MISEREOR-Referent Wilhelm Thees im Interview über ein Phänomen, das nicht neu ist, aber mehr um sich greift denn je.
Herr Thees, was genau verbirgt sich hinter dem Begriff des ‚Landgrabbing‘
Wilhelm Thees: Landgrabbing ist ein englischer Begriff; er lässt sich wörtlich übersetzen mit dem „Land Grabschen“ oder „Land krallen“. Er hat sich in den letzten Jahren für den Sachverhalt von großflächigem Landkauf, also Investitionen in große Landflächen in Lateinamerika, Asien und speziell in Afrika etabliert. Dabei werden große Flächen Land von Staaten und privaten Investoren für unterschiedliche landwirtschaftliche Nutzung gekauft.
Sie sprechen von großen Flächen. Um welche Größenordnungen handelt es sich hier genau?
Wilhelm Thees: Das Welternährungsinstitut in Washington geht zum Beispiel weltweit von einer Landnahme in der Größenordnung von 15 bis 20 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzungsfläche aus. Für den afrikanischen Kontext geht die FAO davon aus, dass etwa 2,5 Millionen Hektar Landfläche seit 2004 den Besitzer gewechselt haben.
Überwiegen private oder staatliche Investoren bei diesen Landkäufen?
Wilhelm Thees: Sowohl als auch. Oftmals lässt sich das gar nicht so richtig unterscheiden. Denn oftmals sind es ja gerade die politischen Akteure, die die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Wirtschaftsakteure solche Investitionen überhaupt tätigen können.
Landgrabbing wird auch als „Der neue Hunger nach Land“ bezeichnet. Seit wann gibt es dieses Phänomen? Haben Staaten und Konzerne nicht schon immer in anderen Ländern Land gekauft?
Wilhelm Thees: Landhandel ist sicherlich kein neues Phänomen. Im 20. Jahrhundert hat er in den 60er und 70er Jahren vor allem in Lateinamerika stattgefunden. Neu seit 2005/ 2006 kommt hinzu, dass die Ressourcen weltweit immer knapper werden. Die Menschheit wächst stark und ihre Nahrungsmittelgewohnheiten ändern sich. Vor allem auf dem asiatischen Kontinent, wo in vielen Ländern die Kaufkraft enorm gestiegen ist. Die Menschen wollen mehr Fleisch essen.
Welches sind die gefragtesten Zielländer?
Wilhelm Thees: Von den arabischen Erdölstaaten, die in den letzten Jahren sehr viel Land kaufen wollten, werden vor allem die islamischen Länder Afrikas im Bereich der Sahelzone bevorzugt. Von Mali bis in den Sudan. Die indischen Investoren kaufen insbesondere Land in Äthiopien. Andere Investoren sind auch in Tansania, Mozambique, Madagaskar, der Demokratischen Republik Kongo und anderen aktiv. Es gibt also ein breites Spektrum von Ländern Afrikas, die ihr Land an ausländische Investoren verkaufen.
Was sind die Länder, aus denen ein Hauptteil der Landinvestoren stammt?
Wilhelm Thees: Aus China und Südkorea kommen die meisten privaten Investoren. Aus den arabischen Ländern investieren Geldfonds in afrikanische Ländereien. Im Bahrein zum Beispiel wurden riesige Geldfonds aufgelegt um Land in Afrika zu kaufen.
Was weiß man über Investitionen privater Unternehmen aus Deutschland?
Wilhelm Thees: Private Landinvestoren aus Deutschland gibt es auch. Aber nicht in einem solchen Umfang wie aus China, Indien oder den Arabischen Emiraten. Zum Beispiel hat das deutsche Unternehmen „Flora EcoPowe“ in Äthiopien 13.000 Hektar für die Produktion von Energiepflanzen gekauft. Der Wert der Investition lag bei 77 Millionen Dollar. Zudem gibt es einige Investmentfonds, die in Ackerland investieren. Der DWS Global Agricultural Land & Opportunities Fund gehört zur Deutschen Bank Gruppe. Laut Medienberichten kauft er unter anderem Land in Sambia.
Immer mehr Staaten investieren in ausländische Landflächen, weil ihnen selber die Landflächen zur Ernährung ihrer eigenen Bevölkerung fehlen.
Wilhelm Thees: In den letzten ökonomischen Wachstumsjahren gab es ja vor allem im asiatischen Raum ein großes Einkommenswachstum. Mit dem Wandel der Einkommensstruktur hat sich auch das Konsumverhalten verändert: die Leute wollen besser essen, anderes essen, mehr Fleisch essen. Und es ist kein Geheimnis, dass für die Produktion von Fleisch große Landflächen verbraucht werden. Denn für 1 Kilogramm Schweinefleisch müssen 12 Kilo Getreide zugefüttert werden. In vielen Ländern werden die eigenen Landressourcen knapp. Deshalb greifen sie auf Land in Afrika zu, wo viele Landflächen nach Ansicht der Investoren unproduktiv genutzt werden.
Ist dem denn auch so?
Wilhelm Thees: In den meisten Fällen nicht! Oftmals werden die Landflächen schon von Kleinbauern genutzt, die das Land dann verlassen müssen. Denn in vielen Ländern Afrikas ist die Landrechtsituation nicht eindeutig geregelt. In vielen afrikanischen Staaten existieren noch Landrechte aus der Kolonialzeit, die noch nicht dem jeweiligen nationalen Kontext angepasst sind. Besonders die Landrechte vieler Kleinbauern wurden noch nicht registriert. Deshalb schreiben Länder oft Landflächen zum Verkauf aus, die traditionell von Kleinbauern genutzt werden.
Welche Probleme ergeben sich in den Zielländern für die Bevölkerung?
Wilhelm Thees: Viele Bauern haben keine Landtitel und verlieren ihre Ländereien an die großen Investoren. Sie stehen mit nichts da und erhalten nur unzureichende Kompensationen. Der lybische Staat hat zum Beispiel in Mali über 100.000 Hektar Landfläche gekauft. Die Bauern wurden einfach ohne Vorwarnung von jetzt auf gleich vor die Realität gestellt, dass sie ihr Land zur nächsten Anbausaison verlassen müssen.
Landgrabbing wird oft damit gerechtfertigt, dass die Rentabilität des Landes nicht gut ist. Dass die Kleinbauern zu wenig produzieren und man auf externe Investitionen angewiesen ist. Fakt ist aber, dass in vielen Ländern Afrikas durch die schlechte Regierungsführung schlechte Rahmenbedingungen herrschen und die Kleinbauern deshalb nicht wirtschaftlich effizient arbeiten können. In vielen Ländern werden die Kleinbauern zum Beispiel zu horrenden illegalen Abgaben gezwungen. Das verteuert die Preise ihrer Produkte und sie können der Konkurrenz nicht standhalten.
Mit welchen Forderungen reist MISEREOR zum Weltsozialforum in Dakar/ Senegal?
Wilhelm Thees: Wir fordern vor allem eine Weiterentwicklung des internationalen Rechts. Das Recht auf Nahrung sollte juristisch einklagbar sein und Verstöße dagegen geächtet werden. Nur so kann geahndet werden, wenn landwirtschaftliche Investitionen die Ernährungssouveränität der Bevölkerung gefährden. Wir fordern gerade im afrikanischen Kontext ein Moratorium, denn es gibt keinen Verhaltenskodex zum Thema Landkauf und viele Staaten verkaufen ihre Ländereien illegal. Für den nationalen Kontext muss die Frage gestellt werden wieweit die Bundesregierung Entwicklungshilfegelder an Staaten zahlt, die solche illegalen Landverkäufe tätigen.