Seit dem letzten Gipfel in Deutschland vor acht Jahren hat sich die Welt dramatisch verändert: Die Klima- und Umweltkrise spitzt sich zu. Das Dogma des grenzenlosen Wirtschaftswachstums ist massiv in die Kritik geraten, die Finanzkrise hat den Euroraum und damit die Wirtschaft einiger G7 Staaten destabilisiert. Die globale Ungleichheit hat sich weiter verschärft: Im kommenden Jahr, so schätzt eine groß angelegte Studie, wird 1 Prozent der Weltbevölkerung über ein größeres Vermögen verfügen als die übrigen 99 Prozent.Die G7 Staaten repräsentieren schon lange nicht mehr die sieben stärksten Volkswirtschaften. Sie verlieren an Macht, sich mit wirtschaftspolitischen Vorgaben weltweit durchzusetzen. Und sie verlieren an Einfluss auf andere Länder. Die Konkurrenz wächst mit aufstrebenden Staaten wie China, Indien und Brasilien. Eine neue Ordnung mit vielen Machtakteuren entsteht. Darum haben auch seit 2009 die G20 das Sagen in Sachen globaler Wirtschaftsfragen. Die Gruppe der Zwanzig ist ein Zusammenschluss von 19 Industrie- und Schwellenländern zusammen mit der EU.
Wozu die G7: ein überflüssiges Relikt aus dem 20. Jahrhundert?
Der Ansatz der G7 ist veraltet, Weltpolitik im kleinen, westlichen Club zu machen. Und er ist sogar schädlich, weil dadurch Entscheidungen der UNO behindert werden, die demokratischer sind. Bei der UNO sitzen die Länder des Südens mit am Tisch, bei der G7 nicht. Die G7 haben darauf reagiert und definieren sich neuerdings als „Wertegemeinschaft“. Doch was ist damit gemeint? Wir erinnern uns gut an die Bilder von Heiligendamm, Kanzlerin Merkel im Strandkorb zwischen Bush und Putin. Diese Bilder mögen der Kanzlerin genutzt haben. Für große Gesten aber werden die G7 im Jahr 2015 definitiv nicht mehr gebraucht. „Wertegemeinschaft“ muss weit mehr bedeuten als ein unverbindliches Abstimmungstreffen zur Ukraine-Krise unter großem Tam-Tam.
Menschenrechte werden in globalen Lieferketten verletzt
Spannender als vage Abschlusserklärungen zu allgemeinen handels- und außenpolitischen Fragen sind die konkreten Themen, die die Bundesregierung auf die Agenda gesetzt hat: Standards in globalen Lieferketten, Meeresschutz, Stärkung von Frauen und Fragen zur Gesundheitspolitik, insbesondere das Thema Antibiotika-Resistenzen und vernachlässigte tropische Krankheiten.
Betrachten wir das Beispiel „Lieferketten“: Die weltweite Ungleichheit ist so groß wie nie und ausgerechnet die G7, selbst ein Symbol für die Macht des Westens gegenüber dem Rest der Welt im 20. Jahrhundert, setzt ein Thema auf die Tagesordnung, in dem sich die Ungerechtigkeit der Globalisierung manifestiert. Bei Fabrikbränden und -einstürzen in Südasien starben im Jahr 2012 und 2013 tausende Näherinnen, die in Zulieferketten für KIK & Co. im Akkord Textilien nähten. Teepflückerinnen, die in Sri Lanka, in Ost- und Südindien oder in Malawi Tee für den Weltmarkt produzieren, haben keine Chance auf einen festen Lohn, werden am Arbeitsplatz sexuell diskriminiert und leiden vielfach selbst an Hunger. Der erhebliche Kupferbedarf der deutschen Elektrotechnik- und Automobilindustrien wird über Lieferketten aus Ländern wie Peru gewonnen, wo Konflikte um Bergbauvorhaben eskalieren und das Recht auf Wasser, Nahrung und Gesundheit lokaler Gemeinschaften verletzt wird.
Regulierung oder nur Freiwilligkeit?
Arbeitsministerin Andrea Nahles und Entwicklungsminister Gerd Müller haben manche dieser Skandale offen benannt. Was sie aber bislang an Lösungsansätzen vorgestellt haben, bleibt in der Freiwilligkeit stecken. So will die Bundesregierung eine öffentlich zugängliche Bewertung von Siegeln für Verbraucher vornehmen – Dieser Ansatz ist nicht schlecht. Es ersetzt aber nicht die Notwendigkeit, die EU Richtlinie zur „Offenlegung nicht-finanzieller Information“ umzusetzen, die verbindlich auch über negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt in Lieferketten informieren würde. Unbedingt notwendig ist außerdem eine Überführung der sogenannten „menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht“ von multinationalen Unternehmen. Konzerne müssen systematisch sicherstellen, dass Risiken zu Menschenrechtsverletzungen in ihren gesamten Zulieferketten verhindert werden – nicht nur bei ihren Tochterfirmen. Diese Ansätze zur Regulierung sind es, die sich die westlichen Staaten auf ihre sieben Fahnen schreiben müssen. Nur dann verdient der Club der Sieben auch den Namen der „Wertegemeinschaft“.
Am 7. und 8. Juni reisen die Regierungschefs aus Frankreich, Italien, Großbritannien, Kanada, Japan und den USA zum G7-Gipfel ins bayerische Schloss Elmau an. Doch diese sieben Staaten stellen heute bei weitem nicht mehr die einzig Mächtigen dar: Aufstrebende Nationen wie China, Indien oder Brasilien haben an Einfluss gewonnen.
Die Zeiten, in denen die G7 Weltpolitik im kleinen, exklusiven Club machen konnten, sind lange vorbei. Die G7 verstehen sich heute in erster Linie als „Wertegemeinschaft“. Doch diesem Anspruch können sie nur gerecht werden, wenn sie nicht bei unverbindlichen Absichtserklärungen bleiben, sondern ambitionierte Klimaziele und Menschenrechtsstandards vereinbaren.