Zwischen dem 1. und dem 3. Advent 2015 findet in Paris die „COP21“, die 21. Konferenz der Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention, statt. Diese Konvention ist ein großer Erfolg der internationalen Staatengemeinschaft. Sie wurde auf dem sogenannten Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro beschlossen. Seit 1995 – damals in Berlin – findet die COP, die Conference of the Parties, jährlich statt. Warum dann so viel Aufhebens um diese COP21 in Paris? Das hat durchaus seine Berechtigung. Einige Gründe aus Sicht von MISEREOR will ich im Folgenden darlegen.
HANDELN STATT NUR VERHANDELN
Das Jahr 2015 gilt als ein regelrechtes „Super-Jahr“ der internationalen Zusammenarbeit und Weichenstellung. Neben der bei uns oft erwähnten G7-Konferenz auf Schloss Elmau (Bayern) Anfang Juli wartete es auf mit UN-Konferenzen zu Katastrophenvorsorge (März, Sendai/Japan), zur Finanzierung nachhaltiger Entwicklung (Juli, Addis Abeba/Äthiopien) und zu den globalen Nachhaltigkeitszielen „SDGs“ (September, New York). Zu guter Letzt steht nun im Dezember die Klimakonferenz in Paris bevor, auf der nichts weniger als ein neuer Weltklimavertrag beschlossen werden soll. Dass es einen solchen neuen Vertrag geben wird, ist (fast) sicher. Was er jedoch enthält – und damit steht und fällt seine Bedeutung –, darum wird bis zur letzten Minute gerungen. Schließlich geht es um ein völkerrechtlich bindendes Instrument. Die gravierenden Auswirkungen des Klimawandels verlangen, dass jetzt neben dem Verhandeln auch das Handeln groß geschrieben wird. Anders sind die Ziele der Klimarahmenkonvention nicht zu erreichen. Die Folgen des Klimawandels werden schlimmer, und das spüren in erster Linie die Armgemachten dieser Welt. Ein Kernziel der Klimarahmenkonvention ist, „die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird“ (Artikel 2). Es dauerte 16 Vertragsstaatenkonferenzen, bis dies 2010 in der Einigung Gestalt annahm, die globale Erwärmung auf höchstens zwei Grad zu begrenzen. Der jüngste Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC macht sehr deutlich: Diese Grenze ist mit einem „Weiter-so-wie-bisher“ nicht zu halten. Was in Cancún in 2010 erstmals als Prüfauftrag bis 2015 verabschiedet worden war, wird durch die heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse untermauert: Eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf maximal 1,5 Grad im globalen Durchschnitt wäre das eigentliche Gebot der Stunde. Und überdies eine Frage der Gerechtigkeit, weil die Risiken ungleich verteilt und generell höher für verwundbare Bevölkerungsgruppen sind. Es bleibt keine Zeit mehr, wirksame Maßnahmen zur Eindämmung der globalen Erwärmung weiter aufzuschieben. Das haben in diesem Jahr auf dramatische Weise die Verwüstungen durch Zyklon Pam auf Vanuatu (Pazifikinsel) gezeigt. Umsteuern ist angesagt und vor allem, die besonders verwundbaren Staaten bei der Katastrophenprävention, der Anpassung an den Klimawandel und bei der Bewältigung von klimabedingten Schäden und Verlusten zu unterstützen. In diesem Sinne muss die COP21 ein deutliches Zeichen setzen.
KLIMA FÜR GERECHTIGKEIT SCHAFFEN
Heute ist es weitgehend unumstritten, dass der spürbare Klimawandel von Menschen mitverursacht wurde und wird. Daher ist geboten, dass bei der COP21und natürlich bei allen weiteren Verhandlungen Klimagerechtigkeit eine zentrale Rolle spielen wird. Denn die Ungerechtigkeit besteht darin, dass diejenigen Menschen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, schon jetzt am meisten unter den Folgen leiden. Und umgekehrt: Diejenigen Gesellschaften, die zu den größten Verursachern des Klimawandels zählen – früh industrialisierte Staaten – haben bislang am wenigsten mit den Auswirkungen zu kämpfen. Und wenn doch, so haben sie ausreichend Möglichkeiten, sich an die Folgen anzupassen. Der Klimawandel verstärkt diese bestehenden Ungerechtigkeiten. Grenzen der planetarischen Belastbarkeit werden bereits überschritten, ohne dass das Problem der Armut gelöst wäre. Daher ist konsequenter Klimaschutz ein wichtiger Schutz vor weiterer Armut und zugleich die beste Katastrophenvorsorge. Die Verantwortung Deutschlands und anderer Industrieländer für den Klimaschutz wird nicht geringer, weil andere Länder heute immer mehr zum Klimawandel beitragen. Die Industrieländer haben historisch bereits so viele Treibhausgase in der Atmosphäre deponiert, dass sogenannte Entwicklungsländer dieses Modell von Fortschritt und „Entwicklung“ gar nicht wiederholen könnten. So liegt es gerade an den Industrieländern, auf klimafreundlichen und kohlenstoffarmen Entwicklungspfaden zu gehen. Die Tatsache, dass der Klimawandel mit von Menschen gemacht ist, ist aus dieser Perspektive auch eine gute Nachricht! Denn das bedeutet: Wir können etwas gegen die Ursachen des Klimawandels und dessen Folgen unternehmen. Allerdings: Es braucht ein neues Denken, damit ein weltweit gerechtes, friedliches und nachhaltiges Handeln nicht nur möglich, sondern auch Wirklichkeit wird. Auch in der Klimadiplomatie. Diejenigen Staaten, die 1992 noch nicht als industrialisiert galten, heute aber zu den großen Emittenten von Treibhausgasen zählen, sind dabei an den Bemühungen zum Klimaschutz zu beteiligen. Dazu muss der neue Klimavertrag von Paris beitragen. Wohlgemerkt ohne die historische Klimaverantwortung der Industrieländer zu tilgen. An diesen Maßstäben der Klimagerechtigkeit wird sich das Ergebnis der COP21 messen lassen müssen.
KLIMAWANDEL UND ARMUT BEKÄMPFEN
Viele Impulse für ein Umdenken, insbesondere auch in der Frage des Klimaschutzes, gibt Papst Franziskus mit der Enzyklika „Laudato si‘ – Über die Sorge für das gemeinsame Haus“. Eine der Kernbotschaften der Enzyklika ist, dass Umwelt- und Armutsfragen nicht getrennt voneinander beantwortet werden können. Diesem Zusammendenken der Ursachen von ökologischer und sozialer Krise der Menschheit entsprechen wir bei MISEREOR mit dem vor knapp zwei Jahren eingerichteten Lernort ‚Bewahrung der Schöpfung‘. Die Enzyklika ist dabei Unterstützung, Herausforderung und Motivation zugleich für die Arbeit von MISEREOR. Ihre Botschaft tragen wir in Gemeinden, in die Parlamente und auch nach Paris zur COP21. MISEREOR ist eine der Träger- und Lenkungsorganisationen der Aktion „Geht doch! Ökumenischer Pilgerweg für Klimagerechtigkeit“. Wir verstehen den Ökumenischen Pilgerweg als Einladung an alle, sich mit der Verantwortung für die Schöpfung auseinanderzusetzen. Wir sind überzeugt, dass mit der gemeinsamen Anstrengung aller Menschen die globale Erwärmung begrenzt und eine gerechtere Welt gestaltet werden kann. Das ist auch die Botschaft der Enzyklika, wenn sie postuliert: „Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle“ (LS 23). Papst Franziskus appelliert an die Verantwortung und das Beitragen aller Menschen, damit heutigen und kommenden Generationen ein gutes Leben im „gemeinsamen Haus“ möglich ist. Jedoch: Nichts – auch nicht das Klima oder der Kampf gegen seine Veränderungen – kann ein Gemeingut, ein Commons sein, solange es nicht als solches gedacht und zu einem solchen gemacht wird. In der Klimadebatte ist es vor allem die Atmosphäre, die als Global Commons bezeichnet wird. Wissenschaftler u. a. vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und des Weltklimarats haben das so beschrieben: „Die Atmosphäre ist insofern ein globales Gemeingut, als sie eine Senke für CO2 und andere Treibhausgase ist. Derzeit wird sie wie ein Niemandsland benutzt, das heißt: Sie steht unbeschränkt jedem kostenlos zur Verfügung. Ozeane und Wälder sind durch den globalen Kohlenstoffkreislauf eng mit der atmosphärischen Senke gekoppelt und entziehen ihr einen Teil des anthropogenen CO2. Sie sind daher ebenfalls globale Gemeinschaftsgüter.“* Diese Idee unterstützt Papst Franziskus in Laudato si‘ (vgl. LS 174) und ist in den jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC eingegangen. Sie Realität werden zu lassen, erfordert ein Umdenken und ein Maß an Kooperation, das in den Klimaverhandlungen bis dato leider nicht erkennbar ist.
PARADIGMENWECHSEL: KLIMA ALS COMMONS
Commons sind damit auch die Vereinbarungen darüber, wie Menschen mit Ressourcen (materiellen oder immateriellen) umgehen. Nicht die Ressource allein ist das Gemeingut. In diesem Verständnis bietet sich die Idee der Commons als ein neues Paradigma an: Als grundsätzliche Denkweise und Weltanschauung. Es geht um Beteiligungschancen, um Zugangsrechte (und damit um Eigentumsverhältnisse und Machtfragen) sowie um Entfaltungsmöglichkeiten – jeder und jedes Einzelnen, eingebettet in die Gemeinschaft und verortet in der Umwelt. Daher stehen Commons für eine andere Art des Wirtschaftens, eine andere Art des (Zusammen) Lebens, für ein neues Verständnis von Solidarität. Sie ermöglichen eine wachstumsunabhängige und selbstbestimmte Form der (Re-)Produktion unserer Lebensverhältnisse. Das Klima, die Atmosphäre als Gemeingut? Das wird nur gelingen, wenn wir – in den Worten des Papstes – uns als eine große Menschheitsfamilie verstehen und die „Sorge für das gemeinsame Haus“ als gemeinschaftliche Aufgabe annehmen. Dass ein solcher Paradigmenwechsel Eingang in den neuen Weltklimavertrag von Paris findet, mag unwahrscheinlich sein. Wenn es jedoch gelingt, seitens der Zivilgesellschaft rund um die COP21 – sei es vor Ort oder anderswo auf dem Globus – deutliche Zeichen zu setzen, Ernst zu machen mit der „Transformation unserer Welt“, dann wird in Paris vielleicht eine Kursänderung beschlossen, hin auf eine „integrale Ökologie“, wie sie Papst Franziskus bezeichnet. Dafür, dieses Momentum zu schaffen, ist die COP21 wichtig. In diesem Sinne wäre die Konferenz in Paris dann auch nicht Abschluss, sondern weiterer Anfang einer umfangreichen Erneuerung unseres Miteinanders auf diesem Planeten, die gemeinsam mit der Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDG) den Weg in eine menschenfreundlichere Zukunft weisen könnte.
* Edenhofer, Ottmar; Flachsland, Christian; Lorentz, Bernhard: Die Atmosphäre als globales Gemeingut, in: Helfrich, S. (Ed.): Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, Transcript Verlag, Berlin 2012.