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Fremdenfeindlichkeit in den Städten Südafrikas: Was bedeutet sie für Südafrikas Demokratie?

Am 8. Mai jährte sich die Verabschiedung der südafrikanischen Verfassung zum 27. Mal. Neben den ersten demokratischen Wahlen von 1994, aus denen Nelson Mandela als Präsident und die frühere Befreiungsbewegung African National Congress (ANC) als Regierungspartei hervorgingen, markiert sie für das Land das Ende des über vier Jahrzehnte herrschenden Apartheid: Denn bis dahin verfügten die Nachfahren der europäischen Kolonialmächte die Rassentrennung für alle Lebensbereiche und Wohngebiete in den Städten – und verwehrten der nicht-weißen Bevölkerungsmehrheit ihre Grundrechte.

Fremdenfeindlichkeit in informellen Siedlungen
Informelle Siedlungen, in denen prekäre Wohn- und Versorgungsbedingungen herrschen, sind in den letzten Jahren zu ‚Hotspots‘ fremdenfeindlicher Übergriffe geworden. © Klaus Teschner/ Misereor

Wie steht es heute um die Demokratie Südafrikas? Inwiefern wird das Land dem in seiner international als vorbildlich angesehenen Verfassung niedergeschriebenen Anspruch gerecht, das soziale Unrecht seiner Vergangenheit anzuerkennen und die Rechte aller dort Lebenden zu schützen – „in unserer Verschiedenheit verbunden“ (united in our diversity)? Welchen Aufschluss gibt in diesem Zusammenhang der Umgang von Politik und Teilen der Gesellschaft mit den in Südafrika wohnenden Migrant*innen aus anderen Ländern Afrikas?

Kampf um Rechte und Anerkennung in urbanen Räumen

Das Urteil von Nomzamo Zondo, Leiterin der Misereor-Partnerorganisation Socio-Economic Rights Institute of South Africa (SERI), fällt vernichtend aus: Sie sei fassungslos angesichts der „Verleugnung Südafrikas, insbesondere seiner eigenen Geschichte, und der mangelnden Anerkennung der historischen Wurzeln unserer Ungleichheit und ihrer gegenwärtigen Auswirkungen auf die schwarzen Menschen in Südafrika und der Welt“. Als Organisation, die sich für die Rechte auf Bildung, Wohnen und Gesundheit von Migrant*innen aus Afrika einsetzt und diese vor Gericht vertritt, müsse SERI mittlerweile selbst gewaltsame Vergeltung fürchten. Südafrika ist seit dem Ende der Apartheid zum Hauptziel der innerafrikanischen Zuwanderung geworden – die Migration entlang der sogenannten ‚südliche Route‘ ist zahlenmäßig weitaus relevanter als die Migration nach Europa. Die meisten Migrant*innen lassen sich in urbanen Räumen Südafrikas nieder. Dort leben auch über zwei Drittel der ansässigen Bevölkerung. Städte bieten ihnen im Vergleich zu ländlichen Räumen besseren Zugang zu Arbeit, Bildung und Gesundheitsdiensten, oft auch wichtige Kontakte zu Communities aus ihren Herkunftsländern. Die meisten Zugewanderten kommen in Townships aus der Apartheidzeit oder in informellen Siedlungen am Stadtrand unter. Dort, wo auch die lokal ansässige Bevölkerung vulnerabel und enttäuscht darüber ist, dass sich ihre prekäre Lebenssituation nach drei Jahrzehnten ANC-Regierung kaum verbessert hat.

Vulnerabilität und enttäuschte Erwartungen als Nährboden für Hasskriminalität

Beides, Vulnerabilität und enttäuschte Erwartungen, bereiten Forschungsergebnissen des African Centre for Migration and Society (ACMS) der Wits Universität in Johannesburg zufolge den Nährboden für Hasskriminalität gegen Migrant*innen aus anderen Ländern Afrikas. Fremdenfeindliche Handlungen konzentrieren sich auf die urbanen Ballungsräume. So ereigneten sich etwa 40% der von den Forscher*innen zwischen 2008 und 2021 erfassten Vorfälle auf den städtischen Ballungsraum um die Metropole Johannesburg und die Hauptstadt Pretoria. Innerhalb der Städte seien Townships und informelle Siedlungen ‚Hotspots‘ fremdenfeindlicher Übergriffe. Die Übergriffe hätten sich in den letzten Jahren merklich intensiviert. Zudem richte sich die xenophobe Mobilisierung gezielt gegen bestimmte Personengruppen, Kleinstunternehmer*innen, Straßenhändler*innen und Fernfahrende mit Migrationshintergrund. Im Untersuchungszeitraum zählte das ACMS-Team 612 (registrierte) Todesfälle, die Vertreibung von über 120.000 Menschen und der Plünderung von über 6.300 Verkaufsläden. Wobei die wirkliche Zahl noch weitaus höher sein dürfte.

Apartheid
Zugehörigkeit und Bewegungsfreiheit als (unerfülltes) Versprechen. Plakatwände der Rosebank-Mall im gleichnamigen wohlhabenden Stadtteil von Johannesburg. © Eva Dick/ Misereor

Urbane Bürgerwehr schürt xenophobe Gewalt in Johannesburg

Der zunehmend organisierte Charakter der xenophoben Gewalt manifestiert sich maßgeblich in der seit 2021 aktiven Operation Dudula, eine Art urbane Bürgerwehr. Sie wurde von einzelnen Führungspersonen in Townships und informellen Siedlungen im Süden Johannesburgs initiiert und bekommt vor allem Zulauf durch die einkommensschwache urbane Bevölkerung. Erklärtes Ziel ist es, Migrant*innen aus afrikanischen Ländern „auszuschalten“ – die direkte Übersetzung des Zulu-Wortes „Dudula“ –, mittels Hetze, Randale und Gewalt insbesondere gegen Inhaber*innen kleiner Läden und Verkaufsstände, die sie für die sich seit Corona weiter zuspitzende Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und die hohe Kriminalität im Land verantwortlich machen. Es griffe indes zu kurz, die Drahtzieher*innen der Operation Dudula und anderer Gruppierungen als hauptverantwortlich für die urbane Xenophobie zu sehen. Der ACMS Analyse zufolge sei deren Einfluss eine Folge der insbesondere in informellen Siedlungen und Townships ausgeprägten staatlichen Autoritäts- und Legitimitätslücke. Auch viele Partnerorganisationen von Misereor weisen auf die staatliche Mitverantwortung für die Gewalteskalation hin. Xenophobische Straftaten würden eher lax verfolgt und die Polizei sei nicht selten an ihnen beteiligt. Nationale und lokale Politiker*innen und Behördenvertreter*innen käme die Stimmungsmache gegen Zuwanderer*innen zudem gelegen, um von ihren eigenen Versäumnissen abzulenken. Dazu gehöre, dass sie den vulnerabelsten Stadtbewohner*innen ihre verfassungsmäßig garantierten Rechte auf Wohnen, Daseinsversorgung und Sicherheit vorenthielten.

Xenophobie entgegenwirken

Angesichts dessen ist klar: Bemühungen, der urbanen Xenophobie entgegenzuwirken, müssen ihre komplexen, direkten und indirekten Ursachen und die Vielfalt der beteiligten Akteure berücksichtigen. Das spiegelt sich auch in den Arbeitsansätzen und Expertisen der städtischen Partner von Misereor wider. Während Rechtshilfeorganisationen wie SERI Lobbyarbeit betreiben und von Xenophobie Betroffene vor Gericht vertreten, fördern das Inner City Resource Centre (ICRC) und die Tshwane Leadership Foundation (TLF) durch Community Organizing und Vertretung gemeinsamer Interessen das friedliche Zusammenleben zwischen der lokalen und der migrantischen Bevölkerung.

Neben den katastrophalen Folgen der Xenophobie für die direkt Betroffenen schaden sie auch Politik und Gesellschaft in Südafrika. Bereits heute bedroht sie den ohnehin fragilen gesellschaftlichen Frieden in den Städten und die Reputation des Landes als demokratischer Rechtsstaat – auf dem afrikanischen Kontinent und weltweit.


Geschrieben von:

Eva Dick

Eva Dick arbeitet als Referentin für Städtische Entwicklung in der Abteilung Afrika und Naher Osten für Misereor.

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