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Brasilien: Die Proteste geben uns Hoffnung

Brasilien ist im Halbfinale des Confederations Cup und die Proteste auf der Straße gehen weiter. Delci Franzen und Sandra Lôbo von der Organisation CAIS (Centro de Assessoria a Projetos e Iniciativas Sociais) in Brasília beraten und unterstützen seit vielen Jahren MISEREOR-Partnerorganisationen in Brasilien. Ein Gespräch über die aktuellen Demonstrationen in ihrem Land.

Brasilien gilt als Schwellenland, die Wirtschaft boomt, die Fußballweltmeisterschaft und die Olympischen Spiele stehen vor der Tür. Gleichzeitig geht seit Wochen eine Welle von Protesten
durchs Land. Wie denken Sie darüber?

Sandra Lôbo und Delci Franzen

Sandra Lôbo und Delci Franzen

Delci Franzen: Die Demonstrationen kamen nicht nur für das Ausland überraschend, sondern auch für uns in Brasilien. Brasilien ist ein Land, das für die Entwicklung der vergangenen Jahre hoch geschätzt wird. Und obwohl wir fußballbegeistert sind, gehen viele gerade jetzt im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft auf die Straße, um ihre Unzufriedenheit auszudrücken. Das macht deutlich, dass der Fortschritt Brasiliens eine große Mehrheit der Bevölkerung nicht erreicht.

Die Proteste gehen von der brasilianischen Mittelschicht aus. Was sind ihre Forderungen?

Delci Franzen: In den vergangenen zehn, zwölf Jahren ist eine Mittelschicht entstanden, die stolz von der Regierung präsentiert wird. Doch eigentlich handelt es sich um eine sehr prekäre Mittelschicht mit unsicheren Arbeitsplätzen. Eine finanzielle Mehrbelastung durch eine Erhöhung von Steuern oder Preisen können die meisten Menschen finanziell nicht bewältigen. So war der Ausgangspunkt der Proteste eine Preiserhöhung im öffentlichen Nahverkehr.

Proteste auf andere Art. ©Anja Kessler_MISEREOR

Proteste auf andere Art. ©Anja Kessler_MISEREOR

Sandra Lôbo: Wir brauchen ein besseres Nahverkehrssystem, damit die Menschen gut zur Arbeit und Schule kommen. Aber es geht um mehr! Jugendarbeitslosigkeit ist ein großes Thema und eine bessere Gesundheitsversorgung wird gefordert. Außerdem geht es bei den Protesten um die hohen Kosten im Zuge der Weltmeisterschaft.

Mit neuen Stadien rüstet sich Brasilien für die WM. Die Baumaßnahmen sind mit hohen finanziellen Kosten verbunden. Auch Menschen müssen den neuen Bauten weichen. Es gibt zahlreiche Vertreibungen.

Delci Franzen: Die Leute werden umgesiedelt – in Stadtteile weit außerhalb der Zentren, ohne Infrastruktur, ohne Schulen für die Kinder und ohne Gesundheitsstationen. Es gibt zwar Strom und Wasser, aber keine Kanalisation. Auch öffentliche Verkehrsmittel fehlen. Die Menschen kommen nicht zu ihrer Arbeit im Zentrum der Stadt. Die Weltmeisterschaft trägt nicht zu einer nachhaltigen Infrastruktur bei. Wer wird die großen neugebauten Stadien in den Städten nutzen, die keine nennenswerten Fußball-Mannschaften haben?

Nein zur Korruption! ©Anja Kessler_MISEREOR

Nein zur Korruption! ©Anja Kessler_MISEREOR

Sandra Lôbo: Es ist unglaublich, dass zum Beispiel in Brasília für Millionen ein Stadion gebaut wird, während sich direkt daneben zwei Krankenhäuser befinden, die in sich zusammenfallen und in denen Kranke auf Matratzen auf dem Boden liegen müssen. Das ist inakzeptabel! In den öffentlichen Krankenhäusern ist die Grundversorgung nicht garantiert. Die Situation ist wie ein Dampfkochtopf. Gott sei Dank stehen nun die Jugendlichen auf und demonstrieren.

Was meinen Sie, werden die aktuellen Proteste erfolgreich sein?

Delci Franzen: Die Demonstranten werden einen langen Atem brauchen, um Erfolg zu haben! Die brasilianische Staatsstruktur ist sehr starr und die Politik verfolgt andere Interessen. Ohne politische Reform wird es nicht gelingen, die Korruption zu minimieren. Aber die Proteste geben uns Hoffnung! Denn die Jugendlichen, die jetzt auf der Straße sind, repräsentieren die große Mehrheit der Brasilianer.

Was werden Sie als Erstes machen wenn Sie nach Brasília zurückgekehrt sind?

Auf die Straße gehen!


Mehr Informationen…

…zum Centro Gaspar Garcia de Direitos Humanos

MISEREOR unterstützt in Brasilien Organisationen wie das „Centro Gaspar Garcia de Direitos Humanos“ in Sao Paulo, die für das Recht auf ein Wohnen in Würde und Sicherheit kämpfen und den von Vertreibung betroffenen oder bedrohten Menschen zur Seite stehen.


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Annika Sophie Duhn arbeitet als Bildungsreferentin bei MISEREOR.

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