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Geschichte hautnah – Begegnung mit der Khmer-Rouge-Vergangenheit

Sich mit einer schweren Vergangenheit auseinanderzusetzen braucht Mut, Hilfe und Zeit. Die Erinnerungen daran rufen Tränen auf der einen Seite und Betroffenheit auf der anderen Seite hervor. Doch den Schmerz zu teilen schafft auch Frieden, vereinigt und hilft zu verstehen.
In Kambodscha herrschten von 1975 bis 1979 die Roten Khmer unter dem Anführer Pol Pot. Mit dem Ziel einen Bauernstaat zu schaffen, töteten die Roten Khmer in dieser Zeit über 1,7 Mio. Menschen. Diese Erfahrungen haben bei vielen Kambodschanern tiefe seelische Wunden hinterlassen.

Die aufgebahrten Schädel und Knochen in der Gedenkstätte

Die aufgebahrten Schädel und Knochen in der Gedenkstätte

Früh am Freitagmorgen brechen wir mit Father Kevin und zwei weiteren Laymissioners von Maryknoll auf in Richtung der Provinz Takeo. In der Community Ba Kam findet vom 6.-9. September 2012 das „Remembrance Program for Victims and Share Suffering Experiences of Khmer Rouge History in Community“ statt. Organisiert vom YRDP (Youth Resource Development Program) wollen sich hier alte Menschen gemeinsam mit den Jugendlichen mit der Vergangenheit auseinandersetzen und ihre Traumata aufarbeiten.

Schädel und Knochen

Nach unserer Ankunft zeigt uns Mr. Ly Bunthea, was die Jugendlichen am Tag zuvor bereits gemacht haben: Auf den Killing Fields haben sie nach Knochen und Schädeln gesucht, diese gesäubert und in einer Gedenkstätte aufgebahrt. Ly Bunthea erzählt, dass es die alten Menschen sehr beeindruckt habe, dass junge Menschen Interesse zeigen und ein Zeichen dafür setzen wollen, dass die Vergangenheit nicht vergessen werden darf. Wir stehen in der heißen Mittagssonne vor der Gedenkstätte und sehen auf die aufeinander gestapelten Knochen und Schädel. Mir geht durch den Kopf, dass jeder Schädel und jeder Knochen zu einem Menschen gehört hat, dass diese Menschen unschuldig und auf brutale Art und Weise hingerichtet worden und das zu Tausenden. Ich bin tief beeindruckt von der Arbeit der Jugendlichen.

Ein vertrautes Logo

Anschließend sitzen wir im Tempel der Pour Meas Pagode und hören einem Geschichtsprofessor der Royal University Phnom Penh sowie einem Mann aus der lokalen Umgebung, der alles damals selbst erlebt hat, über die Entwicklung der Khmer Rouge zu. Zu verstehen, wie eine solche Gruppe überhaupt an die Macht kommen konnte, hilft dabei, dass sich sowas nicht wiederholt. Plötzlich stößt mich Samira an und zeigt auf das Banner, was im Hintergrund hängt. Dort steht unter den Untersützern Misereor! Das ist wirklich Zufall, da weder wir noch jemand von Maryknoll vorher gewusst hat, dass dieses Programm von Misereor unterstützt wird. Als wir sagen, dass unsere deutsche Organisation Misereor ist, verbreitert sich das Lächeln auf den Gesichtern der Kambodschanern noch mehr.

Den Menschen ganz nah

Am Samstag bilden Alt und Jung Kleingruppen, in denen sie mit Papier und Stift ihre Gefühle und Erinnerungen darstellen sollen. Ich setze mich mit Father Kevin und einem der psychologisch geschulten Leiter zu einer Gruppe. Eine ältere Frau fängt an zu erzählen. Ich verstehe nichts, da sie Khmer spricht, aber als die Frau anfängt zu weinen, steigen auch mir Tränen in die Augen. Es berührt mich sehr, zu sehen, wie präsent doch die Vergangenheit immer noch für diese Menschen ist. In Kambodscha gab es insbesondere auf dem Land keine Möglichkeit zur Aufarbeitung des Erlebten, einige der alten Menschen sprechen an diesem Wochenende zum ersten Mal über die Khmer-Rouge-Zeit. Ich bin dankbar, dass ich so nah und so persönlich daran teilhaben darf.

Auf den Killing Fields

Wanderung zu den Killing Fields

Wanderung zu den Killing Fields

Nachmittags wandern wir zu den Killing Fields. Die Landschaft ist wunderschön, wir gehen auf kleinen Pfaden zwischen den hellgrünen Reisfeldern her, rechts und links wachsen Palmen, Eukalyptusbäume und Bambuspflanzen. Es ist kaum vorstellbar, dass hier vor 30 Jahren Menschen erschossen, erschlagen oder geköpft wurden. Wir knien uns am Rand des Killing Fields an und beten gemeinsam mit den Mönchen. Ly Bunthea erklärt uns, dass für die Menschen unter anderem auch schwierig sei, dass die getöteten Freunde und Verwandten damals nicht nach buddhistischer Tradition beerdigt werden konnten. Durch das Errichten der Gedenkstätte und dieser Zeremonie auf den Killing Fields soll so Frieden für die Verstorbenen geschaffen werden. Am gesamten Wochenende finden insgesamt viele buddhistische Zeremonien und Gebete mit den Mönchen statt und es ist eine sehr besondere Erfahrung, daran teilnehmen zu dürfen.

Als das Wochenende zu Ende ist, denke ich darüber nach, was ich alles erlebt habe. Ich habe viele Menschen sehr persönlich kennenlernen dürfen, war als Ausländer Teil einer Gemeinschaft, die die Geschichte des eigenen Landes aufgearbeitet hat, habe dabei auch viele Rituale der buddhistischen Religion miterleben dürfen und neue Freunde gefunden. Auf der Heimfahrt bin ich müde, aber sehr dankbar.

Geschrieben von:

Charlotte

Im Rahmen des MISEREOR-Freiwilligendienstes verbrachte ich 10 Monate in Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas, im Projekt "Seedling of Hope"-Projekt der MISEREOR-Partnerorganisation Maryknoll. Das Projekt betreut Kinder, deren Eltern an Aids erkrankt oder gestorben sind. Nach meiner Rückkehr habe ich begonnen, Psychologie an der Universität Trier zu studieren.

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Liebe Charlotte,
    nachdem wir anlässlich unseres Aufenthalts in Phnom Penh mit dir auch Tuol Sleng, das berüchtigte Foltergefängnis S-21 der Roten Khmer besucht haben, kann ich das, was du in deinem Bericht geschrieben hast, nun sehr viel bessser nachvollziehen. Es war sehr bedrückend zu sehen, was Menschen anderen Menschen angetan haben und antun können. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung daran wach zu halten in der Hoffnung, dass so etwas nie wieder passiert.
    Ich wünsche dir für deine weitere Zeit in Kambodscha noch viele reichehaltige Erfahrungen und guten Erfolg in der Projektarbeit bei Maryknoll.
    Liebe Grüße
    Uli

  2. Avatar-Foto

    Liebe Charlotte,
    ich wünsche dir viel Kraft und Mut in den menschlichen Begegnungen, die von so großem vergrabenem Schmerz begleitet sind. Ich finde es toll, dass du dich auf so schwere Schicksale einlässt, echtes Interesse am Leben dieser Menschen zeigst, durch dein Verständnis, Mitgefühl und tatkräftige Hilfe trägst du ein Stück zur Heilung und dem Frieden in dieser Welt bei.
    Mit Respekt und Verbundenheit
    Claudia
    aus Welver-Ehningsen

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    Liebe Charlotte,

    letzte Woche durfte ich Deine Ankunft in Phnom Penh „miterleben“. Es ist schön Dich begleiten zu dürfen. Die Darstellungen der tiefen und sehr persönlichen Begegnungen mit den Menschen und Dein Mittragen des Schmerzes haben mich sehr berührt.
    Ich wünsche Dir von ganzem Herzen eine Zeit der tiefen Begegnungen, die Dich und die Menschen, denen Du begegnest und mit denen Du lebst verbindet und stärkt.

    Herzliche Grüße aus Aachen
    Christina

  4. Avatar-Foto

    Liebe Charlotte,

    ein sehr schöner Eintrag. Du hast viel mit den Menschen teilen können, ihre Erfahrungen, ihren Schmerz. Und es ist sicherlich auch tröstlich für sie, wenn sie sehen, dass Menschen aus ganz anderen Ländern und Kulturen sich für ihre Geschichte und ihr Schicksal interessieren.

    Liebe Grüße aus Aachen, auch an Samira!

    Uta

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