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ÜberLeben in Kalkutta

Seit Dienstag bin ich auf Recherchereise für die Fastenaktion 2012 in Indien: mitten in den Slums von Kalkutta (eigentlich: Kolkata). Im Mittelpunkt stehen die Kinder und Jugendlichen des MISEREOR-Projektpartners Tiljala-Shed: Sie sind es, die mein Herz bewegen, die mich zum Lachen und Weinen bringen, die die Zukunft dieser Stadt sind.

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Ihar Tunaskar, lebt gefährlich. Er lebt in einer Hütte, direkt an den Bahngleisen. Unfälle sind hier an der Tagesordnung.

Und doch scheint sich vieles gegen sie verschworen zu haben. Als muslimische Minderheit leben sie am Rand der Gesellschaft, viele von ihnen sind Flüchtlinge, andere leben schon seit Jahrzehnten hier. Ihre Hütten aus Bambus, Plastikplanen und Wellblech stehen an giftigen Flüssen oder an gefährlichen Bahnschienen. Auf 6-9 m² leben sie zu viert, manchmal sogar zu  acht. Da mag es schwer fallen, an den Himmel auf Erden zu glauben.  Sie leben von dem, was sie Tag für Tag durch ihrer Hände Arbeit verdienen. Das ist nicht viel. So arbeiten auch die Kinder mit, um ihren Beitrag für den Familienunterhalt zu leisten. Sie sammeln und sortieren Müll, sie kleben Sandaletten und Schuhe, sie verkaufen Getränke und T-Shirts auf den Bürgersteigen dieser wuseligen Stadt. Tagsüber wird es gefühlte 40 Grad heiß, die extreme Luftfeuchtigkeit lässt es fast noch heißer erscheinen. Die Luft ist erfüllt von einem süßlich-bitteren Geschmack – so wie ich es von obergärigen Biotonnen oder gelben Säcken her kenne.

Und doch weht mir ein frischer Wind entgegen. Es sind die herzlichen Begegnungen mit den Menschen in den Slums, die den Kollegen und mir ihre Türen und Herzen öffnen. In vielen Augen spiegelt sich der unbedingte Willen nach einem menschenwürdigen Leben wieder. Die Nicht-Regierungs-Organisation „Tiljala-Shed“ hilft ihnen dabei – Schritt für Schritt. So können die Mädchen und Jungen eine Schule besuchen, um fürs Leben zu lernen; Mädchen erlernen das Schneiderhandwerk und setzen ihre wunderschönen Kleidungsstücke auf dem heimischen Markt ab; Computerkurse verbinden sie mit der Welt.

Ihars Lied

Bewegt hat mich gleich am ersten Morgen die Begegnung mit Ihar Tunaskar (siehe Foto). Ihar ist 20 Jahre alt und lebt in einer einfachen Hütte, direkt an den gefährlichen Bahngleisen. Vielen seiner Nachbarn ist dieser Ort bereits zum Verhängnis geworden; erst am Montag musste einem 7-jährigen Jungen ein Bein amputiert werden, weil er zu spät von den Gleisen laufen konnte und vom tonnenschweren Zug erfasst wurde. Auch ich muss zweimal von den Bewohnern dieses Armenviertels an die Seite gezogen werden, da ich die unaufhaltsame Vorüberfahrt eines Zuges nicht rechtzeitig bemerke – ich bin dankbar und zu  Tränen gerührt. Kurze Zeit später beginnt Ihar ein Lied zu singen. Erst ganz leise, dann immer selbstbewusster. Ich erkenne die Melodie:  „We shall overcome some day – oh deep in my heart, I do believe, that we shall overcome some day!“ Und ich singe mit. Ich singe in der Gewissheit, dass die Kinder und Jugendlichen in den Slums von Kalkutta ihr Leben meistern werden. Weil sie es trotz allem nicht verlernt haben, an sich und ihre Zukunft zu glauben!

Das macht die kaum auszuhaltende Not dieser Stadt erträglicher, ohne die Not zu ignorieren. Hier hat MISEREOR eine Partnerorganisation gefunden, die Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht. Ich weiß, dass diese Mädchen und Jungen, dass die Jugendlichen mit ihren Familien unsere Unterstützung verdient haben!

Bald gibt’s mehr aus meinem Reisetagebuch, weil ich die Intensität dieser Tage nicht einfach für mich behalten kann und will.

Über den Autor: Jörg Nottebaum arbeitet bei MISEREOR in der Abteilung Bildung und Pastoral. Er ist u.a. für die Jugendaktion zuständig.

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Jörg Nottebaum arbeitet bei MISEREOR in der Abteilung Bildung und Pastoralarbeit.

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