Als wir am frühen Nachmittag die Müllkippe in Howrah erreichen, fällt es mir schwer, den Schutzraum unseres kleinen Transporters zu verlassen. Schon von weitem hat der schwere, modernde und bissige Gestank das innere des Wagens erreicht und wird mit jeden 100 Metern unerträglicher. Was uns hier begegnet, ist eigentlich nicht in Bildern festzuhalten: auf endlosen Bergen von Müll arbeiten unzählig viele Kinder, um gemeinsam mit ihren Familien überleben zu können. Viele von ihnen barfüßig auf nackten Sohlen, ihre Füße von den vielen Verletzungen gezeichnet, andere tragen Flip-Flops.
Hier in Howrah liegt – neben der größten Müllhalde der Stadt namens Dhapa-Dumping-Ground – der Auswurf der Metropole Kolkata: zerfledderte Plastikplanen, zerrissene Sandalen, sich auflösende Bastkörbe, faulendes Gemüse und von Fliegen bedeckte Fleisch- und Knochenreste. Selbst noch heute, als ich diese Eindrücke des Vortages aufschreibe, strömen mir Restspuren des Gestanks entgegen, die sich in meinem grünen Notizheft festgesetzt haben.
10 Cent für ein Kilo Plastik
Schweine suchen mit den Menschen hier um die Wette, Tier und Mensch leben von dem, was andere weggeworfen haben und nur für den einmaligen Gebrauch produziert worden schien. Ein schwerer Lastkraftwagen mit „frischem“ Müll schleppt sich die provisorischen Wege dieser Halde hoch. Die Kinder bemerken ihn sofort und rennen ihm nach. Noch bevor der Müll abgeladen wird, springen die Kinder auf den Wagen. Sie fischen gekonnt die für sie so wertvollen Dinge mit ihren bloßen Händen oder mit kleinen Metallpickern vom Wagen: für später vielleicht einmal 1 kg dünner Plastikfolie bekommen sie etwa 5-6 Rupien, was umgerechnet etwa 10 Cent sind, für 1kg Holz bekommen sie 5 und für 1 kg härtere Plastik-Becher etwa 30 Cent.
Die Kinder kennen die Preise und die damit verbundenen „Qualitätsanforderungen“ der Materialen ganz genau. Aber nicht immer bekommen sie später auch den Preis dafür, der ihnen im voraus zugesagt wurde. Auch hier hilft der MISEREOR-Projektpartner Tiljala-Shed: Die Mitarbeiter dieser Nichtregierungs-Organisation schulen die Kinder darin, „sichere“ Geschäfte abzuschließen und bieten ihnen für den hart sortierten und gesammelten Müll kostenlose Sammelstellen an. So kooperiert Tiljala-Shed zum Beispiel auch mit einem Freizeitpark vor den Toren Kolkatas, sodass die Kinder dort frühmorgens den Müll des Vortages sammeln und später verkaufen dürfen. An sieben Tagen der Woche helfen schon die Kleinsten mit, um das Überleben ihrer Familie zu sichern. Danach geht’s für einige von ihnen frisch gewaschen und in einfache Schuluniformen geschlüpft in die Schule.
Mohan Paswan ist der jüngste, den ich heute treffe: er ist gerade mal 6 Jahre alt und schaut mich mit seinen großen braunen Augen eindrücklich an. Seine Eltern kommen wie die der meisten Kinder, die hier arbeiten, aus Bihar und haben hier in Kolkata von einem besseren Leben geträumt. Eine 22-jährige Mutter erzählt mir, dass hier auf den Müllbergen alle gleich sind, einen Machtkampf gebe es nicht. Und es klingt einfach: je länger man am Tag arbeitet, je mehr findet und verdient man! Und Vishkarma fügt hinzu: „Aber schlimm ist es, wenn es regnet. Dann können wir oft tagelang nicht arbeiten und verdienen keine einzige Rupie!“ Wir haben Mitte Juli – da regnet es häufig.
Als wir nach etwa drei Stunden diesen albtraumhaften Ort verlassen, bin ich berührt vom absoluten Überlebenswillen dieser Kinder, Jugendlichen und Eltern! Was bedeutet (auch) hier ein Leben in Würde? Md. Shafkat Alam, der Sohn des Projektleiters, der uns seit Dienstag aufmerksam und engagiert begleitet, erklärt es mir: „Jeder Mensch besitzt seine einmalige Würde von Geburt an – es gibt nur menschenunwürdige Lebensbedingungen! Und die wollen und müssen wir gemeinsam verbessern. Absolut.“
Bald mehr – versprochen!
Unser Erdball blutet aus unzähligen Wunden. Howrah ist eine davon. Hilfe ist dringend nötig. Wer nicht in der Lage ist, finanzielle Hilfe zu leisten, sollte die Probleme dieser Welt immer und immer wieder teilen. Vielleicht öffnet man dadurch Herzen und Gelsdbörsen, derer, die es sich leisten können. Man darf sich nicht entmutigen lassen.
Vielen DANK Herr Weise für Ihren Beitrag!
Es gibt sicherlich immer viele Varianten und Wege, unsere eine Welt schon in ihren Strukturen gerechter werden zu lassen. Die Leidtragenden sind fast immer die ärmeren Bevölkerungsgruppen, selten die Mitglieder der politischen Führung eines Landes. MISEREOR mahnt gemäß seines Gründungsauftrags, „den Mächtigen ins Gewissen zu reden“, auch unsere Bundesregierung immer wieder, das 0,7%-Versprechen einzulösen. In vielen entwicklungspolitischen Ausschüssen sind MitarbeiterInnen von MISEREOR gern gesehene BeraterInnen; auch können wir immer wieder mit unseren internationalen Partnern direkt mit PolitikerInnen sprechen.
Bewahren wir uns alle die Berührbarkeit durch das Leid der Welt, gleichzeitig aber auch die feste Entschlossenheit, unseren eigenen Beitrag für eine not-wendende Veränderung zu leisten. Damit – wie es so richtig in der diesjährigen Fastenaktion heißt – alle menschenwürdig leben können. Weiterhin: Mut zu Taten! Und vielen DANK für Ihr Engagement.
Der Bericht ist überaus bewegend. Wir haben uns gefragt, ob wir unser Hilfsprojekt, das wir mit MISEREOR seit 10 Jahren durchführen, aufgeben sollten, um statt dessen den Kindern auf der Müllkippe in Kaklkutta zu helfen. Aber das wäre nicht der richtige Weg, denn auch MISEREOR gibt dieses Projekt nicht auf. Aber wir müssen doch etwas tun!
Ein guter Weg wäre es, die Bundesregierungs anzumahnen, endlich die 0,7% vom BIP als Entwicklungshilfe zu leisten. Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten ist dafür – ausgenommen CDU und FDP. Wenn möglichst viel Menschen mitmachen, werden die Politiker – die ja nur gewählt werden wollen – wach.
eindrücklich und bedrücklich dein bericht! Gratulation und weiter so. tom