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Gemeinsam für Frauenrechte in Bolivien

In Bolivien herrscht ein hohes Maß an Geschlechterungerechtigkeit. Frauen sind regelmäßig Gewalt ausgesetzt, vor allem in ihren Partnerschaften. Die Gewalt hat viele Facetten – Schläge, sexuelle Übergriffe, wirtschaftliche Ausbeutung. Oft kommt Armut hinzu, vor allem in den Barrios, den Vororten der Städte. Aber es gibt Menschen, die sich für ein gerechteres, friedlicheres Miteinander einsetzen. Zum Beispiel das Team unserer Partnerorganisation ECAM in Tarija.

Portraitfoto einer Frau mit kurzen, dunklen Haaren und einem gelben Oberteil

Suzanne Lemken, Referentin für Spenderkommunikation, hat ECAM besucht und starke Frauen kennengelernt. Sie ist besonders beeindruckt davon, wie ECAM Frauen ermutigt, ihre eigenen Herausforderungen zu überwinden und zugleich die Gesellschaft zu verändern.

Suzanne, warum ist das Projekt in Tarija so wichtig für die Menschen?

Zunächst einmal, weil Frauen immer mit einer Bedrohung leben. Gewalt ist an der Tagesordnung, eine Partnerschaft, die gewaltfrei abläuft, eher ungewöhnlich. Manche Frauen resignieren oder können sich aufgrund existentieller Probleme nicht aus der Situation befreien. Besonders, wenn sie in den Randbezirken der Städte leben. Viele dieser Barrios sind abgehängte Gebiete. Die Kriminalität ist hoch und oft werden die Siedlungen von der Stadtverwaltung bei der Strom- und Wasserversorgung oder beim Straßenbau ignoriert – da fehlt es an allem. Die Frauen, mit denen das Projekt arbeitet, leben sowohl in den Barrios als auch in der Innenstadt. Hier wie dort erleben sie immer wieder, dass sie strukturell benachteiligt werden, wenig Zugang zu Bildung haben, nicht mitbestimmen und -gestalten können. Auch, weil ihr Leben durch harte Arbeit geprägt ist und die komplette Sorgearbeit auf ihren Schultern lastet.

Eine bolivianische Frau sammelt Stöcke
In den Barrios am Rande von Tarija leben viele Menschen in ärmlichen Verhältnissen, die Viertel werden vom Staat vernachlässigt. © Florian Kopp/ Misereor

Was passiert in deinem Lieblingsprojekt „Frauenrechte – Menschenrechte“?

Das Projekt stärkt diese Frauen. Das Team unterstützt sie zum Beispiel mit juristischer Beratung und steht ihnen zur Seite, wenn sie häusliche, wirtschaftliche oder sexualisierte Gewalt erleben oder sich scheiden lassen. Es bietet aber auch Alphabetisierungskurse und andere Bildungsgänge, durch die die Frauen Schulabschlüsse erreichen können. Aber der eigentliche Drehpunkt ist, dass ECAM zusammen mit ihnen grundlegend an den Verhältnissen in der Gesellschaft arbeitet. Beispielsweise macht ECAM Frauen gezielt als Ortsvorsteherinnen stark, denn in solchen Positionen haben sie es nach wie vor besonders schwer. Andere Frauen werden als Comunicadoras geschult, um journalistisch tätig zu werden: Sie gehen mit kleinen Aufnahmegeräten in ihre Barrios, interviewen die Menschen vor Ort und decken Missstände und heikle Themen auf. Daraus entsteht regelmäßig eine Radiosendung und ein Magazin.

Außerdem betreibt ECAM Sozialforschung rund um Armut und Geschlechtergerechtigkeit. Mittlerweile ist die Organisation so gut etabliert, dass der Staat diese Studien als Quellen für Gesetzesvorlagen verwendet. Inzwischen sprechen die Frauen, die ECAM vernetzt, in Kommunal- und Landesparlamenten vor. Es gibt immer wieder Erfolge, zum Beispiel wurde ein Gesetz über die gerechtere Aufteilung der Sorgearbeit durchgesetzt. Aber ECAM arbeitet auch mit Männern und Jungen, um sie für die Probleme von Geschlechterrollen und Machismo zu sensibilisieren, denn die ungerechten Verhältnisse schaden letztlich allen.

Protestierende Frauen in Bolivien
Auch im Rahmen von Demonstrationen machen die Frauen von ECAM auf Ungerechtigkeiten aufmerksam und fordern Frauenrechte ein. © Florian Kopp/ Misereor

Warum liegt dir dieses Projekt besonders am Herzen?

Die Frauen suchen oft in sehr schwierigen Situationen Unterstützung bei ECAM und bekommen natürlich Hilfe. Das Besondere ist, dass sie, wenn sie das möchten, auch eine Aufgabe an die Hand bekommen. Das ermutigt sie schnell, nicht nur ihre eigene Situation neu zu gestalten, sondern darüber hinaus auch die sozialen Zusammenhänge. Wenn sie diese Wirksamkeit entfalten, nehmen sie auch ihr eigenes Leben voller Kraft in die eigenen Hände. Das finde ich so beeindruckend: Diese Kraft kommt aus den Frauen heraus, ECAM schafft es, sie zu mobilisieren. Und gleichzeitig verändern sie zusammen die Gesellschaft.

Wie verändert das Projekt das Leben der Frauen?

Zum Beispiel stärkt es ihnen den Rücken, in der männlich dominierten Gesellschaft eine Führungsrolle zu übernehmen. Ich habe Delina Estrada kennengelernt, ihr Vater war Ortsvorsteher und hat sie von klein auf als seine Nachfolgerin gesehen. Deshalb stand für sie immer fest, dass sie neben ihrer Arbeit in der Landwirtschaft in seine Fußstapfen tritt. Aber sie hatte es als Frau schwer, anerkannt zu werden. Bei ECAM fand sie Unterstützung, wurde gezielt zur Führungskraft geschult. Mittlerweile ist sie Ortsvorsteherin, hält Vorträge in Schulen, verhandelt mit Politik und Verwaltung. Zum Beispiel darüber, dass die Straße zu ihrem Barrio lange nicht befestigt war und Waren nur mit Eselkarren transportiert werden konnten. Mit viel Durchsetzungskraft hat sie dazu beigetragen, dass die Straße befestigt wurde.

Eine Frau präsentiert ihren Schülerinnen und Schülern eine Pflanze
Delina Estrada hält Vorträge an Schulen und erlebt immer wieder, wie wichtig weibliche Vorbilder sind. © Florian Kopp/ Misereor

Wie werden die Frauen durch ihre neuen Aufgaben beflügelt?

Dazu fällt mir die Geschichte von Ines Rodriguez ein, die mich besonders berührt hat. Sie hat sich in großer Not an ECAM gewandt. Schon mit acht Jahren musste sie unter fürchterlichen Bedingungen arbeiten und konnte nicht zur Schule gehen. Ihr Vater war Alkoholiker, hat nichts zum Einkommen beigetragen, deshalb hat die Mutter sie gezwungen, in fremden Haushalten zu schuften, zum Teil weit von zu Hause weg. Mit 16 hat sie geheiratet, wie in ihrem Umfeld üblich. Aber auch ihr Mann ist alkoholabhängig und hat sie über Jahrzehnte regelmäßig verprügelt. Irgendwann ging sie zu ECAM, um sich zu einer Scheidung beraten zu lassen – und hier wurde sie auf das Comunicadora-Programm aufmerksam gemacht. Obwohl sie sehr scheu war und viele Ängste hatte, hat ihr das Team Mut gemacht, mit einem kleinen Aufnahmegerät Interviews für die Radiosendung zu sammeln. Das hat sie viel Überwindung gekostet. Aber die hat sich gelohnt, denn der Erfolg hat so aufgebaut, dass sie es geschafft hat, sich von ihrem Mann zu emanzipieren. Inzwischen versorgt sie sehr liebevoll ihre alte und demente Mutter, trotz der schweren Vergangenheit. Diese Größe finde ich sehr beeindruckend.

Frauen der Partnerorganisation ECAM in Bolivien
Ines Rodriguez (rechts) interviewt Menschen in den Barrios, macht auf Probleme aufmerksam und hilft so, Lösungen einzufordern. © Florian Kopp/ Misereor

Nicht zuletzt verbindet mich meine eigene Geschichte mit Ines Rodriguez, denn ich habe selbst Publizistik studiert und bin ursprünglich auch Journalistin. Als ich Ines gefragt habe, was ihre Träume sind und was sie noch erreichen möchte, sagte sie: „Wenn ECAM wieder einen Alphabetisierungskurs anbietet, möchte ich teilnehmen. Schließlich bin ich Journalistin. Da sollte ich eigentlich auch schreiben können!“ Da musste ich echt weinen. Wir sind beide gleich alt, beide Journalistinnen, aber so unterschiedlich sind unsere Leben verlaufen. Ich bin wirklich begeistert davon, welche Wendung das Leben nehmen kann, wenn die richtigen Menschen dir die Hand reichen. Ein großer Teil der Arbeit von ECAM passiert in einem kleinen, vollgestopften Büro. Als ich dort war, habe ich gedacht, wie langweilig das bestimmt auf Fotos aussieht – aber was für eine großartige Kraft hier freigesetzt wird!

Was wünschst du dem Projekt für die Zukunft?

Ich wünsche dem Projekt viele solcher schönen Erfolgserlebnisse, wie das Gesetz zur gerechten Verteilung der Sorgearbeit oder wie die zuständige Stelle für Geschlechtergerechtigkeit im Kommunalparlament, die es sonst nirgends in Bolivien gibt. Aber die wird es geben, da bin ich zuversichtlich. Denn ich liebe dieses Projekt auch deshalb, weil die Arbeit trotz aller Widrigkeiten mit so großer Leidenschaft gemacht wird. Das sollten wir uns zum Vorbild nehmen, das können wir von ECAM lernen: Frauen dürfen in ihrem Einsatz für Gerechtigkeit nicht nachlassen. Überall auf der Welt.

Autorin:
Dieser Beitrag wurde von Katharina Waiblinger, Praktikantin in der Kommunikationsabteilung von Misereor, geschrieben.


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In der Reihe „Mein Lieblingsprojekt“ stellen Misereor-Mitarbeitende regelmäßig Projekte vor, die ihnen besonders am Herzen liegen und geben so Menschen aus dem Süden ein Gesicht.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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