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Osttimor: Ita Feto mos bele! – Wir Frauen können es auch!

Seit nun bereits über einem halben Jahr kümmere ich mich um die Graduantinnen unseres Ausbildungszentrums. Jeden Tag sitze ich mit mehreren von ihnen im Büro, höre die Geschichten früherer Schülerinnen und fahre immer wieder direkt nach Hause zu unterschiedlichen Mädchen, die teilweise inzwischen bereits junge Frauen oder gar Mütter geworden sind. Ich sehe mit eigenen Augen, was aus ihnen wird oder geworden ist und ich sehe, wie Frau sich selbst und die Gesellschaft unsere Graduantinnen sieht. Ein spannendes Thema!Blog 9 Ganz unterschiedlich sind die Geschichten, die sich hinter jeder unserer Graduantinnen verbirgt

Seit 2000 gibt es das Ausbildungszentrum CTID und wir zählen jetzt in 2016 bereits gut 650 erfolgreiche Absolventinnen. 650 Frauen haben also in der Vergangenheit ein Jahr lang nicht nur verschiedene Ausbildungen erhalten, sondern auch darüber geredet, was Unabhängigkeit bedeutet, haben gemeinsam geträumt und geweint – ja, im Prinzip für ein Jahr lang getrennt von ihrer Familie gemeinsam mit mehr oder weniger Gleichaltrigen den Alltag bestritten. Doch was hat die Zukunft für sie alle gebracht? Wie sieht die Gesellschaft sie und was ist bei ihnen selbst hängen geblieben an Erfahrung aus ihrer Zeit im CITD?

Diese Fragen lassen sich ganz unterschiedlich beantworten – so unterschiedlich, wie auch die Frauen sind, doch es gibt dabei spektakuläre Geschichten zu entdecken.

Rodita ist eine junge Frau Anfang 30, die für timoresische Verhältnisse fast etwas pummelig ist und wunderschöne lange schwarze Haare hat. Sie ist 2008 im CITD gewesen und kommt von der einzigen bewohnten Insel Timors Atauru, die nördlich der Hauptstadt Dili liegt. Als sie nach dem CTID nach Hause zurückkehrte, probierte sie erst verschiedene Dinge aus, bis sie schließlich eine Gruppe zusammentrommelte und begann, traditionelle Cremes und Medizin herzustellen und zu verkaufen. Als dann eines der Gruppenmitglieder verstarb, zerfiel die Gruppe. Rodita gab jedoch nicht auf und suchte erneut einige Frauen zusammen, um die Aktivitäten wieder aufzunehmen. Heute läuft die Produktion. Desweiteren ist Rodita eine wichtige Repräsentantin für den „Xefi Suku“ ihres Heimatortes, eine Art Bürgermeister und sie hilft beim Unterrichten von Religion in der Kirche. In der letzten Woche saß sie fast etwas schüchtern vor mir in einem unserer Workshops und fragte, ob sie die Unterstützung, die wir in Form von verschiedenem Equipment an unsere Graduanten verteilen, nicht auch beantragen könnte, um ein eigenes Haus für ihre Gruppe zu machen. Ein eigenes Haus für die eigene Produktion! Was für ein Erfolg!

Um jedoch die Tragweite von Roditas Beispiels wirklich zu verstehen, sollten wir etwas auf die timoresische Kultur und Gesellschaft schauen. Timor wird auch heute noch dominiert von Männern. Auch wenn sich seit Roditas Abschluss 2008 sicherlich schon einiges getan hat, kann noch immer kaum die Rede davon sein, dass Frauen und Männer gleichberechtigt wären. Häusliche Gewalt oder Vergewaltigung stehen an der Tagesordnung. Doch das ist kein Tabuthema, sondern eher so etwas wie eine offene Tatsache in der Gesellschaft. Such dir einen guten Mann, der dich liebt und der dich später hoffentlich nicht oder nur ab und zu mal schlägt.

Hochzeit generell ist hier außerdem nicht unbedingt eine schnelle oder einfache Sache. Ist ein Kind unterwegs muss nicht zwangsläufig gleich geheiratet werden, doch dann steht in der Regel fest, dass dieses Paar bis zum Ende seines Lebens zusammenbleiben wird. Die Verzwicktheit mit dem Heiraten liegt oftmals am Geld, denn das sogenannte Brautgeld ist hier obligatorisch. Die Familien der beiden Verlobten setzen sich zusammen und handeln aus, was die Familie des Mädchens alles dafür bekommt, dass der Sohn sie heiraten darf und sie anschließend im Hause des Mannes wohnen wird. Oftmals geht es da um traditionelle Stoffe, Tais genannt, Kühe und auch Geld im Wert von mehreren hundert oder sogar tausend Dollar. Dazu kommen schließlich noch die Kosten für das Fest, denn die gesamten Familien plus Nachbarschaft und Freunde werden eingeladen und dann natürlich fürstlich beköstigt. Es kann manchmal Jahre dauern bis genügend Geld zusammen ist, damit zwei Menschen heiraten können und manchmal sind sie auch einfach nur so bis an ihr Lebensende zusammen – ohne zu heiraten.

Was sich jetzt geschrieben zugegeben sehr merkwürdig liest, ist hier das normalste auf der Welt und auch ich bin nicht mehr sonderlich überrascht, wenn wieder einmal der Tratsch losgeht, dass in Lospalos (der Gegend mit den wohl höchsten Preisen) für eine Frau 77 Büffel den Besitzter gewechselt haben. (Im übrigen machen mich deswegen auch so gerne Leute mit ihren Brüdern, Söhnen, Cousins oder Neffen bekannt – bei uns im Ausland gibt es diesen Preis schließlich nicht.)

Diese Tradition ist so tief in der timoresischen Kultur verankert, dass für alle sonnenklar ist, dass sich daran gehalten wird. Egal ob kleiner Farmer aus einem Dorf im entlegensten Winkel des Landes oder studierte Dozentin – diese Tradition muss eingehalten werden, sonst wird auch nicht geheiratet und es können schlimme Dinge passieren. Oft höre ich Sätze wie „bei uns in Timor ist das so“ oder „wir müssen unserer Kultur folgen, wir müssen einfach“. Die Frage „Und wenn nicht?“ stellt sich da so gut wie nie.

Insgesamt ist die timoresische Kultur nämlich auch in anderen Dingen wie Tod oder Krankheit sehr komplex, der Teil zur Heirat nur ein sehr kleiner und die Frau spielt eine wichtige Rolle in der Fülle aus Ritualen, Verboten und zu beachtenden Regeln.

So ist die Rolle der Frau in der Gesellschaft in der Mehrheit der Köpfe der Menschen hier immer noch traditionell, also mit kochen, waschen, putzen und Kinder kriegen bzw. hüten verbunden. Sie sollte nähen können, fleißig sein, geschickt und gut auf die Familie ihres Mannes Acht geben, d.h. auch ihre Schwiegereltern und Schwager bzw. Schwägerinnen umsorgen, denn ein timoresischer Haushalt besteht sehr selten nur aus Mutter, Vater, Kind.

Dazu muss man jedoch sagen, dass sich vieles auch bereits gewandelt hat. Frauen gehen studieren, Frauen gehen arbeiten und ihr Mann ist stolz, dass sie hilft die Familie zu ernähren. Ein verhältnismäßig großer Anteil der Sitze im Parlament ist von Frauen besetzt und die Unterstützung der Regierung für Frauengruppen, die ihr eigenes kleines Unternehmen starten, ist inzwischen gewachsen. Ein Wandel vollzieht sich und es kommt eine neue Generation, die sich gerne in Hotpants kleidet, widerspricht und selbstbewusst wird – für die aber oftmals Kultur genauso Kultur bleibt.

Ich sehe bei vielen unserer Graduierten eben genau diesen Wandel. Sie sagen sich und oftmals auch gleich ihrem Freund, dass sie vor 2020 garantiert noch nichts Festes mit ihm anfangen werden, geschweige denn heiraten. Sie gehen studieren in allen Fakultäten. Sie gehen arbeiten und verdienen Geld, dass nicht nur ihren Geschwistern die Schule ermöglicht, sondern – wenn es gut läuft – sogar etwas zum sparen übrig bleibt. All diese Geschichten habe ich schon gehört und oft nicht nur aus einem Munde.

Auf einmal heißt es Feto mos bele – Wir Frauen können es auch und manchmal klingt das noch recht überrascht. Doch an Häuser mit Wohngemeinschaften wie unser Laden Loja Liras, in dem lediglich sieben Frauen wohnen ohne männlichen Schutz (und zwei davon sind auch noch Malai – Ausländer) gewöhnt die Gesellschaft sich langsam. Denn wir schaffen es allein – vom Weinflasche entkorken bis zum Spinnen töten, solange wir es nur gemeinsam versuchen.

Doch es gibt noch viele weitere Beispiele. Meine Mitfreiwillige Leonie arbeitet einen Tag in der Woche in einer Klinik, die in Schulen fährt und dort offen über Themen wie Menstruation, Schwangerschaft oder auch Verhütung spricht – auch bei uns im CITD, das zu den katholischen Canossischen Schwestern gehört.

Wie die männliche Seite der Gesellschaft mit so viel neuem, selbstbewusstem Frau-Sein umgeht bleibt ihr überlassen. Wie der Freund auf die Mitteilung reagiert, dass in den kommenden drei Jahren aus Heirats- oder Familienplänen doch nichts werden wird, bleibt dann seine Sache, aber es zeigt den Frauen schon mal, mit was für einem Typ Mann sie zusammen sind. Einer, der einen respektiert oder einer, der es nicht tut.

Im letzten Jahr kam ich zufällig zu einer Familie nach Hause, wo die Mutter hatte gerade vor wenigen Tagen ihr viertes Kind geboren hatte. Alle riefen ihn “ Ikun“, übersetzt „das Letzte“. Ich schmunzelte zuerst in mich hinein und dachte bei mir, wie viele seiner jüngeren Geschwister in ein paar Jahren wohl auch noch „Ikun“ gerufen würden. Doch dann erzählte mir die Mutter des Kindes leichthin, dass vier Kinder ihr wirklich genug seien und sie sich deshalb jetzt gleich mit habe operieren – sprich sterilisieren lassen. Zwar war für den Eingriff das Einverständnis ihres Mannes nötig, aber als sie mir die Geschichte erzählt, lächelt er nur und nickt.. „Ich habe zu dem Arzt gesagt, dass er einverstanden ist,  nur noch dieses Papier unterschreiben müssen und wir es dann hinter uns bringen.“ Das hat mich sehr beeindruckt.

Es gibt natürlich auch die andere Seite, die mich viel stiller werden und manchmal ein allzu ernstes und geplagtes Gesicht tragen lässt. Unserer Graduantinnen, die nach Hause gehen und dann von der Bildfläche verschwinden, deren Telefon tot ist und es auch bleibt. Manchmal hebt, wenn wir sie erneut kontaktieren, nur noch der Ehemann ab und erklärt, dass seine Frau leider nicht kommen werde zum Workshop. Nach Gründen müssen wir da nicht fragen. Er wollte nicht, dass sie geht.

Niemand erwartet jedoch eine 100 Prozent Erfolgsquote. Wir sind vollkommen damit zufrieden, dass mehr als die Hälfte unserer Graduantinnen der letzten zwei Jahre schon jetzt arbeiten. Ich bin super froh zu hören, dass auch eine der ganz frischen Absolventinnen aus dem letzten Jahr ihre Produkte und Aktivitäten der vergangenen drei Monate bereits jetzt schon kaum noch an einer Hand abzählen kann. Und vor allem, dass es sie nicht im Geringsten kümmert, dass über sie geredet wird. Ein Jahr lang hätte sie Bildung von den Canossischen Schwestern erhalten und nun koche und verkaufe sie doch eh nur Snacks vor der Schule. Sie macht ihr Ding und ist stolz auf ihr Einkommen.

Bei so vielen Absolventinnen ist die Art der Tätigkeiten breit gefächert. „Wir haben schon Sängerinnen, Kleinunternehmerinnen, Lehrerinnen und Regierungsangestellte unter unseren Graduantinnen – irgendwann wird es eine geben, die Präsidentin wird“, sagte meine Kollegin Ephy neulich. Daran zweifle ich nicht, auch wenn das vielleicht gar nicht unbedingt das allererste Ziel des CTIDs ist und auch nicht sein sollte.

Es geht uns bei der Ausbildung nämlich nicht darum, dass alle Mädchen danach weiter studieren gehen oder großes Geld machen – es geht uns darum, dass sie etwas über und für das Leben lernen. Dass sie (finanziell) unabhängiger werden, dass sie etwas bewegen, dass sie für sich einstehen und genau das an ihre Familie, Freunde und späteren Kinder auch weitergeben werden. Damit ist vieles gewonnen und da kann dann auch Business Business und Brautpreis Brautpreis bleiben – das passt schon – hier in Timor.

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Janila war als Freiwillige im Projekt CTID der Canossianerinnen in Timor-Leste.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Liebe Janila,
    was für eine Erfolgsgeschichte. Es macht richtig Spaß, das zu lesen. Es ist so: Nichts klappt zu 100 Prozent. Aber auch „nur“ ein kleiner Erfolg des Projekts ist für die einzelnen Frauen ein großer Erfolg. Und das ist das Wichtigste. Auch, dass sich das Bewusstsein in der Gesellschaft ändert. Und mal ganz ehrlich: Sooo lange ist das hier in Deutschland auch noch nicht her, dass Frauen in den Köpfen vieler in die Küche und zu den Kindern gehörten. Und kein eigenes Konto hatten … usw
    Und schmunzeln musste ich auch. Die „preiswerte“ Janila, perfekte Ehefrau … :-))))

    LG, Uta

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