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El Niño in Brasilien: Wenn aus einem Klimaphänomen ein Klimaproblem wird

Einen Super-El- Niño soll es geben, warnten Klima-Experten bereits im vergangenen Jahr. Tatsächlich zeigen sich in einigen Ländern extreme Wetterereignisse, die mit dem Klimaphänomen in Verbindung gebracht werden. Während es etwa in Malawi nach starken Regenfällen zu schweren Überschwemmungen kam, kämpfen die Menschen im Norden Kenias und in Simbabwe mit den dramatischen Folgen von Dürre und Trockenheit. Im brasilianischen Regenwald verstärkt El Niño die negativen Auswirkungen von Klimawandel und Regenwaldabholzung, warnt Gerhard Braunmiller, bei MISEREOR-Fachreferent für ländliche Entwicklung. Im Interview erklärt er, was nötig ist, um die Menschen im Amazonasgebiet zu unterstützen.

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Beobachtet die Auswirkungen von El Niño im Amazonasgebiet mit Sorge: Gerhard Braunmiller, Fachreferent für ländliche Entwicklung bei MISEREOR.

Herr Braunmiller, wie wirkt sich El Niño im Amazonas, speziell im Bundesstaat Acre aus?
Gerhard Braunmiller: Wir beobachten zwei Extreme. Zum einen gab es in einigen Regionen durch plötzlichen Starkregen riesige Überschwemmungen wie zum Beispiel in der Provinzhauptstadt Cruzeiro do Sul oder in Tarauacá. In anderen Gebieten leiden die Leute unter starker Trockenheit und Wasserknappheit. Der Rio Acre zum Beispiel, der im Januar einen historischen Wasserniedrigstand hatte, steigt momentan rasend schnell auf einen Wasserhochstand an. Das ist besorgniserregend, denn man muss sich vor Augen führen, dass das brasilianische Amazonasbecken eine feucht-tropische Region ist, in der es in normalen Jahren ausgeglichen regnet. Beides, der plötzliche Starkregen und die Trockenheit, sind für die Region untypisch.

ESTIAGEM 2015 - TARAUACÁ- AC

El Niño zeigt Wirkung: Der Fluss Tarauacá im Bundesstaat Acre im Amazonas führte Ende 2015 so wenig Wasser, dass kaum mehr Boote fahren konnten. Die untypische Trockenheit ist fatal für die Bewohner, denn in dieser abgelegenen Region sind Flüsse die Haupttransportwege.

Was sind die Folgen dieser Wetterextreme?
Gerhard Braunmiller: Generell ist in der Region durch El Niño der natürliche Ablauf von Regen- und Trockenperioden gestört. Das wirkt sich negativ auf die gesamte landwirtschaftliche Produktion aus – von der Aussaat bis zur Ernte. Die Wachstumsphasen in den Feuchttropen sind sehr kurzzyklisch und sensibel. Das heißt, es kommt schnell zum Zusammenbruch des Systems, wenn der natürliche Ablauf von regelmäßigen, gleichmäßigen Regenfällen und anschließenden kurzen Trockenzeiten durch externe Einflüsse gestört wird. Die Böden haben zum Beispiel so gut wie keine Speicherkapazität für Wasser und für Nährstoffe. Wenn es da einen Monat lang nicht regnet, ist das ein Problem. Genauso schlimm ist es, wenn die Regenfälle zu stark sind und das natürliche Mittelmaß übersteigen. Dann kann es im Amazonas schnell zu einer Überschwemmung kommen.

Welche Auswirkungen hat das für die Menschen vor Ort?
Gerhard Braunmiller: In Schwierigkeiten geraten vor allem die Kleinbauern. Sie sind derartige Wetterumschwünge nicht gewöhnt und auch nicht darauf eingestellt. Wenn es zu trocken ist, dann keimt ihre Aussaat nicht. Und wenn es zu stark regnet, wird alles weggeschwemmt. Die Bauern sind in Gefahr, alles zu verlieren. Sie haben kaum Vorräte angelegt, da sie die bisher nicht brauchten. Sie haben bisher auch nicht die dreifache Menge an Saatgut gekauft, um zur Not wieder aussäen zu können. Zumal sie dafür auch nicht genügend Kapital und die personellen Ressourcen haben, um wiederholt den Boden neu zu bearbeiten und das Feld neu zu bestellen. Das sind sehr arbeitsintensive Vorgänge. Generell sind die Bewohner in der Region nicht katastrophenerprobt und haben noch keine Handhabe, um mit extremen Wetterumschwüngen besser zurechtzukommen.

Welche Fähigkeiten bräuchte es dafür?
Gerhard Braunmiller: Experimentieren gehört dazu. Zum Beispiel das Aussäen von alternativen Saatgütern oder das stückweise Aussäen. Traditionell bereiten die Kleinbauern ihr Feld einmal vor und verteilen die Saat auf das gesamte Feld. Es wird alles auf eine Karte gesetzt, was mit Blick auf die Wetterumschwünge fatal ist. Hier müssen neue, besser angepasste Strategien erarbeitet werden. Eine könnte das Pflanzen von Dauerkulturen sein, die nicht jedes Jahr wieder neu angepflanzt werden müssen und widerstandsfähiger sind; sogenannte Agroforstsysteme.

Welche Probleme gibt es noch?
Gerhard Braunmiller: In dieser Region sind Flüsse die Haupttransportwege. Bewohner von abgelegenen Gemeinden kommen meistens nur mit dem Boot in die nächstgrößere Stadt, um dort auf dem Markt einkaufen gehen zu können. Oder um selbst ihr Obst und Gemüse verkaufen zu können. Wenn die Flüsse durch die Trockenheit zu wenig Wasser führen, sind die Bewohner von der Außenwelt abgeschnitten. Das betrifft nicht nur die Kleinbauern, sondern auch die indigenen Gruppen und die Kautschuksammler in der Region. Die Trockenheit führt zudem zu einer enormen Ausdehnung von unkontrollierbaren Waldbränden.

Welche Rolle spielt der Klimawandel im Amazonasgebiet?
Gerhard Braunmiller: Es sind im Prinzip drei Phänomene, die die Situation zunehmend schwierig machen. Zum einen stört der Klimawandel, also der Effekt der Erwärmung, der mit ihm einhergeht, den natürlichen Kreislauf in den Feuchttropen. Das ist schon länger zu beobachten. Wenn die Temperaturen steigen und es dadurch tagelang nicht mehr regnet, entstehen Negativeffekte. El Niño verstärkt nun diese Negativeffekte, weil es das sensible Klimasystem noch unberechenbarer macht. Zusätzlich führen Infrastrukturprojekte, agro-industrielle Landnutzung und Holzeinschlag zu einem drastischen Rückgang des Waldbestandes im Amazonas. Die Rodungen wirken sich zusätzlich negativ auf das natürliche Gleichgewicht aus. Diese Negativeffekte bekommen nicht nur die Bewohner direkt vor Ort zu spüren, sondern auch diejenigen, die kilometerweitweg wohnen.

Nach heftigen Regenfällen: Binnen kurzer Zeit stehen die Straßen von Tarauacá in der Diözese Cruzeiro do Sul im Bundesstaat Acre unter Wasser.

Nach heftigen Regenfällen: Binnen kurzer Zeit stehen die Straßen von Tarauacá in der Diözese Cruzeiro do Sul im Bundesstaat Acre unter Wasser.

Was tut MISEREOR, um die Menschen zu unterstützen?
Gerhard Braunmiller: Unsere Partner unterstützen die Menschen zum Beispiel dabei, für sich Werkzeuge zu entwickeln, mit denen sie den Klimaveränderungen ganz praktisch begegnen können. Dieses Anpassen an die veränderten Umstände kann man sich nicht aus einem Lehrbuch aneignen, das muss man selber lernen durch Beobachtungen, Kommunikation und Informationsaustausch untereinander. Der Staat muss hier auch mehr Verantwortung übernehmen und zuverlässige Wetterdaten für alle zur Verfügung stellen.

Die Rodungen führen auch zu Vertreibungen. Wie können sich die Bewohner des Gebietes davor schützen?
Gerhard Braunmiller: Viele Bauernfamilien haben keinen ausgewiesenen Landtitel. Sie haben zwar ein Traditionsrecht auf die Nutzung des Landes, besitzen aber kein rechtlich gültiges Papier. Um sich gegen Abholzung und Vertreibungen behaupten zu können, müssen sie sagen: ‚Das ist mein Land.‘ Dazu brauchen sie aber einen kommunalen Titel. Um der illegalen Abholzung Einhalt zu gebieten, müssen sie sich ihr Land eintragen lassen. Das Gleiche gilt für die Kautschuksammler. Es muss für die Sammler eine Rechtssicherheit geben, die dann flankierend zur nachhaltigen Nutzung der Bäume wirken muss. MISEREOR-Partner unterstützen deshalb die Menschen bei der Registrierung von Landtiteln.

Was tut MISEREOR noch?
Gerhard Braunmiller: Der wichtigste Aspekt ist die Arbeit mit den Gemeinden. Um sie zu stärken, bauen MISEREOR-Partner vor Ort Organisationen und Strukturen auf. Nur wenn die Menschen mit einer Stimme sprechen, können sie sich Gehör verschaffen. Notwendig ist dafür auch, dass sie zusammen mit den Gemeinden Alternativen zu einer zerstörerischen Land-und Ressourcennutzung aufzeigen können und Vorschläge erarbeiten. MISEREOR setzt sich gemeinsam mit den Partnern und den betroffenen Gemeinden für eine nachhaltige Nutzung des Waldes und der Landfläche ein. Beide, Mensch und Natur, sollen im Mittelpunkt stehen und im Einklang leben.

Vor welchen künftigen Herausforderungen steht die Region in Bezug auf El Niño?
Gerhard Braunmiller: Im Zusammenspiel mit den anderen negativen Faktoren wie Klimawandel und einer schwierigen politischen Situation, wird El Niño für die Amazonasregion in den kommenden Jahren zunehmend zu einer Herausforderung werden. Es heißt ja, dass El Niño von einem Klimaphänomen immer mehr zu einem Klimaproblem wird. Vor 25 Jahren hat sich noch keiner Gedanken darüber gemacht. Wir müssen besser über El Niño informieren und besonders die Menschen vor Ort mit diesen Infos erreichen. Zahlreiche Institute und Universitäten beschäftigen sich mit El Niño, aber die eigentliche Aufgabe ist doch, den betroffenen Menschen das nötige Werkzeug an die Hand zu geben, damit sie sich besser vorbereiten können. Von Datenaustausch allein wird der Bauer nicht satt. Das Ganze ist ein Prozess. Und der beinhaltet, dass wir gemeinsam lernen und uns gemeinsam den Herausforderungen stellen. Es muss ein Zusammenspiel geben von Bevölkerung, Wissenschaft, Forschung und der Politik. Letztendlich lautet das Credo: ‚Learning by doing.‘ Noch gibt es die Möglichkeit, das Schlimmste abzuwenden. Der brasilianische Staat kann mehr Einfluss nehmen, auch die Nichtregierungsorganisationen haben noch ein großes Arbeitspensum vor sich. Die Weltbevölkerung muss zu der Einsicht gelangen, dass die Regenwälder, und da insbesondere das Amazonasgebiet, eine entscheidende Funktion im Kampf gegen den Klimawandel übernehmen und nicht weiter abgeholzt werden dürfen.


 

Weitere Informationen…

unter www.misereor.de/informieren/klimawandel/

Die Launen des Christkinds – eine Multimediareportage zu El Niño und seinen Auswirkungen des Bündnis Entwicklung Hilft

So helfen die MISEREOR-Projektpartner in Acre

Die Diözese Cruzeiro do Sul liegt im äußersten Westen des brasilianischen Amazonasgebietes im Bundesstaat Acre und zählt bei einer Fläche von 126.500 km² 265.000 EinwohnerInnen. Staatliche und wirtschaftliche Strukturen sind in der sehr ländlichen Region nur wenig entwickelt. Acht der zwölf Gemeinden der Diözese gehören nach dem Human Development Index (HDI), einer Kennzahl für wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, zu den ärmsten 5 Prozent in Brasilien. Sammel- und Landwirtschaft bilden die Grundpfeiler der lokalen Wirtschaft.
Die Fachstelle für Sozialfragen der Diözese Cruzeiro do Sul, die seit den 1990er Jahren von MISEREOR unterstützt wird, hilft den kleinbäuerlichen Familien bei der Einforderung ihrer Rechte und vermittelt ihnen eine nachhaltige, agroökologische Wirtschaftsweise, um dem illegalen Holzeinschlag und dem Vordringen internationaler Agrarkonzerne entgegenzuwirken. Darüber hinaus unterstützt die Fachstelle die lokale Bevölkerung bei der Stärkung der Gemeindeorganisation und der Ausbildung von Führungskräften.

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Nina Brodbeck ist Referentin für Kommunikation bei Misereor.

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