Mit großen, dunklen Augen sah er mich an. Erwartungsvoll und gleichzeitig schüchtern knetete er mit seinen Händen die Lehne eines Stuhls im Unterrichtsraum und hoffte, dass ich seine Worte verstand. Ich verstand nicht, doch er ließ nicht locker, wiederholte einige Male bis die Worte „german“ und „teacher Sarah“ verständlich wurden. Sein Vater lehnte verhalten an der Wand und beobachtete mit missmutigem Blick. Dann verstand ich.
„Oh! Yes, we come from Germany! I know teacher Sarah!“,sagte ich und nickte in der Hoffnung, dass dieser Junge auch wirklich danach gefragt habe. Plötzlich schien er wie gewandelt. Mit geradem Rücken und einem dicken Grinsen im Gesicht fragte er „So, you have meet teacher Sarah?!“ „Yes, I have met her. She is really nice!“ Auch sein Vater schien sichtlich erleichtert und freute sich, die richtige Person gefunden zu haben. „Sarah was good friend! Good, good friend! She told about you, that you would come and she said we should be nice to you!“ Nicht alles war leicht verständlich, zwar ließ ihn seine Zuversicht nun klarer sprechen, doch sein pakistanischer Akzent zwang mich zum häufigen Nachfragen – er nahm es gelassen und lachte mit einer lässigen Geste. „My mother wants to meet you too! She will be here. Friday at 1 o’clock. You can come?“ „Oh, I don’t know yet, I have to ask first…“ „I give you number of my father. You can call when not coming!“ „Oh! Ok, will be no problem as long as we stay here at BRC.“ Und schon war er davongeflitzt um mir kurz darauf einen kleinen Zettel mit einer übertrieben sauberen Nummer in die Hand zu drücken. „Ok, Katrin and me, we will be here on friday at 1 o’clock. If we can’t come, I will call you!“
Freitag, 13 Uhr.
Wir sehen auf einen Platz voller Menschen, von dem Jungen keine Spur. Ich sehe seinen Vater. Er möchte uns etwas sagen (dazu fanden wir einen freundlichen Übersetzer), er erklärte uns, dass es seiner Frau nicht gut ginge, sie uns aber trotzdem gerne kennenlernen möchte. Er sei hier um uns abzuholen, wir würden sie bei ihnen zuhause treffen. „Oh, but we don’t know if we can leave BRC… We have to ask first“ Also fragten wir unseren Supervisor. Nach längerer Unterhaltung (mit Verständigungsproblem wohlbemerkt) wurde jedoch klar, dass diese Option nicht zur Frage stand.
„I am so sorry, but we can’t visit your house. We really want to, but we aren’t allowed to“ Ein trauriger, beklemmender Blick folgte dem nächsten. Er habe seine Kinder heute nicht in die Schule geschickt, damit sie uns treffen könnten, erklärte er. Ob wir wirklich nicht kommen könnten, es würde ihnen allen viel bedeuten! Erneut stiegen wir die Treppen zu unserem Supervisor empor, doch die Antwort blieb gleich. Als wir uns mit einem überdeutlichen „No, we can not“ voneinander trennten, blieb ein bedrückendes Gefühl.
Es klopfte an die Bürotür
„The mother is here. She wants to talk to you!“ Voller Überraschung traten wir auf den Flur hinaus. Ihre schwarzen, langen Haare fielen ihr in das müde, besorgte Gesicht, ihr Körper sprach von Erschöpfung. Hin und wieder schien ihre Nase verschnupft. „She wanted to invite you because Sarah was a good friend und she wanted to make something nice for Sarahs friends“, übersetzte ein Freund. Wir sagten, dass wir sie sehr gerne besuchen würden, es einfach noch nicht die Zeit sei, dass wir ihre Einladung sehr wertzuschätzen wüssten, und wir uns freuen würden, ihre Kinder bald zu treffen… dennoch schien ihr nichts davon das Gefühl zu nehmen, sich für diese Einladung entschuldigen zu müssen. „Sarah has done very much for her family and her kids. She wanted to be thankful when she invited you. And she really wants to meet you too, but doesn’t want to make any problems” Sie verabschiedete sich mit einem leichten Lächeln und stieg behutsam die Treppe zum Hoff hinab. Dann hustete sie.
Beim Lesen deines Blogeintrags, hatte ich wieder Sarahs Worte in den Ohren, wie sie die Familien zitiert, auf die sie täglich traf. Die Pakistanis haben schon eine besonders niedliche Art Englisch zu reden 🙂
Manchmal muss man einfach auf das Schicksal oder eine göttliche Fügung vertrauen: Ich hab in der ersten Woche im FWD eine Familie in ihrem „Haus“ in einem Armutsviertel mit einem Fieldworker besucht. Durch einen Zufall bin ich ihnen in der vorletzten Woche, kurz bevor es nach Hause ging, wieder begegnet. Diesmal im nigelnagel-neuen, durch Habitat gebauten, Haus.
Oder wer weiß, vielleicht habt ihr die Familie nicht mehr getroffen, weil sie in der Zwischenzeit ein Resettlement bekommen haben…
Und wie es einen Nachgeschmack hinterlässt. Ich hoffe immer dem Jungen oder seinem Vater nochmal im BRC zu begegnen, aber bisher hatte ich da leider kein Glück. Ich denke oft mit zwiespältigen Gefühlen daran zurück.
Inzwischen ist es schon öfter vorgekommen, dass wir von Flüchtlingen bzw. Asylsuchenden eingeladen wurden. Es ist jedes Mal traurig, zu sagen, dass man nicht (oder noch nicht) kommen kann, doch keine Einladung war derartig bewegend wie die erste.
Wir freuen uns selbstverständlich darüber , dass uns die Menschen hier mit dieser Herzlichkeit begrüßen, aber in Hinsicht auf den Freiwilligendienst es damit ehrlichgesagt nicht immer leicht umzugehen. Das Herz möchte alles annehmen und zurückschenken, aber der Kopf kennt viele Gründe, das nicht zu tun… und unser Supervisor auch. Zumindest nicht in diesem Maße.
Das macht auf eine seltsame Weise glücklich und traurig zugleich.
Oh Mann, Barbara. Das muss ich erst mal verdauen. Das ist eine schöne Geschichte. Eine traurige auch. Und eine beeindruckende. So viele Gedanken gingen mir im Kopf rum, als ich den Eintrag gelesen habe. Ich habe mich sehr für Sarah gefreut und dass sie solche Spuren in ihrem FWD hinterlassen hat. Ich habe mich für euch gefreut, dass ihr direkt solche Gastfreundlichkeit und Dankbarkeit kennenlernt. Ist hier ja nicht so an der Tagesordnung. Es ist auch irgendwo verständlich, dass der Supervisor euch nicht hat gehen lassen. Aber das hat mir sehr leid getan für die Frau und ihre Familie. Und für euch auch. Das war keine einfache Situation. Und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack …
LG, Uta