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Amazonas-Synode: Teilen anstatt besitzen

Der Oktober wird in diesem Jahr ein besonderer Monat für Amazonien, für die Kirche, für MISEREOR, unsere Partner und für mich: Bei der „Amazonien-Synode“ in Rom beraten Bischöfe, Ureinwohner aus dem Amazonasgebiet und ihre Sprecherinnen und Vertreter mit Umweltfachleuten und Theologen über die Zukunft dieses riesigen Lebensraumes, der gleichsam die Lunge unseres Planeten ist.

Der Fluss Tapajos, ein Seitenarm des Amazonasstroms in Brasilien. © Florian Kopp I MISEREOR

Die Rechte und den Lebensraum der indigenen Bevölkerung zu schützen ist MISEREOR seit jeher ein dringendes Anliegen. Erlauben Sie mir, gemeinsam mit Ihnen den folgenden drei Begriffen nachzuspüren und zuschildern, warum sie mich in der Vorbereitung dieses Treffens so sehr beschäftigen.

Das erste Wort: Teilen

Zu Beginn meiner fünfzehn Jahre in Brasilien kam es zu folgender Begegnung: Ich besuchte ein Dorf an der nördlichen Grenze zwischen den Bundesstaaten Pará und Maranhão, das zum Amazonasgebiet gehört.

© Florian Kopp I MISEREOR

Vor mir eine wunderbare Bananenplantage, was mich fragen ließ, wem diese gehöre. Die Dorfbewohnerinnen und -bewohner waren erstaunt und wiederholten meine Frage: „Wie meinst du das; wem gehört die Plantage? Sie ist unser Gemeinschaftsbesitz!“ Die Bewohner erklärten mir: „Die, die als erstes ernten können, sind die Witwen, als zweites folgen die alleinerziehenden Frauen und schließlich alle anderen.“ Bis dato hatte ich mit Land eher Privatbesitz, Landaufteilung und Katasteramt in Verbindung gebracht. Seither weiß ich: Gemeinschaftsbesitz ist ein Konzept, das überzeugt. Diese Orientierung hin zum Gemeinwohl erinnerte mich an die Apostelgeschichte, in der es heißt: „Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten. Sie verkauften Hab und Gut und teilten davon allen zu, jedem so viel, wie er nötig hatte.“ (Apg 2,42 und 45).

Dieses Konzept begeistert und bewegt mich bis heute. Ich bin überzeugt: Es gibt andere Arten des Organisierens, es gibt andere Logiken des Zusammenlebens, es gibt Priorisierungen, die Leben stiften und die umsetzbar sind – weltweit. Solche Erfahrungen haben mich über die Jahre hinweg geprägt und meine Augen geöffnet.

Es geht ums Teilen und eben nicht um das Besitzen-Wollen

Dorfgemeinschaft im Amazonasgebiet © Florian Kopp I MISEREOR

Insbesondere die Indigenen in den Regionen Amazoniens haben sich dieses Teilen zum Wohle aller inder Gemeinschaft bis heute bewahrt. Es ist zutiefst christlich – wir können darin von den Indigenen aus Maranhão lernen. Papst Franziskus betrachtet in der Enzyklika Laudato sí ökologische Ressourcen als gemeinschaftliche Güter. Alle Menschen haben gleiche Ansprüche, aber auch die gemeinsame Pflicht, sie zu schützen.

Das zweite Wort: Danken

Indigene Völker Amazoniens, denen ich während meiner Reisen immer wieder begegnet bin, verstehen sich als integraler Teil ihrer Mitwelt und zeigen an ihren Ritualen und Traditionen, was Dank heißt. So bringen z. B. die Munduruku morgendlich ihre Lobesgesänge dar, danken für den Sonnenaufgang, das Wasser, die Vögel und Tiere, die Pflanzen und schließlich ihr eigenes Volk. Sie danken für die Bäume mit ihren Wurzeln, Blättern und Früchten, aus denen sie ihre Heilmittel gewinnen. Ihr Dank gilt auch dem Element Luft. Es ist der Odem Gottes, das Element, das uns am Leben erhält und welches ich insbesondere mit der Amazonasregion – der sogenannten grünen Lunge unseres Planeten – verbinde. Denn das Gebiet, mehr als zwanzigfach größer als Deutschland, stellt jährlich etwa 15 Prozent des globalen Süßwassers bereit. Es umfasst 40 Prozent des weltweiten Regenwaldes und speichert bis zu 200 Milliarden Tonnen Kohlenstoff jedes Jahr 1. Wie die Indigenen, so danken auch wir für das, was ist, und bitten gleichzeitig um die Einsicht, dass dieser so wichtige Lebens- und Naturraum geschützt werden muss. Die Verantwortung für den Erhalt Amazoniens liegt auch bei uns.

Die Kazike der Mundurukú-Indianer Juarez und Walter an einem Schild, das die Grenze des Gebietes seines Volkes markiert. © Florian Kopp I MISEREOR

Hiermit will ich den Bogen schlagen zu der vom 6. bis 27. Oktober in Rom stattfindenden Versammlung mit dem Titel: „Amazonien – Neue Wege für die Kirche und für eine ganzheitliche Ökologie“. Bischöfe aus den Regionen Amazoniens (Brasilien, Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru, Surinam, Französisch-Guayana, Guyana und Venezuela) werden sich zusammen mit Fachleuten aus den Bereichen Ökologie, Soziologie, Anthropologie und Theologie sowie Indigenen aus den Regionen und dem Papst beraten.
Dabei geht es hauptsächlich um drei Anliegen:

  • Den Indigenen eine Stimme geben: über 80.000 wurden zu den wichtigsten Fragestellungen um ihren Heimat- und Lebensraum befragt. Die Bedürfnisse der Indigenen, der Flussuferbevölkerung und der städtischen Regionen wurden in das Arbeitsdokument des Treffens übernommen.
  • Der Schutz von Mensch und Natur vor Großprojekten, wie z.B. großflächigen industriellen Infrastrukturprojekten und riesigen Wasserkraftwerken, und den damit verbundenen Vertreibungen und Zerstörungen von indigenem Lebensraum. Nicht nur die indigenen Völker sind in ihrer Lebensweise beeinträchtigt, auch die Biodiversität der Region ist in Gefahr. Noch nie waren die ca. 390 autochthonen Völker und die Artenvielfalt Amazoniens in ihrem Überleben derart bedroht wie heute, sagt Papst Franziskus.
  • Für eine „Kirche mit dem Antlitz Amazoniens“ soll das kirchliche Leben ebenso ganzheitlich gestaltet sein wie der Ansatz des Umweltschutzes. Es geht um den Dialog mit den Theologien vor Ort, von denen wir alle lernen und für die wir dankbar sein können.

Das dritte Wort: Hören

Bereits seit Jahrzehnten ist MISEREOR unterwegs mit Organisationen, die entweder selbst indigen sind oder die Indigenen zu schützen suchen. Dabei spielt Rechtsberatung eine wichtige Rolle.

Erst vor zwei Monaten traf ich Adriano Karipuna von einem Volk an der Grenze zwischen Brasilien und Bolivien. Er schilderte mir, wie sein Volk – dank des MISEREOR-Partners CIMI, der Fachstelle für Indigene – Gehör und Stärkung erfährt. Die gemeinsamen Anstrengungen führten zur Festnahme von Eindringlingen, die illegal Holz abbauten. Dennoch, so Adriano Karipuna: „Wir sind mittlerweile Gefangene auf unserem eigenen Territorium. Großgrundbesitzer und Holzindustrie umzingeln uns. Wir können nicht mehr an die Wasserquellen, um Wasser zu schöpfen, oder auf Jagd gehen, um unsere Familien zu ernähren. Wir haben Angst.“

Ich hörte hin. Mir wurde klar, dass das MISEREOR-Leitwort „Mit Zorn und Zärtlichkeit an der Seite der Armen“ aktuell bleibt. Unsere Aufgabe ist es, Verantwortliche zu benennen, die für den exportorientierten Vieh- und Ackerbau in indigene Gebiete eindringen und die Menschen von ihrem Land vertreiben. Und es geht es um die Offenlegung der illegalen Holzindustrie und gieriger Goldschürfer, die den intakten Lebensraum der Urbewohner immer weiter zerstören.

Floß illegaler Goldsucher auf einem Seitenarm des Rio Xingu. © Florian Kopp I MISEREOR

Laut einer Studie des Carnegie-Instituts beheimatet zum Beispiel der Fluss Madre de Dios – der Name bedeutet „Gottesmutter“ – überwiegend von Quecksilber vergiftete Fische, die die Bevölkerung krank machen und bei Kindern zu Missbildungen, Nervenkrankheiten und Muskelschwund führen können.

An den oben genannten Worten Teilen – Danken – Hören gefällt mir, dass sie unser Tun beschreiben: Teilen, weil es auf die Idee des Gemeinwohls ausgerichtet ist. Dass auch die Verletzlichen ein Recht haben auf den Zugang zu Land, Wasser und Luft. Danken, weil die Haltung des Empfangens von einem Schöpfergott nicht als selbstverständlich verstanden wird. Hören, weil die Weisheit indigener Völker uns bereichert: Zu einer anderen Lebensweise, einem achtsamen Umgang miteinander und mit den Ressourcen.

Die Amazonien-Synode wird nicht nur Bedeutung für diese Region, sondern für alle Regionen dieses Planeten haben. Sie macht aufmerksam auf die Krisen in anderen Regenwäldern wie im Kongobecken oder in Indonesien. Sie verweist auf ein Wirtschaftsmodell, das zu Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Ausbeutung der Natur beiträgt. Bei der Amazonien-Synode geht es letztendlich um die Sorge um unser gemeinsames Haus Erde und konkrete Wege für den weltweiten Schutz der Menschenrechte.

„Mögen unsere Sorgen um diesen Planeten uns nicht die Freude und die Hoffnung nehmen“ (LS 244).


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Pirmin Spiegel ist Hauptgeschäftsführer bei Misereor. Bevor er 2012 zu Misereor kam, war er 15 Jahre in Brasilien als Pfarrer tätig und bildete in verschiedenen Ländern Lateinamerikas Laienmissionare aus.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Sehr geehrter Herr Hauptgeschäftsführer Pater Pirmin Spiegel!
    Glücklicherweise habe ich Ihre MISEREOR- Website angesehen und so wage ich es nun Ihnen
    eine Bitte vorzutragen! Unser Verein für Brunnen und Hilfsprojekte in Brasilien hat in den letzten 11 Jahren 930 Brunnen hauptsächlich in Bahia ( Barra und Buritirama) bei den verstreuten Siedlern errichtet.
    In der Homepage http://www.brunnenprojekt.at sind die meisten dieser Brunnen dokumentiert.
    Nun könnten wir mit einem besseren Bohrgerät schneller arbeiten und sehen jetzt, dass die Spenden aus unserem Land nicht mehr ausreichen.
    Deshalb bitte ich Sie nach eingehender Prüfung dieses Projekt für Bahia – Pernambuco zu unterstützen!
    Mit freundlichen Grüßen
    Josef Fink / Obmann des Hilfsprojektes

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