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Brasilien: Zwischen Korruption, Protest und Unregierbarkeit

Die Proteste gegen Präsidentin Dilma Rousseff und die Arbeiterpartei PT haben Mitte März 2016 eine neue Ebene erreicht. Insgesamt gingen in ganz Brasilien mehr als 3 Millionen Menschen in friedlichen Demonstrationen gegen die Regierungschefin auf die Straßen – ein historischer Rekord. Ähnlich wie bei den Demonstrationen aus dem Jahr 2013, verhinderten die Protestierenden dabei, dass die Demonstrationen für parteipolitische Zwecke missbraucht wurden. Versuche von den Oppositionsführern Aecio Neves und Geraldo Alchmin (beide PSDB) bei den Demonstrationen in Sao Paulo ins Mikrofon zu sprechen, wurden durch vehemente Pfeifkonzerte und Protestrufe unterbunden. Gingen bei den Protesten in 2013 noch vornehmlich junge Menschen auf die Straßen, so protestierten am Sonntag vor allem politisch interessierte ältere Menschen aus der gehobenen Mittelschicht.

Demonstrationen in Brasilia

Demonstrationen in Brasilia

Die Staatschefin befindet sich aktuell in einer politisch heiklen Lage. Ihre Popularität ist im Zusammenhang der wirtschaftlichen Krise stark gesunken. Statt sich um die Regierungsgeschäfte zu kümmern und Reformpakete zur Ankurbelung der Wirtschaft zu schnüren, kämpft sie seit Wochen um ihr eigenes politisches Überleben. Bei zunehmenden Druck, ist sie dringend auf Unterstützung aus dem eigenen politischen Lager angewiesen. Dilma Rousseff erhofft sich diese durch ihren Vorgänger Lula Ignacio da Silva, dem sie in dieser Woche einen Regierungsposten als Chef der „Casa Civil“ angeboten hat und welches er heute annahm. Da der ehemalige Präsident im Zusammenhang der Petrobras-Affäre inzwischen aber selbst unter Anklage steht, ist dieses ein gefährliches Unterfangen. Seine Annahme dieses Angebotes ist mit einem Schuldgeständnis zu den Korruptionsvorwürfen gleichzusetzten und wird neue politische Diskussion und Proteste hervorrufen. Aktuell demonstrieren bereits wieder mehr als 5000 Menschen vor dem Regierungsgebäude in Brasilia. Auf der anderen Seite traut man Lula zu, dass es ihm gelingen wird den aktuell mangelnden Dialog zwischen der Regierung und anderen Parteien wieder in Gang zu setzen und insbesondere die verhärtete Beziehung zum Vizepräsidenten Michel Temer und dessen Partei PMDB zu lockern.

Nach Einschätzung des ehemaligen Präsidenten des Obersten brasilianischen Gerichtshof STF (Supremo Tribunal Federal), Joaquim Barbosa, einer im ganzen Land respektierten Persönlichkeit, steht das gegen Dilma Rousseff gerichtete Amtsenthebungsverfahrung juristisch auf sehr wackeligen Beinen. Das Verfahren wird sich laut Barbosa auch deshalb über viele Monate hinziehen. Die Entscheidung über den Verbleib der Regierungschefin wird aber letztendlich nicht eine juristische, sondern politische Entscheidung sein, die bei einer Amtsenthebung im Repräsentantenhaus mit zwei Drittel der Mehrheit der Abgeordneten verabschiedet werden muss.

Brasilien sieht also in den Monaten vor den olympischen Spielen unsicheren und unruhigen Zeiten entgegen, in denen neue Enthüllungen und Korruptionsvorwürfe, auch gegen Anführer der Opposition, brasilianische Gerichte und die Medien beschäftigen werden. Dem amtierenden Präsidenten des Repräsentantenhaus Eduardo Cunha (PMDB) wird momentan wegen der Unterschlagung von 5 Millionen Euro der Prozess gemacht. Er wird sich langfristig nicht in seinem Amt halten können. Auch wird damit gerechnet, dass jeden Moment gegen Cunhas Parteigenossen, Renan Caleiras, Präsident des Senats, im Zusammenhang mit dem Petrobras-Skandals, Anklage erhoben wird. Viele weitere Politiker leben inzwischen in Angst. In Zeiten der Unsicherheit und des Misstrauens wird sich die brasilianische Wirtschaft kurzfristig nur schwerlich erholen können. Zunehmende Armut und Unmut der brasilianischen Bevölkerung werden neben Korruptionsskandalen in naher Zukunft das Bild in Brasilien prägen.

Über den Autor: Stefan Kramer leitet die Misereor Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia.

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Stefan Kramer leitet die MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia/Brasilien.

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