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Gott und Gold: Wie viel ist genug?

MISEREOR-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel über das neue Hungertuch und die Vision eines guten Lebens für alleHungertuch_2015

Auf den ersten Blick wirkt es fremd und ungewöhnlich, das 20. MISEREOR-Hungertuch. Dick-schwarz durchzieht ein mächtiger, geschwungener Balken das Tuch. Darum herum ist alles grau, scheinbar unwirtlich. Von saftigen grünen Wiesen, dem Blau frischer Luft oder lebensspendendem Wasser findet der Betrachter nichts auf dem Bild des chinesischen Künstlers Dao Zi. Dafür prangt dominant in der Mitte ein dicker Goldklumpen, der kaum  Platz lässt für die kleinen Goldkörner am unteren Rand des Tuches. „Unsere Welt befindet sich mitten in einer schweren Krise“, sagt Zi. „Das ist besonders in China zu spüren: Die tägliche Luftverschmutzung; unser Trinkwasser, unsere Nahrungsmittel – alles ist vergiftet. Man kämpft immer ums Überleben. Und genau diese Auseinandersetzung hat mich inspiriert.“

„Gott und Gold – Wie viel ist genug?“. Das ist der Titel des Hungertuchs 2015/2016. Es ist gleichzeitig eine Frage, die sich an jeden Einzelnen von uns richtet. Brauchen wir den großen Goldklumpen in der Mitte? Oder reicht uns vielleicht auch eines der kleinen Goldkörnchen am Rand?

Geld und Gold können auch Leben zerstören

Geld und Gold helfen uns, ein angenehmes Leben zu führen, unsere Ziele und Träume zu verwirklichen. Doch Geld und Gold können auch Leben zerstören. Die Gier nach Rohstoffen hat ganze Kulturen ausgelöscht und Gesellschaften zerstört. Das Rennen um die Bodenschätze dieser Welt ist verantwortlich für Armut, Krieg und Vertreibung. In Peru etwa vergiftet die Goldmine Yanacocha durch Chemikalien wie Zyanid, die für den Abbau verwendet werden, Wasser, Luft, Boden und die Menschen, die in ihrer Nähe leben. Im Osten des Kongos schürt der Hunger nach Coltan und anderen Edelmetallen, die in unseren Smartphones und Laptops verbaut werden, Gewalt und Krieg. Und auf der kleinen ostphilippinischen Insel Manikani zerstört der Nickelabbau fruchtbares Land und die Gemeinschaft der Inselbewohner.

Dafür mitverantwortlich sind die Industrienationen – und damit wir. Denn noch immer gilt stetiges Wachstum als Patentrezept gegen Wirtschaftskrisen und für Wohlstand. Und um möglichst viel möglichst billig produzieren und konsumieren zu können, brauchen wir Rohstoffe – brauchen wir immer mehr Gold. Eine Folge davon ist neben der Umweltzerstörung und Gewalt auch der Klimawandel. Verursacht durch unser Wirtschaftsmodell und unseren konsumorientierten Lebensstil stoßen wir zu viel CO2 aus und verbrauchen zu viele Ressourcen. Unter den Folgen leiden diejenigen am meisten, die am wenigsten dazu beigetragen haben: Die Menschen im globalen Süden. Zum Beispiel auf den Philippinen, dem Land der diesjährigen MISEREOR-Fastenaktion.

Doch nicht nur auf globaler Ebene stellt sich uns immer wieder die Frage der Gerechtigkeit, auch als Individuen müssen wir uns fragen: „Was ist genug?“. Führt das zwanghafte Streben nach  „Immer mehr“ dahin, dass wir uns selbst verlieren? Verwechseln wir Lebensqualität nicht vielleicht mit Konsumquantität? Unser auf Gewinnmaximierung ausgerichtetes Wirtschaftssystem macht alles zur Ware: Wasser, Boden, Nahrungsmittel, Tiere, Zeit – und den Menschen. Dieser werde wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen könne, kritisierte bereits Papst Franziskus. Doch wir selbst können gegensteuern.

„Wem dienst du?“

„Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“ (Mt. 6,21). Dieser Vers inspirierte Dao Zi bei der Gestaltung des MISEREOR-Hungertuchs. Und er malte Hoffnung in das nur auf den ersten Blick bedrückende Bild.

Denn der goldene Felsbrocken symbolisiert auch Christus, der als Stein des Anstoßes auf unsere Erde kommt. Gemeinsam mit dem schwarzen Balken entsteht so ein Kreuz. „Wem dienst du?“, fragt er: „Gott oder dem Gold?“. Er lässt uns damit als Geschöpfe freien Willens die Entscheidung. Das ist nicht immer bequem, nicht immer leicht anzunehmen. Doch entscheiden müssen wir uns. Wir können nicht beiden dienen: Gott und dem Gold (vgl. Mt. 6,24).

Vision von einem würdigen Leben

Jesus lässt die Menschen dabei nicht alleine. In der Bergpredigt entwirft er das Bild einer Welt, in der das Reich Gottes gegenwärtig ist und ein gutes Leben für alle gelingen kann. Auch die Geschichte von der Brotvermehrung zeigt, dass die Schöpfung Gottes unerschöpflich ist. Im Teilen und Mitteilen, im Geben und Vergeben vermehren sich die Gaben. Der Hungertuchkünster Dao Zi hat sieben kleine Goldkörner am unteren Bildrand verteilt – als Zeichen der Vollkommenheit dessen, was Gott geschaffen hat.

Bei einer unserer Begegnungen sagte er mir: „Meine Vorstellung von einer globalisierten Welt ist nicht Überfluss oder Erfolg, sondern ein würdiges Leben in Gerechtigkeit und Gemeinsamkeit“. Das Hungertuch stellt Fragen, lädt zum Dialog und zur Suche ein, ist offen für unterschiedliche Sichtweisen. Wer die Wahrheit sucht, sucht Gott, sagt Edith Stein. Sie lesen das Bild des Hungertuchs und entdecken die verändernde Kraft, die uns bewegt, Visionen von einem würdigen Leben in Gerechtigkeit zu entwickeln, von einer Welt, in der alle ein „Leben in Fülle“ (vgl. Joh. 10,10) führen können.


Die Projekte zur Fastenaktion 2015

Das Leben auf den Philippinen bedeutet ein Leben am Wasser. Besonders die Fischer des Landes bekommen die Folgen der Klimaveränderung hautnah zu spüren. MISEREOR-Projekte unterstützen die Menschen dabei, ihre Lebensweise der veränderten Situation anzupassen, so ihren Lebensraum zu bewahren und Katastrophen vorzubeugen.

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Pirmin Spiegel ist Hauptgeschäftsführer bei Misereor. Bevor er 2012 zu Misereor kam, war er 15 Jahre in Brasilien als Pfarrer tätig und bildete in verschiedenen Ländern Lateinamerikas Laienmissionare aus.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

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    Ein interessanter Beitrag, der mich zum nachdecken gebracht hat. Bis jetzt war ich immer nur auf der Suche nach Informationen und Quellen zum Investieren und Geld verdienen. Gold- und Silber-Münzen möchte ich mir in der nächsten Zeit kaufen. Was bei der Förderung von Edelmetallen mit dem Land und den Leuten passiert hat mich geschockt. Mittlerweile weiß ich nicht mehr wie ich mich verhalten sollte oder möchte! Gruß Aderius (http://aderius.de/)

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