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Das Wald-Volk

Die Journalistin Melanie Hofmann reiste mit MISEREOR-Referentin Anika Schroeder zu den Orang Rimba nach Sumatra, einem Volk, das traditionell eng verbunden mit dem Wald lebt. Seit das Gebiet der Orang Rimba zum Nationalpark erklärt wurde, sollen sie nun aus dem Herzen des Waldes vertrieben werden. Hier berichtet Melanie Hofmann, wie die Orang Rimba sich dagegen zur Wehr setzen:

Der Wald - ursprünglicher Lebensraum der Orang Rimba.

Der Wald – ursprünglicher Lebensraum der Orang Rimba.

„Die Orang Rimba haben ihr eigenes System, den Wald zu schützen. Sie haben Regeln, die die Bevölkerung von außerhalb und sie selbst einschränken, gewisse Regionen des Waldes zu nutzen. Laut altem Gewohnheitsrecht ist vor allem der tiefste Teil des Waldes Tabu. Hier leben die Orang Rimba bis heute. Sie schlagen kein Holz ein. Sie glauben an das Weitergeben alter Traditionen und Weisheiten, um den Wald zu schützen. Nur einmal im Jahr beispielsweise ernten sie wilden Honig in den zwei Meter breiten Ziala-Bäumen – ihr Brauch verbietet, das öfter zu tun.
2004 hat die Regierung auf dem Gebiet der Orang Rimba einen Nationalpark ausgerufen. Die Idee ist eigentlich gut, allerdings kommen Nationalparks meist auch mit Zonen. In Zone 1, dem Kern des Schutzgebietes, dürfen keine Menschen leben. „Wo jetzt Zone 1 ist, der Kern des Urwalds, das war eine riesige Fläche, auf der die meisten von uns gelebt haben“, sagt Mijak Tampung. Eigentlich hat er keinen Nachnamen, der Zusatz „Tampung“ heißt so viel wie „vom Land“. 13.000 Hektar ist Zone 1 groß. Er ergänzt, dass auch der Nutzwald in Zone 1 fallen soll.
Jetzt sollen die Stämme aus dem Herzen des Waldes und aus ihrem Nutzwald vertrieben werden – oder zumindest der Versuch ist gestartet. Laut Mijak soll die Zonierung durchgesetzt werden, auch gegen den Willen der Orang Rimba. „Niemand hat uns gefragt, bevor der Nationalpark errichtet wurde“, so der junge Stammführer. Das sei das Schwierige für die Orang Rimba: Sie fühlen sich im Stich gelassen, weil sie nicht in den Prozess involviert wurden.
Nach dem Gewohnheitsrecht der Orang Rimba ist ein eigenes Zonensystem denkbar, das den Orang Rimba ihre Brauchtümer gestattet. Ein Beispiel: Schwangere Frauen müssen an einen bestimmten Ort im Wald gebracht werden, die Plazenta wird nach der Geburt unter einem anderen, ganz speziellen Baum begraben.  Diese Orte befinden sich im Herzen des Waldes, dem Ort also, den die Orang Rimba laut offiziellem Zonensystem nicht mehr benutzen dürfen. Die Regierung hat auch Strafen für illegale Holzfäller angedroht – allerdings erwischen sie diese meist nicht.
Die Orang Rimba haben hier ihr eigenes System: 6 Millionen Rupiah (etwa 500 Euro) Strafe verlangen sie für das Abholzen eines Ziala-Baumes. Um diesen Baum ranken sich viele Mythen und Brauchtümer des indigenen Stammes. Zudem haben sie eine eigene Wache abgestellt, die den Wald vor illegalem Baumeinschlag schützen soll.

Setzt sich gegen den Nationalpark zur Wehr: Mijak "Tampung".

Setzt sich gegen den Nationalpark zur Wehr: Mijak „Tampung“.

Mijak wollte sich den aufgezwungenen Nationalpark nicht gefallen lassen. Zusammen mit anderen Orang Rimba gründete er 2006 die NGO KNB. Die Orang Rimba mobilisierten und gingen in der Hauptstadt Sumatras, in Jambi, auf die Straße. „Wir haben mit Ministerien gesprochen und Lobbyarbeit gemacht. Wir wollten erreichen, dass das Gewohnheitsrecht eingehalten und berücksichtigt wird“, erzählt Mijak. Natürlich unterstütze er die Idee des Nationalparks, aber sie wollen erreichen, dass ihnen in der Kernzone das Jagen und die nachhaltige Landwirtschaft erlaubt sind. Zusammen mit der NGO CAPPA haben sie jetzt begonnen, den Wald zu vermessen und zu kartographieren, damit die Grenzen für alle klarer werden – die des Gewohnheitsrechtes und die von der Regierung.
Früher waren die Orang Rimba ein Volk der Nomaden. Dann haben sie den Landbau erlernt und bewirtschafteten im Wald und dem Grenzgebiet Kautschuk- und Palmölplantagen. Beigebracht hat ihnen das niemand, aber sie haben durch Abschauen bei Nachbarn gelernt. Die Erträge verkaufen sie – allerdings tragen sie ihr Geld immer mit sich herum, vertrauen keinen Banken. So finanzieren sie ihre Motorräder und sonstige Güter.
Selbst die kleinen Kinder haben schon von der Nationalpark-Problematik gehört. „Sie haben Angst davor und sprechen viel darüber und überlegen, wie sie damit umgehen sollen“, sagt Dwi. Die 32-Jährige ist Lehrerin und wurde von der NGO Sekola („Schule“) nach Bangko geschickt.
Sie unterrichtet etwa 20 Tage im Monat an der Orang-Rimba-Schule. Wir sprechen in Bangko mit ihr, noch bevor wir die Orang Rimba selbst kennen lernen. Sie ist an diesem Tag zurückgekommen, weil keine Schüler mehr da seien. Durch die Trauerphase (Melangun) seien die Menschen weggezogen. Die drei Lehrer planen, den Orang Rimba zu folgen.
Früher habe sie über Melangun gelacht, konnte das nicht verstehen, warum die Menschen ihr Dorf verlassen. „Aber jetzt verstehe ich die, auch ich will gar nicht mehr zurück“, sagt Dwi. Sie hatte tagelang ein krankes Mädchen gepflegt, dann ins Krankenhaus gebracht. Vor etwa einer Stunde hat sie vom Tod des Mädchens erfahren.
Sie ist erst einige Monate in Bangko und im Wald. Insgesamt 1,5 Jahre dauert das Projekt. „Indonesien hat mir im Leben viel gegeben. Und da habe ich mir überlegt, wie ich etwas zurückgeben kann“, begründet sie ihre Motivation, für die NGO Sekola zu arbeiten. Die Sekola-Lehrer leben, wenn sie nicht gerade in der Schule sind, im Haus von KNB in Bangko. Sie haben zwei Jungen mitgebracht. Sie sollen der Nachwuchs sein, später selbst an der Schule unterrichten.

Auch Mijak ist Lehrer. Im Haus in Bangko hängen Zertifikate an der Wand. Der 25-Jährige hat Computerkurse besucht, um sich zu bilden. Er kämpft für sein Volk, für ihre Freiheit. Und er bildet sich. Er hat Indonesisch gelernt, er lernt derzeit Englisch. Mit 18 ist er aus dem Wald fort, kann sich auch nicht vorstellen, zurückzugehen. „Wenn ein junger Mann eine Familie gründet, dann braucht er Land, um diese zu ernähren“, erklärt er. „Ich will nicht das ohnehin knappe Land besetzen. Das ist für andere.“

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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