Die Rhetorik ist dramatisch: “Wenn wir diese zentrale Schlacht verlieren, dann können wir einpacken, der Regierungsplan zum Klimawandel verkäme zur Farce“, sagt Luiz Zarref, ein junger, bärtiger Aktivist des Kleinbauerndachverbands Vía Campesina.
Seit Jahren arbeitet die prominent in Parlament und Regierung vertretene Agrarlobby darauf hin, das brasilianische Waldgesetz aus dem Jahr 1965, eines der fortschrittlichsten seiner Art, bis zu Unkenntlichkeit zu verwässern. Sie läuft vor allem Sturm gegen die Vorschrift, jedes Privatgrundstück müsse einen bestimmten Anteil als „natürliche Reserve“ erhalten – für das Amazonas-Ökosystem liegt dieser Wert bei 80 Prozent.
In der Praxis wird jeden Tag tausendfach dagegen verstoßen – in den letzten 30 Jahren sind 18 Prozent des Amazonas-Regenwaldes völlig zerstört worden. Noch dramatischer sieht es in anderen Teilen Brasiliens aus: Vom Atlantischen Regenwald beispielsweise sind nur noch 7 Prozent übrig, die artenreiche Waldsteppe Cerrado fällt Soja- oder Zuckerrohr-Monokulturen zum Opfer. Die Entwaldung ist für zwei Drittel der brasilianischen CO2-Emissionen verantwortlich.
Bilder: Zuckerrohrschneider in Inhumas (Goiás). Ein junger Arbeiter schafft bis zu 12 Tonnen am Tag, aber selbst Frauen oder über 60-jährige Männer sehen oft keine Alternative zur Knochenarbeit. Fotos: Luiz Henrique da Silva
Umweltschützer werfen dem Staat vor, er versage bei der Durchsetzung des Entwaldungsverbotes. Die Farmer argumentieren, das Waldgesetz sei schlicht inpraktikabel und wehren sich gegen ihre „Kriminalisierung“ – obwohl die Waldzerstörung in der Regel straflos bleibt. Diese möchten die Agrarier nun legalisieren: Neben einer umfassenden Amnestie fordern sie die Reduzierung, in manchen Fällen sogar die Abschaffung der Naturschutzareale. Bisher muss die natürliche Vegetation jeweils 30 Meter bis hin zu den Flussufern erhalten bleiben, diesen Abstand wollen sie auf 15 Meter verringern.
In seinem Referat erklärt Zarref den Teilnehmern des Treffens „Klimawandel und soziale Gerechtigkeit“ diese und andere Details der komplizierten Debatte. Auf Seite der Umwelt- und Kleinbauernverbände stehen zahlreiche Forscher, doch in den Medien dominieren die Standpunkte der Farmerverbände und großen Agrarkonzerne. „Wir dürfen uns nicht verstecken“, appelliert Marcos Rochinski von der Kleinbauerngewerkschaft Fetraf an die Runde, „unsere eigene Basis läuft den Sirenengesängen des Agrobusiness hinterher. Mit dieser Reform könnten sie ihr Produktionsmodell noch leichter unter uns propagieren“.
Der Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva und seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff, die seit Anfang des Jahres amtiert, ist das Thema peinlich, vor allem im Ausland. Lúcia Ortiz von Friends of the Earth Brasilien hat das auf der Klimakonferenz in Cancún erlebt. Für die Reform des Waldgesetzes sei das Parlament zuständig nicht die Regierung, habe der brasilianische Delegationsleiter gebetsmühlenhaft wiederholt.
Im ersten Halbjahr 2011 soll die Entscheidung fallen. Lúcia Ortiz und Luiz Zarref streiten weiter, und sie hoffen auf internationale Schützenhilfe.
Gerhard Dilger ist freier Journalist und lebt in Brasilien. Er nimmt aktuell am MISEREOR-Symposium „Klimawandel und Gerechtigkeit“ nahe Brasilia teil und berichtet darüber im MISEREOR-Blog.
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