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Ruanda: Drei Monate und schon so ein Theater

Wir sind nun schon seit fast drei Monaten hier in Gisenyi in der Westprovinz Ruandas. Nach und nach haben wir uns eingelebt, haben alle Bereiche unserer Organisation „Vision Jeunesse Nouvelle“ kennengelernt und mit unseren Projekten begonnen.Drei Monate Ruanda und schon so ein Theater (1)Trotz der Vielzahl an Projekten und Möglichkeiten sich hier kreativ auszutoben, erhalten wir des Öfteren Einladungen zu außerplanmäßigen Veranstaltungen, die den Facettenreichtum hier noch erhöhen. Letzens wurden wir zum Auftritt einer ruandisch-kongolesischen Theatergruppe eingeladen, die von VJN gefördert wird.

Nach der Mittagspause bin ich also schnellstens mit dem Moto-Taxi zurück zu meinem Arbeitsplatz, dem Centre Culturel gefahren, um rechtzeitig den Bus für die Mitarbeiter zu erreichen. Wie so oft habe ich mich richtig beeilt und war auf die Minute pünktlich, nur die anderen waren noch ganz wo anders.,, Als wir dann losfuhren, gingen wir noch kurz das Kind und die Frau eines Kollegen im Krankenhaus besuchen, der gerade Vater geworden war. Nach dem Besuch fiel uns auf, dass wir Teile des Notstromgenerators vergessen hatten. Mit unserer schon vorhandenen Verspätung ging es dann nochmal zurück. Da unser Chef uns bereits telefonisch zu verstehen gab schleunigst zum Auftrittsort zu kommen, weil alle Welt auf uns warte, waren wir demensprechend zügig unterwegs.

Leider kamen wir nicht so schnell an wie erhofft. Ein Streifenpolizist hielt uns wegen erhöhter Geschwindigkeit an. So etwas passiert normalerweise recht selten, da die Polizisten einerseits gut sichtbar in gelben Warnwesten am Straßenrand stehen und die Ruander ein Zeichensystem haben, um die anderen Verkehrsteilnehmer vor den Kontrollen zu warnen.

Nach einiger Diskussion ging es dann weiter. Natürlich mit ordnungsgemäßer Geschwindigkeit! Als wir dann in Nyundo mit etwa anderthalb Stunden Verspätung ankamen – die Aufführung sollte längst vorbei sein – trudelte auch so langsam das Publikum ein und der Soundcheck fing an. Wir hätten also ganz gelassen fahren können. Wenn ich jetzt sagen würde „das konnten wir ja vorher nicht wissen“ wäre es um ehrlich zu sein gelogen. Pünktlichkeit heißt etwa sechzig Minuten später und wenn es regnet geht man ja sowieso nirgendwo hin. Es fährt ja auch kein Moto.

Die Theatergruppe hat sich das partizipative Theater zum Konzept gemacht. Es geht darum, das Publikum einzubinden, es durch überspitzte Aussagen zu provozieren und zum Reflektieren anzuregen. Das Stück handelte von den Konflikten in der Region der Großen Seen. Der Schwerpunkt lag auf der jetzigen politischen Situation in Burundi und der Frage der Identität der Völker und Ethnien in Zentralafrika.

Neben den schauspielerischen Elementen wurde die Szene durch Musik, Licht und Akrobatik untermalt. So spielten zwei Akrobaten von Vision Jeunesse Nouvelle je einen burundischen und einen ruandischen Drachen, die mal miteinander kämpften und mal sich gegenseitig zu Größe verhalfen. Zusammen mit der Feuerspuckeinlage und der Musik bot sich hier eine eindrucksvolle Szene.Drei Monate Ruanda und schon so ein Theater (3)Dieselben Akrobaten jonglierten auch mit drei Bällen. Bei jeden Ball zählten sie mit: „Limwe, Kagame, Gatatu“. „Limwe, Kabili, Gatatu“ sind die Zahlen von eins bis drei. Hier einmal kurz durch den Namen des Präsidenten ausgetauscht. Diese Szene fand ich persönlich sehr markant, weil es das erste Mal war, dass man sich in irgendeiner, wenn auch harmlosen Form, öffentlich über den ruandischen Präsidenten lustig machte.

Zwei Szenen über die nach Ende der Aufführung ausführlich mit dem Publikum diskutiert wurde möchte ich kurz schildern:

  • Die Schauspieler kamen mit Masken auf die Bühne. Ein kongolesischer Schauspieler nahm seine Maske ab. Er sagt: „Es gibt keine wahren Ruander, es gibt nur Hutu, Tutsi und Twa.“ Weiter führt er aus, dass es keine wahren Kongolesen und keine wahren Burundier gäbe. Das sonst so aktive Publikum ist totenstill.
  • Eine weitere Szene handelte von der Souveränität der afrikanischen Länder. Ein Schauspieler propagiert, dass Ruanda unabhängig und befreit von seinem Leiden sei. Eine andere Schauspielerin entgegnet, dass das Land abhängig von westlichen Geldgebern und den Rohstoffen aus dem Kongo wäre, die es auf nicht ganz legale Weise ausbeute. Weiter sagte sie, dass Ruanda wie eine Marionette dem Diktat der Geldgeber folgen würde. Auch eine freie Presse sei de facto nicht zu finden.Drei Monate Ruanda und schon so ein Theater (2)

Diesmal war das Publikum laut und aufgebracht.

Anschließend wurde äußerst emotional über das Stück diskutiert. Mit welchem Ergebnis kann ich nicht genau sagen, da die Diskussion auf Kinyarwanda doch etwas zu schnell war. Aber alleine der Redebedarf, der Tonfall und die Gesten zeigten, dass das Ziel der Provokation erreicht war. Hoffentlich auch das der kritischen Reflexion.

Auch wenn das Stück größtenteils auf Kinyarwanda war, habe ich viel mitnehmen können, da viele Szenen im Kontext verständlich und gut geschauspielert waren und ich schon einige Teile der Texte auf Kinyarwanda verstehen konnte. Ich bin echt sehr froh, dass ich diesen Abend mitnehmen konnte, weil es einerseits echt unterhaltsam war und ich andererseits eine ganze Menge über die Mentalität der Menschen erfahren habe.

Die Gruppe tourte in diesen Wochen durch ganz Ruanda und die Kivuprovinzen des Kongo. Überall werden sie andere Reaktionen hervorrufen. Ich freue mich schon darauf die Videozusammenfassung aller Präsentationen zu sehen. Besonders gegenteilig werden sicherlich die Reaktionen nahe der burundischen Grenze und im Kongo ausfallen,

Vielen Dank an Eric Mutuyimana für die Fotos!

Geschrieben von:

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Ich komme aus Aachen und absolviere meinen Freiwilligendienst im Projekt Vision Jeunesse Nouvelle in Ruanda. Beim MISEREOR-Freiwilligendienst mache ich mit, weil ich mich für andere Länder, deren Kulturen und Menschen interessiere und diese kennenlernen will. Zudem möchte ich über den Tellerrand hinausschauen und meinen Horizont erweitern.

3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Lieber David,
    ein schöner Text und tolle Fotos. Ich finde die Idee, solche kontroversen Themen in einem Theaterspiel zu thematisieren eine sehr gute Idee. Scheint ja auch gut angekommen zu sein. Auf der einen Seite wird man unterhalten, auf der anderen Seite zum Nachdenken und Diskutieren angehalten.
    Sehr witzig fand ich die Beschreibung eurer Hinfahrt. Tja, das höre ich immer wieder aus Afrika: Chaotisch, aber irgendwie klappt dann immer alles. Unglaublich.
    Liebe Grüße, Uta
    PS: Wenn wir hier in Aachen bei Regen zu Hause bleiben würden, dann würde ich kaum noch auf die Straße kommen :-)))

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    Liebe Sonja,

    vielen lieben Dank für den netten Kommentar! Es war auf jeden Fall sehr bereichernd und das Stück war echt toll inszeniert.
    Viele Grüße zurück aus Gisenyi 🙂

    David Paul

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    Lieber David,

    wie schoen, dass du die Moeglichkeit hast an verschiedenen externen Veranstaltungen teilzunehmen. Die Thematik des Theaterstuecks ist wirklich sehr interessant. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Diskussion gegen Ende fuer dich sehr bereichernd war und dir einen tieferen Eindruck in die Perspektive der ruandanischen Gesellschaft geben konnte.

    Vielen Dank fuer diesen tollen Beitrag und liebe Gruesse aus Mexiko 🙂

    Sonja

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