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Afghanistan: Die Jugend braucht eine Perspektive im eigenen Land

Österreich, Slowenien, Ungarn, Serbien, Mazedonien, Griechenland, Türkei. Täglich hören und lesen wir von diesen Ländern in den Medien: Sie sind der Landweg von Syrien nach Europa, die Fluchtroute vieler Menschen, die auf einer strapaziösen Reisen wochen- und monatelang unterwegs sind, um in Europa Zuflucht zu suchen. Und es ist auch ein Stück der Route, die die Flüchtlinge aus Afghanistan nehmen. Im Flugzeug düsen MISEREOR-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon und ich nun einfach darüber hinweg und erreichen nicht in Wochen, sondern in weniger als 12 Stunden unser Reiseziel Kabul.

Straße in Kabul © Florian Sander/MISEREOR

Straße in Kabul © Florian Sander/MISEREOR

Afghanistan, war da nicht mal was? Da hat sich doch einmal eine internationale Allianz dem Kampf gegen den Terror verschrieben. Da wurden Milliarden in Wiederaufbau und Entwicklungshilfe investiert. Und dennoch wollen jetzt viele Leute weg, nach Europa, weil immer noch Krieg und Terror herrscht. Die politische Situation in Afghanistan ist nach wie vor von großer Unsicherheit geprägt, vor allem durch Unzuverlässigkeit und fehlende staatliche Institutionen. Nach der Wahl im Sommer 2014 war die Hoffnung der Afghanen in die Regierung groß, denn zum ersten Mal in der Geschichte Afghanistans wurde frei gewählt. Nach der Stichwahl jedoch begann das Chaos, das schließlich nach Vermittlung durch die Amerikaner zu einer „Regierung der nationalen Einheit“ führte. Die Afghanen erwarteten, dass Korruption eingedämmt und das Land sicherer würde und die Wirtschaft in Schwung kommt. Letztlich wurden aber nur die Spitzen in den Ministerien ausgetauscht, der korrupte und ineffiziente Unterbau blieb. Ein großer Unterschied zur Regierung Karzai ist nicht festzustellen.

Ende 2014 wurden dann die internationalen Schutztruppen zu einem großen Teil abgezogen, die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Kräften übergeben. Die Ziele der Regierung, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, wurden nicht erreicht. So veränderte sich langsam die Wahrnehmung in der Bevölkerung über das Land. Fragen wie: „Wird die Ordnung und Sicherheit ganz zerfallen, werden die Taliban oder der Islamische Staat sich weiter ausbreiten?“ beschäftigen die Menschen. Wer die finanziellen Mittel aufbringen konnte, machte sich in dieser Situation in das vermeintlich sicherere Europa auf.

Zahlreiche Gründe die Heimat zu verlassen

Informelle Siedlung-Charman-e Babrak

Informelle Siedlung-Charman-e Babrak © Florian Sander/MISEREOR

Einer der größten Fluchtgründe ist die instabile Lage im Land, verursacht durch zunehmende Unsicherheit und der Angst vor Anschlägen. Auch die politische Lage ist schwierig. Bei der Wahl vor 1 ½ Jahren war die Wahlbeteiligung hoch, was als positives Zeichen gesehen wurde. Dennoch ist das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen weiterhin gering, da oft korrupt und ineffizient. Dazu kommt die katastrophale, wirtschaftliche Lage des Landes. Die Wirtschaft wurde 15 Jahren durch ausländische Militärs und Nichtregierungsorganisationen künstlich am Leben gehalten. Die internationale Gemeinschaft förderte den Bau von Straßen, Schulen, Krankenhäusern und Brunnen. Es wurden jedoch keine nachhaltigen Strukturen geschaffen, keine Investitionen in die Wirtschaft getätigt. Dazu kamen im vergangenen Jahr schwere Überflutungen und es zeichnet sich nach einem regenarmen Winter ab, dass im Frühjahr und Sommer eine Dürre einsetzen wird. In der Provinz Herat zeigt sich schon jetzt in der derzeitigen Phase der Aussaat, dass in manchen Regionen der Boden zu trocken ist. Hier hat die Flucht der ländlichen Bevölkerung bereits eingesetzt. Zudem flammen immer wieder ethnische und religiöse Konflikte auf, vor denen die Menschen fliehen.

Niemand fühlt sich sicher

Wie steht es nun aber um die Sicherheit, wie bewegt man sich in Kabul oder Afghanistan? Je nachdem, wen man fragt, variiert die Einschätzung. Eine Familie, im September aus Kunduz vor der Taliban-Offensive geflohen, möchte so schnell wie möglich in ihre Heimat zurück. Das ist jedoch aufgrund anhaltender Kämpfe unmöglich. So bleiben sie vorerst im Vergleich dazu sicheren Kabul. Dagegen legen die Amerikaner die zwei Kilometer von ihrer Botschaft zum Flughafen nicht mal mehr mit schwer gepanzerten Fahrzeugen zurück, sondern nurnoch per Helikopter. Auch staatliche Entwicklungsfachleute leben hinter dicken Mauern, Sandsäcken, doppelt gesicherten Toren mit Einfahrtschleusen, Körperscannern, beschützt durch Sicherheitspersonal, massiv eingeschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit. Thomas de Maizière hat den Begriff der „sicheren Zonen“ in Afghanistan geprägt, der immer wieder in Gesprächen hier fällt. Es gibt einige wenige Provinzen wie etwa Bamyian, Panjir oder Daykundi, die vielleicht als halbwegs sicher gelten können, andere hingegen sind extrem unsicher, da dort Armed Opposition Groups, in Deutschland oft vereinfacht Taliban genannt, aktiv sind. Wirklich „sichere Zonen“ gibt es aber kaum.

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte; Bringt Liebe und Frieden, heilt Afghanistan! Straßenkunst in Kabul. © Florian Sander/MISEREOR

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte; Bringt Liebe und Frieden, heilt Afghanistan! Straßenkunst in Kabul. © Florian Sander/MISEREOR

Afghanische Flüchtlinge dürfen nicht zurück geschickt werden

Humanitär wäre es unverantwortbar, afghanische Flüchtlinge aus Europa jetzt zurück in ihre Heimat zu schicken. Wenn einige freiwillig zurückgehen wollen, sollte man das sicherlich unterstützen. Was aber sollen die Menschen in den vermeintlich sicheren Gegenden tun? Es gibt praktisch keine Industrie, keinerlei Wirtschaft oder Einkommen schaffende Aktivitäten. Jetzt viel Geld für die Betreuung der Flüchtlinge im Land oder die Bekämpfung von Fluchtursachen bereitzustellen, ist sicherlich nicht falsch. Da ist derzeit auch viel Symbolpolitik in den europäischen Regierungen zu beobachten, die teils etwas hilflos wirkt. Aber die Fehler der vergangenen Jahre dürfen nicht wiederholt werden. Nicht die Frage, wie viel Geld den Afghanen zur Verfügung gestellt werden kann, sollte im Vordergrund stehen, sondern wie man dem Land strukturell und langfristig helfen und dem sicherlich größten Problem Afghanistans mit Lösungen begegnen kann: Perspektiven schaffen für die überwiegend sehr junge Bevölkerung.

Über den Autor: Florian Sander arbeitet als Länderreferent für Pakistan und Afghanistan bei MISEREOR.


 

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Hallo,
    bitte um Kontakt..
    Mit freundlichen Grüßen,
    Sediqi

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