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Meine Straße

Sie beginnt unauffällig: Zwischen engen, niedrigen Hauszeilen treffen drei schmale Gassen zusammen und vereinigen sich zu einem Weg, der zunächst kaum breiter ist und ohne Asphalt weiter verläuft. Die Straße trägt noch keinen Namen und Hausnummern würde man vergebens suchen.

Auf Google Maps heißt sie nach wie vor Sankt Marlin, doch hat man meine Straße vor Jahren eigentlich umbenannt in Avenue Général Youssouf Boye.

Auf Google Maps heißt sie nach wie vor Sankt Marlin, doch hat man meine Straße vor Jahren eigentlich umbenannt in Avenue Général Youssouf Boye.

Auf Höhe des nächsten Blocks (Schneidereien, Schuster und eine Boutique), bevor wir die kleine Moschee erreichen, verbreitert sie sich und bekommt einen Mittelstreifen mit Betonsockel (den Fußgänger nur mühsam überqueren können). Irgendwo auf diesem Abschnitt steht die erste Straßenlaterne (die wie alle übrigen nie leuchtet).

Die Sandhügel, die meine Straße säumen, erinnern mich an den Sturm, der im Frühjahr Wüstensand bis ins Stadtinnere getragen hatte. Feiner Staub bedeckte das ohnehin wenige Grün. Die Sahara schien damals besonders drastisch weiter vorzudringen.

An den Sandhaufen spielen tagsüber Kinder, abends lagern dort häufig Jugendliche, was alles recht friedlich und freundlich ausschaut, obwohl es sich da nur um einfachen Baustellensand an einer zweispurigen Straße mit viel Verkehr handelt.

In meiner Straße, im Stadtteil Klemat, entstehen neue vier- oder fünfstöckige Wohnhäuser neben Ladenlokalen. Wie überall in N’Djaména wird nämlich in meiner Straße gebaut, als seien plötzlich hunderte Investoren angekommen. Und vielleicht trifft das ja auch zu. Zumindest zahlreiche chinesische Neubauten deuten darauf hin.

Am besten gefällt mir an meiner Straße, dass ich auf ihr weite Strecken entlang joggen kann – sie ist dafür breit und sicher genug. Andererseits umrundet sie eine großflächige, wildwüchsige Brache, sodass ich mir morgens beim Laufen, für ein paar Momente, wie in freier Natur vorkomme.

Auf Google Maps heißt sie nach wie vor Sankt Marlin, doch hat man meine Straße vor Jahren eigentlich umbenannt in Avenue Général Youssouf Boye. Bisher fand ich nicht heraus, ob welcher Verdienste dieser General von der Regierung geehrt wurde. Aber viele Straßen tragen heute Militärnamen – Zeugnis einer kriegerischen Vergangenheit.

Sichtbarer als Straßennamensschilder sind diejenigen internationaler Hilfsorganisationen: Rotes Kreuz und Vereinte Nationen sitzen gleich in mehreren Gebäuden der Avenue Youssouf Boye; das Welternährungsprogramm hat in meiner Straße ihren Logistik- und Hauptsitz. Auch „Ärzte ohne Grenzen“ sowie andere, weniger bekannte humanitäre Organisationen sind vertreten.

Wenige Meter entfernt vom Wegweiser der „Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“, die ihr Engagement vor Ort leider sehr stark verringert, weil Tschad für den deutschen Staat kein bilaterales Partnerland mehr ist, bei Hausnummer 715 errichten wir dieser Tage ein MISEREOR-Schild – damit unsere Besucher künftig leichter zur Verbindungsstelle von MISEREOR finden.

So unscheinbar ihr Anfang, so großstädtisch das Ende der Avenue Général Youssouf Boye: Vorbei an einer digitalen Werbetafel (die abwechselnd Tourismuswerbung und Videos von Sicherheitsfirmen zeigt), entlang am modernen Komplex der Fernsehaufsichtsbehörde sowie am Verein der Forschungsförderung samt seinem kleinen, aber interessanten Botanischen Garten führt sie schließlich zur Hauptgeschäftsstraße Charles de Gaulle.

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Andreas Kahler leitete seit April 2012 die MISEREOR-Verbindungsstelle in N`Djaména/Tschad. Seit 2018 ist er Leiter der Verbindungsstelle in Abuja/Nigeria. In seiner Arbeit kümmert er sich um den guten Dialog mit den Partnern von MISEREOR und begleitet die Projekte.

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