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Blog aus Indien

Wenn die Menschen an Indien denken, denken sie an Gandhi. Aber es gibt viele andere Führungspersönlichkeiten in Indien, die ihr Leben dafür eingesetzt haben, dass Indien eine Demokratie wird.

Einer von ihnen ist Dr. B. R. Ambedkar. Er war der Vorsitzende des Ausschusses, der den Entwurf für die Verfassung Indiens ausgearbeitet hat. Er wurde in eine Gemeinschaft von Unberührbaren geboren, ist aber in schwindelerregende Höhen in der indischen Politik aufgestiegen im Kampf für die Menschenrechte der Unberührbaren in Indien, der so genannten Dalits.

M.C. Raj bloggt für MISEREOR aus Indien.

M.C. Raj bloggt für MISEREOR aus Indien.

Was heißt „Dalit“?

Der Begriff „Dalit“ hat hebräische Wurzeln und kommt von „Dal“; das heißt „die Gebrochenen“, „die Unterdrückten“. Im hebräischen Sprachgebrauch bedeutet das „die Gebrochenen“ oder „die Unterdrückten“ aufgrund ihrer Hautfarbe. In den Heiligen Schriften des Hinduismus werden Dalits als schwarz, hässlich und unberührbar beschrieben und verdammt. Das hinduistische Gesetz verbietet es Menschen, Dalits zu berühren, da dies als religiös verunreinigend gilt. Heute leben in Indien 240 Millionen Dalits.
Man kann sich nicht vorstellen, dass in Indien 240 Millionen Menschen heute noch wie Unberührbare behandelt werden – in einem Land, das dem Rest der Welt als wirtschaftlicher Riese in Asien präsentiert wird. Die indische Verfassung verbietet die Praxis der Unberührbarkeit. Doch obwohl diese Verfassung seit 65 Jahren in Kraft ist, werden Menschen noch immer wie Unberührbare behandelt und die Grausamkeiten gegenüber Dalits gehen immer weiter.
Meine Frau und ich haben eine Dalit-Bewegung in Karnataka, Südindien, ins Leben gerufen. Wir kämpfen noch immer gegen die Praxis der Unberührbarkeit und die Grausamkeit gegen unsere Leute. Meine Frau stammt aus einer unberührbaren Gemeinschaft, den so genannten Paraiahs, in Tamilnadu. Ich komme aus einer seit jeher unsichtbaren Gemeinschaft, den so genannten Shanans, auch aus Tamilnadu. Bis 1920 gab es im Königreich Travancore in Südindien ein Gesetz, das die Frauen meiner Gemeinschaft zwang, mit entblößten Brüsten herumzulaufen, damit die Männer, die einer Kaste angehörten, ihr Vergnügen hatten. Es gab auch eine Steuer auf die Brüste unserer Frauen, die „Bruststeuer“ hieß. Ich sah meine Mutter immer mit nackten Brüsten herumlaufen, wusste aber nicht, dass das daran lag, dass wir einer unsichtbaren Gemeinschaft angehörten. Wie viele seiner Altersgenossen trat mein Vater zum Christentum über, hauptsächlich um die Schande der Unsichtbarkeit loszuwerden. Sogar in der katholischen Schule, die ich besuchte, nannten mich die Jungs, die einer Kaste angehörten,“Krähenkacke”. Acht lange Jahre wurde ich ausschließlich so gerufen.
Auch heute noch dürfen viele aus unserer Bevölkerungsgruppe Gegenden, in denen Kastenzugehörige leben, nicht betreten. Unsere Leute dürfen nicht in den Tempel, um zu beten. Es gibt sogar Kirchen, die bis heute Unberührbarkeit praktizieren. In den Dorfgaststätten bekommen Dalits Tee oder Kaffee aus Bechern, die getrennt von den anderen Trinkgefäßen aufbewahrt werden. Dalits haben die Verpflichtung, die Dorfstraßen zu kehren, Tierkadaver wegzuräumen und Verwandte von nah und fern über den Tod von Kastenzugehörigen zu informieren. Sie müssen außerdem bei Trauerzügen, Dorffesten und Feiern trommeln, Gräber ausheben und Feuerholz für Hochzeiten vorbereiten. Diese Tätigkeiten werden als Pflichten der Dalits angesehen und deshalb bekommen sie kein Gehalt dafür.
Die schlimmste Form der Diskriminierung ist das so genannte „Devadasi-System“. Es wird bis zum heutigen Tag praktiziert. Dieses System schreibt vor, dass Dalit-Mädchen, sobald sie die Pubertät erreichen, den Hindu-Göttern und -Göttinnen geweiht werden. Sie werden dann „Devadasis“, das heißt Sklavinnen der Götter. In Wahrheit werden sie, wenn sie den Hindu-Göttern geweiht werden, Sexsklavinnen der kastenzugehörigen Männer. Sie werden Tempel-Prostituierte. Das ist der große Widerspruch: Wir sind Unberührbare, aber unsere Frauen werden berührbarer als alle anderen. Wir sind das unsichtbare Volk, aber unsere Frauen werden sichtbarer als alle anderen.
Unsere Bewegung arbeitet seit über 27 Jahren in diesem indischen Bundesstaat und hat viel erreicht. Meine Frau und ich haben ein starkes Netzwerk von Dalit-Frauen und -Jugendlichen aufgebaut, die Führungspositionen übernehmen, um ihre Zukunft innerhalb des Rahmens, den die indische Verfassung vorgibt, zu gestalten. Wie können wir, obwohl wir Dalits sind, große Erfolge erzielen? Wie sind wir Anführer einer Bewegung geworden und wie kommt es, dass wir auf Englisch schreiben können? Wer unterstützt uns in unserem dauernden Bemühen um Würde und Menschenrechte für unsere Leute?
All diese Fragen werde ich in meinem nächsten Misereor Blogeintrag beantworten.
Raj

Dieser Artikel wurde ins Deutsche übersetzt. Kommentare gerne auf Englisch schreiben.

Geschrieben von:

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M. C. Raj (Manickam Casimir Raj) ist Gesellschaftsaktivist. Er leitet eine einflussreiche Dalit-Bewegung in Karnataka, Indien. Die Dalits (auch „Kastenlose“ bzw. „Unberührbare“ genannt) leiden noch immer unter Ausgrenzung und Benachteiligung. M. C. Raj ist selbst als “Dalit” geboren; er gehört einer Bevölkerungsgruppe an, die seit jeher als „unsichtbar“ gilt. M. C. Raj hat unter anderem eine große nationale Kampagne für Wahlrechtsreformen in Indien ins Leben gerufen, die unter dem Namen CERI bekannt ist. Er ist auch ein bekannter Schriftsteller, der mehrere Bücher über Philosophie, Psychologie, Spiritualität und Politik veröffentlicht hat. Er ist viel im Ausland unterwegs und hält Vorträge an Universitäten und bei Konferenzen.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Hello Tom

    Sorry for being so late in my reply. When you wrote from India I was in Germany. Yes, you are right and am I so glad that you have a chance to see caste realities directly. But caste is like an iceberg. You, as a visitor are able to see only the tip of the iceberg. Underneath lies an entire reality of mindset, hidden agenda, unlimited cruelty and violence. This is absolute slavery worse than apartheid. The entire world has to rise in protest against actual practices of untouchability in India.

    Regards
    Raj

  2. Avatar-Foto

    Vielen Dank fuer den beitrag. Habe mal gleich den Namen Dr.Ambedkar gegoogelt (forestlet), da mir dieser hier in Indien bereits haeufiger begegnete.
    Es faellt mir oft schwer bei Indien ueber ein Entwicklungsland zu reden, eben wegen dem wirtschaftlichen Wachstum. Verhaeltnisse wie diese, die mir in meinem Jahresaufenthalt hier nicht ganz fremd sind, zeigen dass die Regierung und das Volk noch Hilfe von NGOs und von aussen benoetigen. Und ich bin dankbar, dass Menschen, wie Sie, Mr. Raj ji hier vieles bewegen.

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