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Eine verlorene Zukunft: Das Leben afghanischer Frauen unter dem Taliban-Regime

Am 15. August 2024 jährte sich in Afghanistan zum dritten Mal die Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban. Damit begann eine Schreckensherrschaft, die sich vor allem gegen Frauen und Mädchen richtet. Sie dürfen nicht mehr über die sechste Klasse hinaus zur Schule gehen und sind gezwungen, zu Hause zu bleiben. Die Träume junger Mädchen, die Medienschaffende, Anwältinnen und Professorinnen werden wollten, wurden plötzlich zerstört. Zwei Projektpartnerinnen berichten über ihr Lebensgefühl in Afghanistan: Amira Shirin aus Afghanistan, aktuell in Deutschland, hat die Afghanin Ellaha Mirza befragt.

Seit der Rückkehr der Taliban hat sich insbesondere die Situation von Frauen und Mädchen verschlechtert; an vielen Orten dürfen sie sich nur noch verschleiert in der Öffentlichkeit zeigen (Symbolbild). © OASE Organization of Afghan Support for Education

„Ich war in der elften Klasse, als die Taliban kamen“, erzählt mir die 19-jährige Ellaha Mirza, ihre Stimme schwer vor Verlust. „Meine Welt, einst voller Hoffnung und Ehrgeiz, brach um mich herum zusammen. Das Leben, das ich kannte – in dem ich das Recht hatte zu lernen, zu arbeiten und mich auszudrücken – war verschwunden. An seine Stelle trat eine erstickende Existenz.“ Anstatt ihre Ziele zu verfolgen, wurde sie zu früh Mutter, zu jung Ehefrau und übernahm auf das Haus begrenzte Verantwortung, für die sie nicht bereit war. „Wir leben nicht, wir überleben nur“, sagt sie. „Ich fühle mich wie eine wandelnde Leiche, dazu verdammt, ohne Ziel zu leben. Die Taliban haben uns alles genommen – unsere Bildung, unsere Freiheit, unsere Träume.“

Ich selbst kann ihre Empfindungen gut nachvollziehen, das Leben unter diesem Regime ist unglaublich hart. Auch ich habe alles verloren – meine Kindheit, meine Jugend – alles wurde mir genommen. Ich spüre tiefe Verzweiflung, als gäbe es keine Hoffnung mehr. Die repressiven Regeln haben unser Leben immer stärker im Griff. Frauen wie sie und ich, die sich einst frei bewegen konnten, sind nun in die Dunkelheit gedrängt und hinter Schleiern verborgen. Die Angst vor Entführung, Gewalt und sogar Tod ist ein ständiger Begleiter für afghanische Frauen. „Viele Familien, die ihre Töchter verzweifelt beschützen wollten, sehen keine andere Wahl, als sie schnell zu verheiraten. Auch ich wurde zur Heirat gedrängt, weil der Gedanke, als unverheiratete Frau unter diesem Regime zu leben, furchterregend war“, berichtet Ellaha mir.

Die fehlenden Bildungschancen und das Beschäftigungsverbot für Frauen haben viele Zukunftspläne in Afghanistan zerstört: „Meine Träume von einer Karriere und Unabhängigkeit wurden unter der Last dieser erzwungenen Entscheidungen begraben“, sagt sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Sie fragt sich oft, was hätte sein können, wenn man ihr erlaubt hätte, ihre Ausbildung fortzusetzen. „Ich träumte davon, Ärztin zu werden, anderen zu helfen oder Anwältin zu werden, die für Gerechtigkeit kämpft. Aber diese Träume sind jetzt verloren, unerreichbar, genau wie die unzähligen anderen Hoffnungen, die unter diesem Regime ausgelöscht wurden.“

Misereor fördert Projekte von und mit Frauen in Afghanistan. Obwohl die Taliban die Arbeit der Partnerorganisationen massiv einschränken, tun letztere alles Mögliche, um bedürftige Menschen zu unterstützen (Symbolbild). © OASE Organization of Afghan Support for Education

Die neuen Regeln, die in Afghanistan angeordnet wurden, treiben viele Frauen und ihre Kinder in den Hunger. Besonders hart trifft es Witwen und Alleinerziehende. „Wir ertrinken in Armut, wie so viele andere in diesem Land“, sagt Ellaha. Wenn sie an ihr heutiges Leben denkt, sieht sie nichts als Verzweiflung: „Es gibt kein Leben, das man wertschätzen könnte – nur eine trostlose Existenz, in der wir in unseren Häusern gefangen sind, uns unsere  Grundrechte verwehrt  und wir von Angst erstickt werden. Wir leben nicht, wir atmen nur, und selbst das fühlt sich wie eine Last an.“

Sie fleht jeden an, der ihr zuhört: „Lasst uns nicht lebendig begraben werden. Lasst unsere Träume nicht im Stillen sterben. Erhebt eure Stimmen für uns, denn unsere wurden zum Schweigen gebracht. Wir bitten nur um Sicherheit, Würde, die Möglichkeit zu lernen und das Recht auf Arbeit. Wir bitten nicht um viel, nur um die Grundrechte, die jedem Menschen zustehen.“ Mit Blick auf die Zukunft sieht sie weder für sich noch für die Frauen Afghanistans eine Zukunft. „Wenn die Dinge so weitergehen wie bisher, werden viele von uns ihren Verstand verlieren oder, schlimmer noch, ihren Lebenswillen. Im Schatten der Taliban gibt es für uns keine Zukunft.“

Hinweis: Aus Sicherheitsgründen wurden die Namen der Protagonistinnen geändert.


Hintergrund

Nach 20 Jahren konnten die Taliban im August 2021 wieder die Macht übernehmen, nachdem internationale Truppen aus dem Land abgezogen worden waren. Bereits von 1996 bis 2001 regierte das Terror-Regime das politisch geschwächte Land. Die radikalen Islamisten zwingen die Bevölkerung, ihrer Auslegung des Islam zu folgen. Diese schränkt insbesondere das Leben der Mädchen und Frauen ein. Sie dürfen keine weiterführenden Schulen besuchen, keinen Beruf ausüben, haben keinen Zugang zu Medien und dürfen ihre Wohnung nicht ohne einen Mann verlassen. Zivilgesellschaftliche oder politische Teilhabe wird ihnen verwehrt. Aufgrund schwerer Menschenrechtsverletzungen wird die Regierung der Taliban international nicht anerkannt.

Misereor unterstützt seit mehr als 50 Jahren Partnerorganisationen in Afghanistan. Aktuell fördert Misereor dort zwölf Projekte in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Existenzsicherung mit mehr als sieben Millionen Euro. Obwohl die Taliban die Arbeit der Partnerorganisationen von Misereor massiv einschränken, tun letztere alles Mögliche, um bedürftige Menschen, vor allem die Frauen, zu unterstützen. Sie finden dafür kreative Wege und Möglichkeiten dafür. Projekte nur für Männer werden von Misereor nicht unterstützt.


Afghanistan Frauen Burkha

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Wir setzen alles daran, Menschen in Afghanistan mit lebensnotwendigen Gütern zu versorgen, sowie Bildungsprogramme für Frauen & Mädchen aufrechtzuerhalten.


„Ich bin Afghanin“

Nahid Shahalimi wünscht sich, dass Frauen-Solidarität im wahrsten Sinne des Wortes gelebt wird: Im gemeinsamen Einsatz für die gesamte Menschheit.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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