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Krieg in Syrien: „Die Banalität des Todes“

Vier Jahre nach Ausbruch der Kämpfe in Syrien sind 12,2 Millionen Syrer auf Nothilfen angewiesen – und damit die Hälfte der Menschen, die vor dem Krieg in Syrien lebte. 7,6 Millionen Menschen sind in Syrien selbst auf der Flucht, 3,2 Millionen sind in die Nachbarländer geflohen. 242.000 Syrer leben derzeit in Gebieten, die von jeglicher Hilfe abgeschnitten sind. Schätzungen gehen davon aus, dass bisher über eine Millionen Menschen in dem Konflikt verletzt wurden und 210.000 gestorben sind. Ein Gespräch mit Zerene Haddad, Mitarbeiterin beim Jesuit Refugee Service (JRS) Middle East and North Africa, über die Banalität des Todes und dringend benötigte Unterstützung.

Die Küche versorgt Binnenvertriebene in Aleppo mit 8.000 Mahlzeiten pro Tag. © Gebrail Saud/JRS Aleppo

Die JRS-Küche versorgt Binnenvertriebene in Aleppo mit 8.000 Mahlzeiten pro Tag. © Gebrail Saud/JRS Aleppo

Nach über vier Jahren Krieg: Wie überleben die Menschen jeden Tag?

Vor einigen Tagen sprach ich via Skype mit einem Kollegen in Aleppo. Ich fragte ihn: „Wie geht es euch?“. Er antwortete: „Wir leben.“ – „Das ist alles?“ – „Ja. Das ist alles. Für uns zählt nur, ob wir tot oder lebendig sind. Es gibt nichts anders zu sagen. Wir sind glücklich, am Leben zu sein.“

Nach vier Jahren Krieg – wobei sich die Kämpfe in den vergangenen sechs Monaten dramatisch verschärft haben – ist Syriens Infrastruktur stark zerstört. Die Grundversorgung existiert nicht mehr. Preise und Mieten sind explodiert. Selbst diejenigen, die noch Arbeit haben, kämpfen jeden Tag ums Überleben. Die meisten Familien können sich keine drei Mahlzeiten am Tag leisten. Alle leiden: Die Binnenvertriebenen, aber auch die Menschen, die noch in ihren eigenen Häusern leben.

Viele Kinder können nicht in die Schule gehen. So etwas wie eine „Sicherheitszone“ gibt es in Syrien nicht. Überall ist man in Gefahr. Gewalt ist an der Tagesordnung. Nawras Sammour, der Regionaldirektor von JRS in Syrien, spricht von der „Banalität des Todes“. Sie ist Bestandteil des Lebens jedes Einzelnen geworden. Zivilisten werden wahllos angegriffen – von allen Konfliktparteien. Sie sind es, die den größten Schaden davontragen, körperlich, psychologisch und materiell.


„Wir als Syrer ziehen es vor, in Syrien zu bleiben. Wir lieben unser Heimatland, aber es wird unerträglich. Wenn die Bomben uns nicht umbringen, dann werden wir am Hunger sterben, denn selbst mit einer Arbeit kann ich meine Familie nicht ernähren, weil die Preise immer weiter steigen und Nahrungsmittel knapp sind. Jeden Tag gibt es weniger Hoffnung für uns.“ (Vater in Homs, dessen Familie von JRS Unterstützung erhält)


Welche Unterstützung brauchen die Menschen jetzt am dringendsten?

Sie benötigen weiterhin dringend Nahrungsmittel und Medikamente, vor allem gegen chronische Erkrankungen. Es fehlt an Unterkünften und Sanitäreinrichtungen. Kinder müssen wieder die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen. Schätzungen gehen davon aus, dass drei Millionen Kinder in der Region keinen Zugang zu Bildung haben. Kinder wie Erwachsene sind von den Erlebnissen traumatisiert und brauchen psychosoziale Unterstützung.

Wie können wir in Deutschland syrische Familien unterstützten?

Zum Beispiel durch Spenden an humanitäre Organisationen – am besten Organisationen, die mit Partnern innerhalb Syriens zusammenarbeiten. Dort gibt es die schlimmste Not und die größten Schwierigkeiten, die Menschen zu erreichen.

Die Küche versorgt Binnenvertriebene in Aleppo mit 8.000 Mahlzeiten pro Tag. © Gebrail Saud/JRS Aleppo

Oft die einzige warme Mahlzeit: „Field kitchen“ von JRS in Aleppo. © Gebrail Saud/JRS Aleppo

Aber genauso wichtig ist es, den Menschen durch öffentliche Kampagnen die Notlage der Syrer und die Notwendigkeit einer politischen Lösung des Konfliktes bewusst zu machen. Er kann nicht militärisch gelöst werden.

Die deutsche Öffentlichkeit kann Druck auf ihre Politiker ausüben, damit diese sich um Verhandlungslösungen bemühen. Die Krise in Syrien betrifft nicht nur das Land selbst. Die Kämpfe destabilisieren die gesamte Region. Das wird auch Auswirkungen auf Europa haben. Denn Europa ist geographisch gesehen das nächste Gebiet, das Sicherheit bietet.

Der andauernde Konflikt in Syrien ist zudem für den IS die perfekte Umgebung, um sich weiter auszubreiten und große Teile von Syrien und Irak zu kontrollieren. Der IS braucht Instabilität und nutzt das Führungsvakuum, um zu wachsen. Erst wenn der Konflikt in Syrien gelöst wird, kann der IS erfolgreich bekämpft werden – und zwar nicht nur aus einer militärischen, sondern auch aus einer humanitären und sozioökonomischen Perspektive. Denn seine Popularität und Macht wurzeln in dem Bedürfnis nach einem neuen politischen, religiösen und militärischen Ansatz im Mittleren Osten, nachdem so viele Nationalstaaten gescheitert sind. Seit drei Jahrzehnten befindet sich die Region in einem Zustand andauernden Krieges. Das muss aufhören.


Erfahren Sie mehr über die MISEREOR-Hilfe für syrische Flüchtlinge.

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Petra Kilian arbeitet im Berliner Büro von MISEREOR.

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