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Altenheime in China

„Dem alten Dorfvorsteher sind vor lauter Dankbarkeit sogar die Tränen gekommen“, sagt  Dorf-Vize-Parteisekretärin Ye. Die Umstehenden nicken zustimmend. 30 Jahre lang war der Mann, von dem sie gerade spricht, Dorfvorsteher in einem kleinen Nachbardorf von Huangjin, im Norden der zentralchinesischen Provinz Hubei. Für seine 30 Jahre Arbeit bekommt er jetzt 800 Yuan (100 Euro) Rente. Im Jahr. Aber weil das Geld nicht direkt auf sein Konto geht, teilen es seine beiden Schwiegertöchter unter sich auf.

Mir schien, dass, als der Achtzigjährige mit seiner Erzählung an diese Stelle gelangt war, er zu heulen anfing. Dankbarkeit? Ihm bleiben eigene Ersparnissen in Höhe von 8.000 Yuan. Und wenn die aufgebraucht sind? „Ach, sieh ihn Dir doch an“, sagt Ye. „Wie schlecht es ihm schon geht. Kann sich nicht selbst versorgen. Sein Sohn hat uns angelogen, als er ihn herbrachte! Sonst hätte ich ihn gar nicht aufgenommen.“ Nicht ohne Grund. Wie der alte Mann mit seinem Rollstuhl überhaupt über die abschüssige Rampe hinunter und in das enge Hock-Klo hineinkommen soll ist mir ein Rätsel. Ye zieht ein Taschentuch hervor und trocknet ihm die Tränen ab, die über seine stoppeligen Backen herunterkullern. „So lange lebt der doch nicht mehr“, tröstet sie. Von der neuen Nachbarin des alten Dorfvorstehers, einer 78-jährigen Gichtkranken, sagt Ye, sie hätte sich vor lauter Freude, jetzt hier sein zu dürfen, übernommen und sei deswegen gestürzt. Freude? Die Alte sitzt mit dick verschorfter Nase auf ihrem Holzbett und holt gehorsam ihre verknoteten Hände aus ihrem schmutzigen Muff. Zwei Finger fehlten. Auch sie hat nicht mehr lange zu leben.

Diese beiden sind zwei von vierzehn „Glücklichen“, die einen Platz in dem neu gegründeten Altenheim Huangjins bekommen haben. Das Altenheim ist neu, das Gebäude nicht: Eigentlich ist es die Dorfgrundschule. Aber aufgrund der strengen Geburtenkontrolle, der Arbeitsmigration ins Perlflussdelta und der Schulzusammenlegungen stand die Schule leer. Mitarbeiterinnen der Nichtregierungsorganisation Nongjianü kamen deswegen auf die Idee, sie als Altenheim zu nutzen. Denn in den zentralchinesischen Dörfern gibt es schon jetzt nur noch alte Menschen und Kinder – die, wenn sie mit der Mittelschule fertig sind, auch ins Perlflussdelta abwandern werden. Zurück bleiben nur noch die Alten. An Horrorgeschichten über Vereinsamung und Vernachlässigung mangelt es nicht. Vielleicht war Ye deshalb sofort dazu bereit, die Leitung des neuen Altenheims zu übernehmen und seitdem dort 20 Stunden am Tag zu arbeiten. Heute ist offizielle Einweihung. Rund 40 Frauen, örtliche Partei- Regierungs- und Frauenverband-Kader, haben sich dazu versammelt. Ye erzählt ihnen, eine alte Frau habe ihr erzählt, so ein weiches Bett habe sie nicht mal in ihrer Hochzeitsnacht gehabt, und nicht mal als Wöchnerin habe man ihr so nett den Reis ans Bett gebracht.

Die Aufschrift heißt: „Um Alte kümmern“ und wird zur Einweihung an dem ehem. Schulgebäude angebracht

Die Aufschrift heißt: „Um Alte kümmern“ und wird zur Einweihung an dem ehem. Schulgebäude angebracht

Direktorin Wu vom staatlichen Frauenverband sagt, sie hätte nie gedacht, dass ein so armes Dorf ein so tolles Altenheim haben könnte, und dass unter der Anleitung von Partei und Regierung darüber nachgedacht werden soll, ob ein Dokument erstellt wird, dass die Kreis-Kader ein Training absolvieren sollen, um den Arbeitsstil zu verbessern. Danach soll ich etwas sagen. Schwierig, wo die Alten in ihren Pantoffeln über den Betonfußboden schlurfen und mit ihren Händen etwas umklammern, was aussieht wie ein Blumentopf mit Henkel, in dem Holzkohle glimmt: ihre einzige Heizung. Sie müssen zu zweit wohnen, damit der eine melden kann, wenn der andere aus dem Bett gefallen ist. Sie dürfen nachts in ihrem Zimmer das Licht nicht ausmachen, damit Vize-Parteisekrtetärin Ye, die nachsehen kommt, ob nicht vielleicht beide gleichzeitig aus dem Bett gefallen sind, auch was sehen kann. So möchte ich, wenn ich alt bin, nicht wohnen müssen. Aber natürlich hat Xie Lihua, die Leiterin der Misereor-Partnerorganisation Nongjianü recht: Es geht nicht darum, ein wahnsinnig tolles Altenheim zu bauen, welches dann auf Jahre hinaus ausländische Zuschüsse benötigt. Sondern darum, ein Modell zu schaffen, was in der ganzen Provinz Hubei oder vielleicht sogar in ganz Zentralchina Nachahmer finden kann. Für Menschen ohne jegliche Rente gehören dazu zuerst einmal niedrige Kosten. Die 380 Yuan (50 Euro) jedenfalls, die ein Platz hier jeden Monat kostet, sind für die meisten alten Menschen oder deren im Perlflussdelta arbeitende Kinder akzeptabel.

Ye auf der „Konferenz“ anlässlich der Einweihung

Ye auf der „Konferenz“ anlässlich der Einweihung

Und Ye wird sich in Kürze an Direktorin Wu und die anderen Kader wenden und sie bitten, ihren lobenden (wenn auch reichlich bürokratischen) Worten Taten folgen zu lassen, so dass Hoffnung besteht: auf staatliche Anerkennung, auf staatliche Unterstützung – und hoffentlich auch bald auf eine richtige Heizung.

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Wolf Kantelhardt unterstützt seit 2005 chinesische Partnerorganisationen im China-Verbindungsbüro von MISEREOR. Seit elf Jahren lebt er in der Volksrepublik China. Wolf Kantelhardt studierte Betriebswirtschaftslehre und Sinologie an der Universität Trier, interessiert sich für Übersetzungen und läuft, wenn die Feinstaubbelastung PM 2,5 unter 35 Mikrogramm pro Kubikmeter sinkt.

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