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In schwierigen Zeiten Frieden säen

Seitdem sich der Nahostkonflikt nach den terroristischen Überfällen der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 massiv verschärft hat, scheint der Frieden in weite Ferne gerückt zu sein. Doch einige Misereor-Partnerorganisationen in Israel versuchen durch Verständigung und Versöhnung im Kleinen Frieden zu stiften. Ralph Allgaier, Pressesprecher bei Misereor, ist bewegt von den Initiativen, die sich in dem gespaltenen Land für nachhaltigen Frieden einsetzen.

Im Gespräch mit den Verantwortlichen von Sadaka Reut im Jahr 2017. © Kathrin Harms

Lieber Ralph, was ist dein Lieblingsprojekt?

Als ich vor sieben Jahren Misereor-Projekte in Israel besuchen durfte, hat mir das Projekt Sadaka-Reut in Tel Aviv besonders gut gefallen. Der Name ist eine Kombination aus „Sadaka“, was arabisch ist und „Reut“, was hebräisch ist; beides bedeutet Freundschaft. Es geht um Friedensförderung unter jungen Leuten, zwischen jüdischen Israelis und Israelis mit arabisch-palästinensischer Herkunft. Das ist in der gegenwärtigen Situation besonders wichtig, da momentan nicht wirklich über Frieden geredet wird, maximal über Waffenstillstand. Die Projekte laufen nach wie vor, viele sind überzeugt, dass es jetzt umso wichtiger ist, miteinander zu sprechen und sich auszutauschen. Es wird uns aber auch berichtet, dass es momentan sehr schwierig ist, miteinander zu sprechen. Das Projekt ist in einer besonderen Situation. Ich glaube aber, dass diese Projekte bei dem Ausweg aus der Gewaltspirale eine große Rolle spielen. Für eine Lösung des Konfliktes ist es zentral, auch den Schmerz des anderen zu verstehen. Und seine Hoffnungen.

Wie genau nähern sich die jüdischen und arabisch-palästinensischen Menschen in dem Projekt an?

Sie tauschen sich über ihre Lebenssituationen und religiösen Überzeugungen aus. Wir sind damals bei einer Gruppe gewesen, in der sich junge Menschen aus beiden Umfeldern kennengelernt und aus ihrem Leben erzählt haben. Zum Beispiel über die Benachteiligung, die man erfährt, wenn man arabischer Israeli ist, da hat man nicht immer die gleichen vollen Bürgerrechte. Sie erzählten auch von der Situation ihrer Familien, die manchmal über Generationen damit konfrontiert werden, dass sie keine befriedigende Perspektive haben, kein Land, wo sie dauerhaft und in Frieden leben können. In Israel wissen die verschiedenen Bevölkerungsgruppen nur ganz wenig voneinander. Es ist entscheidend, sich in den anderen hineinzuversetzen. Es geht auch darum, die Historie von allen Seiten zu beleuchten, die guten Gründe, warum der Staat Israel nach dem Holocaust gegründet wurde, aber auch die Situation der palästinensischen Menschen zu verstehen, die dadurch zu Flüchtlingen wurden. Das sind Dinge, die den jeweiligen Personenkreisen in der Schule oft nicht neutral erklärt worden sind.

Die Jugendlichen haben erzählt, dass der Austausch ein wirklich großer Gewinn für sie ist und dass sie jetzt viel besser verstehen, was hinter dem Konflikt an Hintergründen steckt. Das Schöne an diesem Projekt ist, dass viele der Leute so begeistert sind, dass sie sich anschließend aktiv und mit gewaltlosen zivilen Mitteln für den Frieden einsetzen. Sie versuchen auch andere Leute dazu zu bringen, sich in den Austausch zu begeben und aufeinander zuzugehen, statt sich in Feindschaft zu begegnen.

Eine Begegnungsveranstaltung der israelischen Misereor-Partnerorganisation Rossing Center. © Rossing Center

Gibt es Widerstand gegen das Projekt?

Ja, die Projektpartner*innen werden von Teilen der israelischen Gesellschaft angefeindet. Es wird ihnen unterstellt, sie wären antisemitisch. Das ist sehr seltsam, weil es ja jüdische Israelis sind, die diese Projekte begonnen haben, und es ist eine unglaublich wichtige Initiative. Das war schon lange vor dem 7. Oktober 2023 so, und jetzt ist das Klima noch negativer geworden. Man fragt sich, wie die Menschen in diesem Land überhaupt nochmal eine gemeinsame Zukunftslösung finden sollen. Aber wenn man auch in einem ähnlichen Projekt der israelischen Organisation „Rossing Center“ sieht, wie sich jüdische Männer mit Kippa mit verschleierten muslimischen Frauen unterhalten und versuchen, einander zu verstehen, sieht man, dass es funktionieren kann.

Warum liegt dir das Projekt Sadaka Reut so am Herzen?

Als ich in Israel war, haben wir viel mit jüdischen und arabischen Partner*innen, Bürgerinnen und Bürgern gesprochen. Mich hat diese Situation innerlich sehr beschäftigt, dass dieser Konflikt schon seit so vielen Jahrzehnten nicht gelöst werden kann, dass so viele Menschen immer wieder ihr Leben verlieren. Wenn man vor Ort ist, denkt man, da muss etwas geschehen, das kann nicht so weitergehen. Man muss sich für diese Region besonders engagieren. Und dann gibt es Organisationen wie Sadaka-Reut, die sogar gegen viele Widerstände in Israel diese Begegnungs- und Friedensprojekte durchführen, das hat mich sehr berührt. Als ich die jungen Leute bei dem Austausch erlebt habe, herrschte eine fröhliche und unbeschwerte Stimmung mit einer Offenheit, bei der man dachte, da geht doch was. Es ist nicht aussichtslos. Diese jungen Menschen sind die Zukunft dieser Region. Wenn immer mehr mitmachen, dann kann man wirklich etwas erreichen. Das ist ein Projekt, das einen nicht kalt lässt. Da ist man mit dem Herzen ganz tief dabei, weil man spürt, wie wichtig das ist.

Interreligiöser Dialog bei einer Gesprächsrunde bei Sadaka Reut. © Kathrin Harms

Kann das Projekt ein Vorbild für andere Regionen sein?

Absolut. Misereor kümmert sich mit vielen anderen Organisationen um das Themenfeld zivile Konfliktbearbeitung und zivile Konfliktprävention. Wahrscheinlich gibt es kaum etwas Wichtigeres, als miteinander ins Gespräch zu kommen und Vorurteile zu überwinden. Das sieht man beispielsweise in Ruanda, wo es vor 30 Jahren einen Genozid gab. Das, was damals passiert ist, bleibt über Generationen im Bewusstsein der Menschen und damit auch die Vorbehalte, die Anfeindungen und der Hass, der nicht so leicht überwunden wird. Selbst die Kinder, die damals noch nicht geboren waren, bekommen den Hass von ihren Eltern und Großeltern weitergereicht. Das kann man nur überwinden, wenn man sich gemeinsam mit dem Konflikt beschäftigt und solche Möglichkeiten zum Austausch findet. Man muss sich fragen: Wie ist es dazu gekommen? Wie wollen wir weitermachen? Was ist unsere Zukunft?

Glaubst du, dass der Dialog zwischen den zwei Gruppen mal zur Normalität in Israel gehören könnte?

Ja, die Hoffnung habe ich. Ich werde dieses Jahr 60 Jahre alt, ich habe Politik immer sehr aufmerksam verfolgt und mein gesamtes Leben hat mich dieser Nahostkonflikt begleitet, ich habe mich viel damit beschäftigt. Gerade in Phasen wie jetzt ist es unerträglich, es kann nicht so weitergehen. Es wird mit Blick auf eine Friedenslösung sicher noch eine Weile bis zum Durchbruch dauern und es werden wahrscheinlich auf beiden Seiten andere Politiker*innen ans Ruder kommen müssen, aber ich glaube schon, dass sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren etwas ändern wird und dass man deutliche Schritte weiterkommt. Es ist manchmal schwer, die Hoffnung nicht zu verlieren. Aber es gibt Situationen, die einfach keiner mehr ertragen kann, und wenn dann vielleicht eine neue Generation kommt und andere Wege sucht, dann glaube ich schon, dass da Veränderung möglich ist. Und ich hoffe, dass ich das noch erleben werde.

Dieser Beitrag wurde von Katharina Waiblinger, Praktikantin in der Kommunikationsabteilung von Misereor, geschrieben.


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Geschrieben von: und

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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Ralph Allgaier arbeitet als Pressesprecher bei Misereor.

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