtsorganisationen kirchlicher und nicht-kirchlicher Prägung zusammenzubringen und zu motivieren, ihre Arbeit effektiv zum Wohl der Opfer von Gewalt zu koordinieren und mit einer gemeinsamen Stimme in der Öffentlichkeit zu sprechen. Pilar hat entscheidend dazu beigetragen, dass die „Coordinadora de Derechos Humanos“ zu einer moralischen Instanz im Land geworden ist. Denn sie arbeitete unermüdlich in der Verteidigung der Rechte tausender Menschen, die verhaftet und gefoltert wurden sowie in Polizei- und Militärhaft „verschwanden“.
Auf nationaler Ebene regte sie gemeinsam mit anderen Akteuren mehrere öffentliche Kampagnen an, wie z.B. die Kampagne zur Aufklärung der Schicksale der „Vermissten“ bzw. „Verschwundenen“ und die Kampagne gegen die Todesstrafe. Zusammen mit Anderen rief sie die zivilgesellschaftliche Bewegung „Peru, Leben und Frieden“ ins Leben. Nach dem Ende des bewaffneten internen Konflikts unterstützte sie ehrenamtlich die Arbeit der „Wahrheits- und Versöhnungskommssion“ (WVK) Wie der peruanische Befreiungstheologe Gustavo Gutierrez in seiner Botschaft zum Tod von Pilar hervorhob, wurde sie „durch ihr Engagement an gefährliche Orte geführt. Ihr Leben war ein Zeugnis der Treue zu den Ärmsten der Armen, zu denen, die gesellschaftlich bedeutungslos sind in unsrem Land; es war ein Zeugnis aufgrund von Pilars unermüdlichem Einsatz für Gerechtigkeit und aufgrund ihrer tiefen Überzeugung, dass jeder Mensch eine unveräußerliche Würde besitzt.“
Nach der Veröffentlichung des Berichts der WVK im August 2003 stieß Pilar gemeinsam mit Anderen die zivilgesellschaftliche Bewegung „Para que no se repita“ („Damit es [d.h.die Gewalt] sich nicht wiederholen möge“) an. Außerdem arbeitete sie während der vergangenen sieben Jahre ehrenamtlich in der Kommission für die Wiedergutmachungsleistungen des Staates gegenüber den Opfern von Gewalt im internen bewaffneten Konflikt.
Was Pilar zutiefst charakterisierte, ist zudem, dass sie dreißig Jahre lang bis zu ihrem Tod in der Gefängnispastoral tätig war. Zweimal wöchentlich besuchte sie die Insassinnen im Frauengefängnis in Chorillos (Lima) und setzte sich dafür ein, dass den Frauen dieselben Rechte wie den Männern zugestanden werden (Bewegungsfreiheit innerhalb des Gefängnisses, Recht auf Kommunikation und auf Beziehung mit den Familienangehörigen etc.). Sie begegnete den Frauen im Gefängnis mit viel Herzenswärme. Es ist bezeichnend, dass anlässlich des 80. Geburtstages von Pilar die Insassinnen eine große Feier im Gefängnis für sie ausrichteten und ihr dabei sagten: „Danke, Pilar, dass du uns das Recht auf Zärtlichkeit gelehrt hast.“
Uns allen, die wir Pilar näher gekannt haben, werden das gewinnende und warme Lächeln in ihren Augen, ihre starke Persönlichkeit, ihre große Wahrhaftigkeit und Empathie sowie ihre widerständige Hoffnung und ihr unermüdliches Engagement für die Menschenrechte in lebendiger Erinnerung bleiben.
Danke, Pilar, für dein ermutigendes Lebenszeugnis!
Über die Autorin: Birgit Weiler gehört der Ordensgemeinschaft „Missionsärztliche Schwestern“ an und ist seit vielen Jahren in Peru tätig, wo sie sich sozial und pastoral, im Umweltschutz sowie in der Friedensarbeit engagiert.