Myanmar – ein Land, das vor einigen Jahren noch Schlagzeilen durch Menschenrechtsverletzungen machte, ist heute sowohl bei Touristen als auch bei Investoren beliebt. Doch welche Herausforderungen hat die politische und wirtschaftliche Öffnung für die Kleinbauern des südostasiatischen Landes mit sich gebracht? Ein Erfahrungsbericht aus der Praxis – und ein Plädoyer für eine selbstbestimmte Landwirtschaft.Die Sonne sticht vom Himmel, kaum ein Lüftchen weht. In der Ferne grasen einige Wasserbüffel, ein paar Vögel zwitschern, aber ansonsten ist es still. Gemeinsam mit einer Gruppe von rund zehn Bauern eines naheliegenden Dorfes stehe ich inmitten von Reisfeldern. Es ist Anfang April und anders, als man es sich vielleicht vorstellt, taucht die Landschaft um diese Jahreszeit nicht in ein leuchtendes Grün. Die Ernte ist bereits fast beendet, bräunliche Farben dominieren die Landschaft. Ich befinde mich rund 20 Kilometer außerhalb der Stadt Pathein im Ayeyarwady-Delta. Mit Stolz in den Augen zeigen die Bauern auf einige große Töpfe, in denen gräserartige Pflanzen wachsen. Mein ungeschultes Auge erkennt nicht auf den ersten Blick, dass es sich hierbei um verschiedene traditionelle Reissorten handelt. Seit einigen Jahren schon sammeln die Bauern Saatgut, um die lokale Sortenvielfalt zu erhalten. „Die Regierung fordert von uns, dass wir Hybrid-Reis anbauen, aber unsere lokalen Sorten sind von besserer Qualität“, berichtet einer der anwesenden Bauern.
Hintergrund hiervon ist das Ziel der Regierung, die Agrarindustrie zu fördern. Auf dem Plan stehen unter anderem hohe Erträge, Exportorientierung und Mechanisierung. Möglich gemacht wird dies unter anderem durch die wirtschaftliche Öffnung des Landes. Im Jahr 2010 löste die erste zivile Regierung die über Jahrzehnte währende Militärherrschaft ab und Myanmar schlitterte nicht nur in die Demokratie, sondern machte sich auch auf den Weg, Teil der globalisierten Weltwirtschaft zu werden. Dieser Weg wurde bereits unter der Herrschaft der mächtigen Generäle beschritten: Schon im Jahr 1995 wurde Myanmar Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO). Spätestens aber seit 2010 ist die internationale Euphorie groß, wenn es um das ressourcenreiche Land geht, welches nicht zuletzt durch seine geopolitische Schlüsselposition heraussticht. Jahrzehnte währende Sanktionen wurden aufgehoben und Investoren strömen ins Land. Mit einem realen Wirtschaftswachstum von zuletzt mehr als acht Prozent ist der Aufschwung bereits Realität – doch welcher Teil der Bevölkerung profitiert von ihm? Und was haben traditionelle Reissorten mit wirtschaftlicher Entwicklung zu tun?
Circa 70 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Myanmars ist in der Landwirtschaft tätig – ein Großteil als Kleinbauern. Aufgrund dessen ist die Entwicklung des landwirtschaftlichen Sektors von enormer Wichtigkeit für die Bevölkerung des südostasiatischen Landes. Auch die Dorfbewohner, die ich im Ayeyarwady-Delta treffe, sind Kleinbauern. Inzwischen haben wir die brütende Hitze auf den Feldern hinter uns gelassen und uns in einem kleinen Holzhaus im Dorf versammelt. Hier im Delta – der „goldenen Reisschüssel“ des Landes – dreht sich alles um Reis. Auch unser Mittagssnack, der nun serviert wird: Frittierte Bananen umhüllt von Klebereis. Natürlich fehlt es auch nicht an sehr heißem grünen Tee, der wie stets aus kleinen Tässchen getrunken wird. Während wir auf dem Boden sitzen, berichten die Dorfbewohner von weiteren Problemen, die das Leben als Reisbauer mit sich bringt. Unter anderem machen ihnen die instabilen Reispreise auf dem Markt zu schaffen. Da sie den Reis nach der Ernte nicht lagern können, müssen sie ihn sofort zu niedrigen Preisen verkaufen. Auf dem Markt erzielt außerdem vor allem Reis von sehr hoher Qualität einen guten Preis, doch die Böden sind teilweise stark durch Chemikalien belastet. Außerdem sorgt der steigende Meeresspiegel in der Delta-Region für eine zunehmende Salzwasserintrusion und damit schlechtere Ernten. „Wenn wir Hybrid-Reis anbauen, müssen wir auch Chemikalien auf den Feldern verwenden, und das jedes Jahr mehr. Unsere Böden gehen kaputt und die Qualität der Ernte ist schlecht“, berichten die Bauern. Viele der örtlichen Farmer haben sich deswegen entschieden, auf traditionelle Reissorten und biologische Anbaumethoden zu setzen, um ihre Böden zu schonen und Reis von hoher Qualität ernten zu können. Dabei werden sie auch von der MISEREOR-Partnerorganisation METTA Development Foundation unterstützt. Ein wichtiger Arbeitsbereich der 1998 gegründeten Organisation ist Ernährungssouveränität, bei der es um die Verwirklichung des Menschenrechts auf angemessene Nahrung geht. Jenseits von neoliberalen Entwicklungsrezepten, setzt Ernährungssouveränität auf selbstbestimmte und lokal verankerte Ernährungssysteme und möchte dazu die Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen stärken, für einen fairen Zugang zu Ressourcen wie Wasser, Land oder Saatgut sorgen und sich für agrar-ökologische Prinzipien starkmachen.
Ortswechsel: Rund 50 Kilometer südlich der Stadt Taunggyi im Shan Staat haben sich an die sechzig Kleinbauern in einem METTA-Trainingscenter versammelt, um mehr über ihre Landrechte zu erfahren. Inzwischen ist es Mitte Juni, die Regenzeit hat bereits begonnen und rund um das in eine sanfte Berglandschaft eingebettete Center erwachen die Reisfelder zu neuem Leben. Nun sieht es tatsächlich aus, wie in einem Reisekatalog für Südostasien. Ein Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums ist zum heutigen „Land Awareness Workshop“ gekommen, um den Anwesenden die komplizierte Prozedur des Landerwerbs näher zu bringen und ihre Fragen zu beantworten. Die Verwirrung der Bauern ist kaum verwunderlich, denn die Rahmenbedingungen für Landbesitz haben sich mit der politischen Transformation fundamental geändert. Unter der Herrschaft des Militärs hatte es im sozialistisch geprägten Myanmar keinen privaten Landbesitz gegeben. Seit das Land seine ersten Schritte in Richtung Demokratie beschreitet, sind nicht nur die Preise für Land in die Höhe geschossen, sondern wurde auch eine Landreform auf den Weg gebracht. Diese verfolgt nach Meinung zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen weniger einen kleinbäuerlich-armutsorientierten Ansatz, sondern macht es vor allem Unternehmen und ausländischen Investoren leicht, Land zu erwerben. Die Ressource Land ist für mindestens 70 Prozent der Bevölkerung Myanmars jedoch die Basis für ein gutes Einkommen – und damit ein Schlüssel zur Entwicklung. Im Verlauf des Workshops kristallisiert sich schnell ein weiterer Schlüssel heraus: Damit sich die Kleinbauern und –bäuerinnen für ihre Landrechte und eine faire Verteilung einsetzen können, brauchen sie vor allem Wissen und Aufklärung. Genau das ist es, was bei der neuen Landreform zu fehlen scheint. Der Ansatz begünstigt nicht nur Unternehmen und Investoren, sondern ist ein „von oben“ gesteuerter Prozess, der genau den Teil der Bevölkerung auszusparen scheint, der von der Reform am meisten betroffen ist.
Die Bauern aus dem Ayeyarwady-Delta und im südlichen Shan Staat haben vor allem gemeinsam, dass sie nicht müde werden, sich für eine selbstbestimmte und nachhaltige Landwirtschaft einzusetzen. Der biologische Anbau von lokalen Reissorten und der Zugang zu Land – diese beiden Beispiele aus der Praxis machen die Idee von Ernährungssouveränität greifbar und zeigen, dass Macht immer auch mit Bildung zusammenhängt. Traditionelle Reissorten haben dann etwas mit wirtschaftlicher Entwicklung zu tun, wenn das Ziel von Wachstum und Fortschritt einen Teil der Bevölkerung auszugrenzen droht. Es geht nicht darum, an einem archaischen Bild von Landwirtschaft festzuhalten. Vielmehr geht es um einen inklusiven Entwicklungsansatz, der alle Teile der Gesellschaft an Wohlstand und Fortschritt teilhaben lässt.