Suche
Suche Menü

Zwischen Sand und Meer – Migranten in Mauretanien

Mauretanien wird in der derzeitigen Diskussion um Migration und Flucht kaum erwähnt, doch schon seit Jahren ist die EU dort aktiv und begrenzt Möglichkeiten der Migration über den Atlantik.  Wie ist die Lage der Migranten in Mauretanien derzeit? Was bewirkt die EU vor Ort? Und wie engagieren sich lokale Partner in diesem Feld? MISEREOR-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon und der Referent für Migration, Jonas Wipfler, haben sich vor Ort ein Bild gemacht.

Fischerboote im Hafen vor Nouadhibou, Foto: Jonas Wipfler

Fischerboote im Hafen vor Nouadhibou, Foto: Jonas Wipfler

Boniface Nonsour blickt auf den Hafen von Nouadhibou. Vor ihm liegen die langgezogenen bunten Pirogen aus Holz – Fischerboote für eine Besatzung von fünfzehn bis dreißig Personen. Weiter hinten im Dunst liegen Fischkutter verschiedener Größen – sie alle wollen von den reichen Fischgründen vor Mauretanien profitieren.

Oberhalb des Hafens von Nouadhibou auf einem Felsen liegen die Überreste eines Sklavenhauses – kleine Kellerabteile, die nach oben offen sind und zwischen ihnen ein höher gelegener Steg, auf dem man entlang gehen kann – von diesem Steg aus wurden die Sklaven in den Zellen ausgewählt. Heute trocknen Boniface und seine nigerianischen Landsleute hier die Fische und Meerestiere, die meist Senegalesen und Gambier auf hoher See fangen. In vier Tagen sind die Fische komplett getrocknet und werden in Container verladen, die rund um die Welt verschifft werden. Andere Teile des Fangs werden zu Fischmehl verarbeitet.

MISEREOR-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon im Gespräch mit Boniface Nonsour, Foto: Jonas Wipfler

MISEREOR-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon im Gespräch mit Boniface Nonsour, Foto: Jonas Wipfler

Menschen wie Boniface sind für die mauretanische Wirtschaft ein Segen, denn die Fischerei und die Weiterverarbeitung sind zu großen Teilen in der Hand von Migranten. Mauretanier verdienen mit, aber gerade in diesem – für den Export so wichtigen Markt – dominieren Ausländer.

In Mauretanien gibt es viele Gruppen von Migranten – Ivorer, Gambier, Malier, Guinea-Bissauer, Nigerianer oder auch Senegalesen. Einige von ihnen kamen her, weil sie sich eine Weiterreise nach Europa erhofften, andere, weil sie von den guten Fischgründen vor der Küste profitieren wollten oder weil sie auf besser bezahlte Arbeit in der Gastronomie oder im Baugewerbe hofften. Wieder andere kamen, da in ihren Heimatländern blutige Konflikte und Gewalt herrschten. Allen ist gemeinsam, dass sie ein besseres Leben suchen.

Mauretanien hat sie zunächst gastfreundlich aufgenommen. Das Land liegt in der Sahelzone zwischen den arabisch geprägten Ländern Nordafrikas, den Ländern des Sahels im Osten und von Schwarzafrika im Süden – Migration war immer Teil seiner Kultur – Handel, nomadische Viehzucht und das Zusammenleben verschiedener Ethnien führte mitunter auch zu Spannungen unter den Gruppen; ein Verständnis für Migration aber ist hier historisch gewachsen.

Vor zehn Jahren war das Land Ausgangspunkt einer größeren Migrationsbewegung – in dieser Zeit stachen viele Pirogen in See und nahmen Kurs auf die Inselgruppe der Kanaren. Ein waghalsiges Unterfangen. Nicht wenige kamen beim Versuch der Überfahrt nach Spanien ums Leben. Immer wieder wurden Leichen an den Stränden angespült.

Boniface Nonsour weist auf die Häuser an den Kaimauern. Heute müssen sich alle Schiffe und Boote, die ein- und auslaufen dort registrieren und wenn sie zu lange auf See bleiben, werden die Behörden aktiv und suchen nach ihnen. Wer bei der Überfahrt aufgegriffen wird, wird abgeschoben. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex, die spanischen Behörden und die mauretanischen Sicherheitsbehörden haben gemeinsam die Überfahrten mittlerweile fast komplett zum Erliegen gebracht. Im letzten Jahr gelang es nur zwei Booten die Kanaren von Mauretanien aus zu erreichen. Mit Schiffen, Patrouillen an Land, einem Helikopter und weiteren Maßnahmen ist die Migrationsbewegung über Mauretanien nach Europa zum Stillstand gekommen.

Fischtrocknung in Nouadhibou, Foto: Jonas Wipfler

Fischtrocknung in Nouadhibou, Foto: Jonas Wipfler

Migration war und ist für Mauretanien eine Einkommensquelle und das Rückgrat der Exporte. Doch mit der europäischen Grenzschutzpolitik geht auch die mauretanische Politik schärfer gegen Migranten vor. Es gibt Razzien und Arreste in der Hauptstadt Nouakchott, Aufenthaltsgenehmigungen müssen nun jährlich teuer bezahlt werden und wer das Geld nicht hat, riskiert abgeschoben zu werden. Mehr und mehr Berufszweige werden für Migranten verboten und nur für Mauretanier zugelassen. Viele Migranten befinden sich zwischen allen Stühlen: Sie können nicht in ihre Heimat zurück, wenn sie nichts an Geld oder Perspektiven vorzuweisen haben, gleichzeitig können sie nicht weiter, da die europäische Politik sie hindert. Auch die vormals ganz normale Arbeitsmigration innerhalb der Region leidet unter diesen Entwicklungen. Die Migrationsbewegungen werden so nicht abnehmen, sie verlagern sich und mehr und mehr Menschen werden höhere Risiken und gefährlichere Routen durch die Sahara und nach Libyen in Kauf nehmen. Die europäische Grenzschutzpolitik ist weit auf den afrikanischen Kontinent vorgedrungen und in ihrem Windschatten wird auch die Politik der afrikanischen Staaten zunehmend restriktiver gegenüber Migranten. Der Spielraum für Migranten vor Ort zu bleiben und dort ein Auskommen in ihrer Region oder in Nachbarländern zu finden wird kleiner. Die Bekämpfung von Fluchtursachen fördert das nicht, im Gegenteil: auch in Mauretanien gibt es viele Migranten, die eigentlich ein Auskommen für Jahre hatten, die derzeit aber erneut überlegen weiter zu ziehen – wegen der rechtlichen und sozialen Konsequenzen dieser Politik.

Für den Moment bleibt Boniface in Nouadhibou, er packt Säcke mit Trockenfisch und wuchtet sie gemeinsam mit seinen Landsleuten in einen Überseecontainer. Der Container wird bald verschifft. Für Boniface dagegen ist sein Weg erst einmal in Nouadhibou zu Ende, er arbeitet hart, schlägt sich durch und hat zu wenig, um zurück zu gehen und zu viel um weiter zu ziehen und dieses Wenige noch zu riskieren. Aber auch dieses Wenige wird brüchiger. Eine wirkliche Perspektive ist das nicht.


Mehr Informationen

MISEREOR unterstützt die lokale Kirche in Nouadhibou dabei, zukünftig Berufsausbildungskurse für Migranten und Einheimische anbieten, um ihnen neue Perspektiven für ein Leben vor Ort zu eröffnen.

Geschrieben von:

Avatar-Foto

Jonas Wipfler ist Leiter des Berliner Büros von Misereor. Zuvor lebte er drei Jahre in Dakar, der Hauptstadt des Senegals. Dort half er als Berater lokalen Partnerorganisation in Westafrika bei Planung, Monitoring und partizipativen Methoden.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.