Die harten Fakten
Es ist bekannt, dass viele zentralamerikanische Länder zu den ärmsten Gegenden weltweit zählen. Die Armut in diesen Ländern entstand aus vielen Gründen, doch ich denke, die zwei größten Ursachen sind die politischen Diktaturen in den 60er bis 80er Jahren und immer wieder auftretende Naturkatastrophen. Das alles, kombiniert mit einer Gang-Kultur und dem organisiertem Verbrechen, ergibt die perfekte Mischung, um sich von Land und Leuten für immer zu verabschieden. Obwohl viele zentralamerikanische Jugendliche Zuflucht, ein Zugehörigkeitsgefühl, Ansehen, Respekt, Familie und teilweise auch ökonomische Stabilität in Banden wiederfinden, gibt es auch viele, die diesen höchst gewalttätigen Organisationen nicht beitreten wollen. Da aber fast alle Familien entweder dafür Geld an die Banden zahlen, damit diese ihre Kinder in Ruhe lassen oder ihre Söhne/Töchter rekrutieren lassen müssen, entscheiden sich viele Jugendliche dafür zu flüchten.
Und dann gibt es nur einen Traum: ins gelobte nordamerikanische Land zu kommen. Dort sind die Jugendlichen zunächst illegal, arbeiten unter harten Bedingungen und werden mit Diskriminierung konfrontiert. Jedoch ist dies immer noch eine bessere Alternative, als jeden Tag um sein Leben bangen zu müssen. Da Mexiko leider ökonomisch auch nicht sehr viel zu bieten hat, fungiert es für die meisten als „Transitionland“. Es gibt hierzu einen sehr guten Film, den ich nur empfehlen kann. Er heißt „La vida precoz y precaria de Sabina Rivas“ und ganz am Anfang wird gesagt: „den Amerikanischen Traum zu träumen ist einfach, die Schwierigkeit liegt darin, Mexiko zu überqueren“ (soñar el sueno americano es fácil, lo difícil es cruzar por México). Tja, und so ist es auch 🙁 . In Mexiko werden die zentralamerikanischen Migranten, die hauptsächlich aus dem sogenannten Dreieck des Nordens (Guatemala, El Salvador, Honduras) stammen, mit allen möglichen Schwierigkeiten und Verbrechen konfrontiert: Raub, Diskriminierung, Folter, illegale Festnahmen, ins Gefängnis kommen ohne Urteil, etc. All diese Verbrechen werden sowohl vom organisierten Verbrechen als auch von allen möglichen Polizei-und Militäreinheiten sowie auch der Migrationsbehörde vollzogen. Die Migranten reisen auf einem Güterzug, der vom Süden des Landes bis hin zum Norden führt und zynischerweise „Die Bestie“ genannt wird. Da es zu vielen Vergewaltigungen auf dieser Reise kommt, sprechen die Frauen mittlerweile von der „mexikanischen Pille“, einem billigen Medikament, das sie vor ihrer Reise durch Mexiko nehmen. Somit stellen sie wenigstens sicher, dass sie nicht schwanger werden.
Aktuelles
In dieser Rubrik möchte ich zwei Sachen erwähnen:
a) Anfang Juli 2014 hat der mexikanische Präsident, Enrique Pena Nieto, öffentlich bekannt gegeben, dass es in Kürze das „Programm Südgrenze“ (Programa Frontera Sur) geben wird, das zum integralen Schutz des Migranten dient. Dieser Plan trat dann auch schon im August/September in Kraft. Fakt ist jedoch, dass das Programm aus einer Seite besteht und konkrete Aktivitäten zur Durchsetzung eben dieses Planes fehlen. Ein anderer Fakt ist, dass die Militär-,Polizei- und Migrationsbehördenspräsenz enorm gestiegen und somit der/die Migrant/in eigentlich noch mehr in Gefahr ist. Sie nehmen stattdessen alternative Routen, die in den Dschungel führen und welche sie schutzlos dem organisierten Verbrechen ausliefern.
Woher weiß ich das alles?
Es ist vor Kurzem ein nationales Kollektiv entstanden, CODEMIRE (Colectivo de Defensores para Migrantes y Refugiados) , welches aus verschiedenen Migrantenherbergen, Tafeln und Menschenrechtsorganisationen besteht. Centro Prodh ist diesem Kollektiv beigetreten und am 8. April 2015 fand eine Pressekonferenz statt, die das Kollektiv vorstellte und das „Programm Südgrenze“ mit all seinen Nachteilen darstellte.
b) Seit letztem Jahr ist eine neue Migrationsgeneration herangewachsen: Es handelt sich hierbei um unbegleitete Kinder und Jugendliche. Es muss eigentlich nicht besonders erwähnt werden, dass diese Gruppe erst recht den bereits genannten Gefahren ausgesetzt ist.
Ángel Amilcar
Der aktuellste Migrationsfall vom Centro Prodh ist der von Ángel Amilcar. Ángel ist ein junger Mann, der 2009 aus Honduras floh, um in den Staaten vorübergehend Arbeit zu finden. Mit dem Geld wollte er die medizinische Versorgung seines 10jährigen Sohnes, der an Krebs litt, bezahlen. Das komplette Dossier vom Centro Prodh (englisch) findet sich hier und da wir in diesem Fall zusammen mit Amnesty International Mexiko gearbeitet haben, hier der dazugehörige Link auf der Amnesty-Seite. Ich muss vorwarnen: es ist eine wirklich unschöne Geschichte. Dennoch wurde am 16.Oktober 2014 Ángel Amilcar aus dem Gefängnis befreit und ich muss sagen, dass dies mit einer meiner schönsten Momente hier in Mexiko war.
Die langwierige Dokumentation
Da sehr vielen Migrantenherbergen bisher nur unzureichend ihre „Gäste“ dokumentieren, hat das Centro Prodh dieses Jahr im Februar einen Workshop zu ebendiesem Thema gegeben. Dabei haben wir zusammen mit der UN Refugees gearbeitet. Ich hatte somit die Möglichkeit, zwei meiner Kollegen nach Chiapas (Süden Mexikos) zu begleiten. Es waren wirklich 2 ½ sehr interessante Tage.
Zu guter Letzt würde ich gerne eine wundervolle Dokumentation ans Herz legen. Sie kam Anfang dieses Jahres raus, Regie führte ein junger Mann namens Arturo González. Mehr als um die Migranten, geht es hier um eine Gruppe von Frauen, die im Bundestaat Veracruz nahe der Zuggleise lebt. Diese haben vor 20 Jahren angefangen, täglich Mahlzeiten zu kochen, sie in Plastiktüten zu verpacken und dann den Migranten auf denvorbeifahrenden Zug zu werfen. Diese Frauen leben selber nicht in großem Reichtum, dennoch haben sie ein großes Herz für ihre Brüder und Schwestern. Ich habe einen Artikel (spanisch) zu der Erstaufführung der Doku während eines Doku-Festivals geschrieben, der hier eingesehen werden kann. Zudem war ich auf der 20-Jahr-Feier der „Patronas“ (so werden die Frauen, die die Mahlzeiten zubereiten genannt, da sie in „La Patrona“ leben) Ende Februar 2015 und habe auch hierüber ein Artikel fürs Centro Prodh geschrieben. Alle Spanischleser bitte hier folgen! 🙂
Liebe Kely,
was für ein toller Artikel. Du hast die Umstände so gut beschrieben und dir soviel Mühe gemacht mit den Hintergrundinformationen. Echt klasse! Außerdem wissen wir hier viel zu wenig über diese Probleme. Klar, man hört immer wieder von den Banden. Und man weiß, dass viele Menschen in die USA wollen. Aber: Was da genau hintersteckt und dass es auch Programme gibt in Mexiko, die sich damit beschäftigen, Fehlanzeige. Davon hört man hier nichts, es sei denn, man sucht konkret danach. Was wohl die Wenigsten tun. Ich auch nicht, da bin ich ehrlich. Am meisten haben mich die „Patronas“ beeindruckt. Solche Solidarität finde ich einfach umwerfend. Und hier? Das reiche Europa streitet sich mal wieder, wer denn wieviele Flüchtlinge aufnimmt und wie die dann untergebracht werden und bitte bloß nicht bei mir um die Ecke. Wenn die kommen, dann bitte wo anders hin … usw etc pp. Echt traurig.
LG, Uta