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„Schützt unser Leben, unsere Lebensgrundlage und unsere Zuhause”

Mehr als 47 Kilometer lang soll er werden, der Deich, der den Städteverband Metro-Manila über eine Schnellstraße mit anderen Städten verbinden und die Region um den drittgrößten Südwassersee Südostasiens vor Überschwemmungen schützen soll: Der so genannte “Laguna Lakeshore Expressway Deich” ist ein Mega-Bauprojekt und Teil des “Hochwasserschutz Masterplans” der philippinischen Regierung. Erklärtes Ziel ist es, die Bevölkerung durch den Deich vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Solche Schutzmaßnahmen sind auch dringend nötig, sagen die philippinischen MISEREOR-Partner Kelvin Vinarao Fugaban und Alfredo Bernarte Jr.. Gleichzeitig warnen sie vor den negativen Folgen, die das gigantische Bauvorhaben haben würde, sollte es wie geplant realisiert werden. Ausgerechnet diejenigen wären von den negativen Folgen betroffen, die am meisten unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden und am wenigsten zu seiner Entstehung beitragen: Arme Familien, die in den Ufergebieten entlang des Sees siedeln.

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Am Laguna-de-Bay-See in Metro Manila soll ein riesiger Deich gebaut werden. Schutz oder Bedrohung für die Armen, die am Ufer des Sees siedeln? Foto: Schauber/Misereor

Um sich die Größenordnung klar zu machen: Auf wie viele Menschen hat das Deichbauprojekt am Laguna de Bay See Auswirkungen?

Kelvin Vinarao Fugaban: Die Menschen, die von dem Deichbauprojekt betroffen sind, leben in mehr als 40 Gemeinden am Ufer des Laguna-de-Bay-Sees. Nach Erhebungen der philippinischen Statistik-Behörde von 2010 leben rund 3,9 Millionen Menschen dort, viele Arbeiter-, Bauern- und Fischerfamilien. Die meisten von ihnen sind so genannte “städtische Arme”.

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„Gemeinsam sind wir stark“: Gemeinde-Organisator Kelvin Vinarao Fugaban kämpft gemeinsam mit den Siedlern am Laguna-de-Bay-See für ihr „Recht auf Wohnen“. Foto: Privat

Wer soll von dem Projekt profitieren?

Alfredo Bernarte Jr.: Angeblich die allgemeine Öffentlichkeit, insbesondere die Menschen, die am westlichen Ufer des Laguna-de-Bay-Sees leben.

Wie genau?

Alfredo Bernarte Jr.: Die Schäden, die durch die jedes Jahr wiederkehrenden Überschwemmungen entstehen, sollen durch den Deich vermieden werden. In Zukunft sollen etwa 800.000 Menschen vor Überflutungen geschützt sein. Hochwassergefährdete Bauten sollen ebenfalls geschützt werden. Gleichzeitig soll 700 Hektar neues Land in Form von künstlichen Inseln entstehen, dem Ufer vorgelagert. Und durch eine Schnellstraße, die auf dem Deich entlangläuft, soll sich die Fahrtzeit von Bicutan nach Los Banos von momentan 90 Minuten auf 35 Minuten reduzieren.

Wird auch die arme Bevölkerung profitieren?

Alfredo Bernarte Jr.: Wenn man den formulierten Zielen des Projektes Glauben schenkt, dann werden alle Gemeinden entlang des geplanten Deiches von den geplanten Hochwasserschutz-Maßnahmen profitieren.

Wenn der Deich das Gebiet tatsächlich vor (klimawandelbedingtem) Hochwasser schützt, was ist Ihrer Meinung daran dann problematisch?

Alfredo Bernarte Jr.: Wir befürchten, dass vor allem arme Familien, vor allem Fischer, im Zuge der Baumaßnahmen vertrieben werden und ihre Lebensgrundlage verlieren. Das ökologische Gleichgewicht des Laguna-de-Bay-Sees ist in Gefahr. Die künstlichen Inseln, die entlang der westlichen Seite des Laguna Lake entstehen sollen, werden den Wasserstand in anderen Gebieten ansteigen lassen. Und das kann dazu führen, dass sich die Hochwassergefahr dort erhöht. Für die Menschen, die am südlichen und östlichen Ufer leben, würde das jetzige Vorhaben die Situation also deutlich verschlechtern.

Kelvin Vinarao Fugaban: Laut unseren Analysen wären von den Vertreibungen mindestens 500 arme Familien betroffen, also insgesamt etwa 2.500 Menschen, die informell (ohne offiziellen Landtitel) ungefähr 500 Meter hinter der Küstenlinie siedeln. Zudem würden mindestens 20.000 Fischer- und Bauernfamilien, also insgesamt mehr als 100.000 Menschen, in acht Gemeinden ihre Lebensgrundlage verlieren.

Sie sprachen von einer Schnellstraße, die auf dem Deich gebaut werden und die Fahrtzeit verkürzen soll. Stecken dahinter auch kommerzielle Interessen?

Alfredo Bernarte Jr.: Das Projekt ist als öffentlich-private Partnerschaft (Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Unternehmen) ausgeschrieben, bei der der Bieter, der den Zuschlag erhält, den entstehenden “Expressway Deich” wahrscheinlich als gebührenpflichtige Mautstraße betreiben und die neugewonnenen 700 Hektar Land kommerziell erschließen wird. Unter diesem Blickwinkel kommerzieller Interessen erscheint der Deichbau als Hochwasserschutz-Maßnahme lediglich als Nebengedanke und die Landgewinnung und die Schaffung von Verkehrsinfrastrukturen als das eigentliche Ziel. Die geplante Straße bedingt viele zusätzliche Zufahrtsstraßen, Kreuzungen und Brücken, die in bereits dicht besiedeltem Gebiet entstehen sollen. Es ist noch nicht absehbar, wie viele Menschen ihre Wohnungen aufgrund dieser Baumaßnahmen verlieren werden.

Was sagen die Betroffenen?

Alfredo Bernarte Jr.: Sie stemmen sich sehr gegen den Bau des Deiches. Sie denken, dass der Deich den Laguna-de-Bay-See töten wird. Und sie wissen, dass es für sie noch schwieriger wird, durch Fischen und Fischverarbeitung ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, wenn der Deich erst einmal gebaut ist.

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War einer der Redner bei der internationalen Fachtagung von Misereor zum 3. UN-Weltgipfel Habitat III im Mai 2016: Alfredo Bernarte Jr. von der philippinischen Organisation „Urban Poor Associates“. Der Misereor-Partner leistet juristischen Beistand für die informellen Siedler am Laguna-de-Bay-See. Foto: Brodbeck/Misereor

Wie unterstützen Sie bzw. Ihre Organisation die Menschen?

Kelvin Vinarao Fugaban: Unsere Organisation “Community Organizers Multiversity” organisiert und stärkt die Gemeinden und Netzwerke rund um den Laguna-de-Bay-See bei der Kampagne gegen das Deichbauprojekt. Getreu dem Motto “Gemeinsam sind wir stark“ bringen wir die Menschen zusammen, damit sie die Herausforderungen zusammen angehen können und unterstützen sie, konkrete Wege und Maßnahmen zu finden, wie sie mit dieser gigantischen Bedrohung umgehen können, die der Deichbau für ihr Leben, ihren Lebensunterhalt und ihr Recht auf Wohnen bedeutet. Problematisch ist vor allem, dass die Regierung die betroffenen Gemeinden nicht in die Entscheidungsprozesse rund um das Deichbauprojekt einbezieht. Insgesamt liegen sehr wenige Informationen zu dem Projekt vor.

Ich selbst arbeite bei der Organisation und Mobilisierung der Gemeinden mit, die rund um den Laguna-de-Bay-See leben. Wir arbeiten mit einer Methode, die im Englischen “issue-based community organizing” heißt, also Gemeindearbeit, die sich auf konkrete Herausforderungen konzentriert und bestimmte Ziele erreichen will. Solche Ziele fangen bei der Bereitstellung von Basisdiensten wie dem Anschluss an das Wasser- und Elektrizitätsnetz für arme Haushalte an und reichen zu so komplexen Herausforderungen, wie das Recht auf Wohnen für die Menschen sicher zu stellen, also die Zerstörungen von Wohnraum und Vertreibungen zu verhindern. Aber auch Umweltschutz gehört dazu, ebenso wie die Stärkung von Frauenrechten und politische Advocacy-Arbeit auf lokaler und nationaler Ebene.

Alfredo Bernarte Jr.: Wir bei „Urban Poor Associates“ arbeiten ebenfalls in der Mobilisierung der Gemeinden. Wir unterstützen die Menschen darin, dass sie für sich Sicherheit, Selbstwertgefühl und konkrete Handhabe entwickeln, die es braucht, um das Recht armer Menschen auf Wohnen geltend zu machen. „Urban Poor Associates“ hat ein Rechtsberatungszentrum, das die Gemeindearbeit von “Community Organizers Multiversity” am Laguna de Bay See unterstützt. Für das gesamte Hochwasserschutz-Programm überwachen wir, ob und wie die informell siedelnden Familien von den Baumaßnahmen betroffen sind. Sie bekommen von uns juristischen Beistand, der sicherstellt, dass ihre Rechte gewahrt werden.

Welche konkreten Forderungen an die Entscheidungsträger haben Sie?

Kelvin Vinarao Fugaban: Wenn Sie die Menschen, die um den Laguna de Bay See fragen würden, was ihre Forderung ist, dann werden sie sagen „Nein zum Infrastruktur-Projekt am Laguna de Bay See“. Und „Pangalagaan ang Buhay, Bahay, at Kabuhayan!” „Schützt unser Leben, unsere Lebensgrundlage und unsere Zuhause.”

Alfredo Bernarte Jr.: Im Moment ist unsere dringendste Forderung, dass das Deichbau-Projekt so lange ausgesetzt bleibt, bis die Konsequenzen des Projekts auf dem Tisch liegen. Die Betroffenen wollen die Machbarkeitsstudie, die zu dem Deichbauprojekt erstellt wurde, einsehen und überprüfen. Diese Machbarkeitsstudie wird gegenwärtig überarbeitet. Die Betroffenen wollen wissen, wie und ob ihre Situation einbezogen wird. Es geht ihnen darum, eine Win-Win-Lösung für alle Beteiligten auszuhandeln.

Welche Maßnahmen oder Aktionen gibt es noch?

Alfredo Bernarte Jr.: Die Gemeinden arbeiten weiter daran, einflussreiche Persönlichkeiten von ihrem Anliegen zu überzeugen, damit sie es unterstützen. Außerdem halten sie immer wieder öffentliche Foren ab, um die Aufmerksamkeit und die Unterstützung der Öffentlichkeit zu gewinnen. Aktuell geht es auch darum, die Öffentlichkeit über die Folgen des Investitionsvorhabens zu informieren.

Welche generellen Forderungen haben Sie in Bezug auf die Vereinbarkeit von Klimaschutzmaßnahmen und dem Recht armer Menschen auf Wohnen in der Stadt?

Kelvin Vinarao Fugaban: Unsere Forderungen in Bezug auf Wohnen im Verhältnis zu Hochwasserschutz lautet “maximale Bewahrung und minimale Umsiedelung von Gemeinden”. Sollten Menschen umgesiedelt werden müssen, dann erwarten wir, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, damit sie nach den Baumaßnahmen wieder in ihrer alten Umgebung wohnen können. Generell geht es uns darum, Umsiedelungen in oft weit entfernte Stadtteile oder sogar außerhalb der Stadt zu verhindern. Die zentrale Lage ist wichtig, weil die Menschen dort ihren Lebensunterhalt verdienen. Würden sie gezwungen, außerhalb der Stadt zu siedeln, ist ihre Lebensgrundlage bedroht, denn sie können sich die Fahrtkosten in die Stadt gar nicht leisten. Wir sehen das als wichtigen Beitrag zum Recht eines jeden Menschen, in der Stadt zu leben.

Im Oktober findet die UN-Konferenz HABITAT III im ecuadorianischen Quito statt, bei der die so genannte „Neue Städtische Agenda“ verabschiedet werden soll. „Städte sollen inklusiver werden“, lautet eine der Forderungen, die in diese Agenda aufgenommen werden soll – samt konkreter Maßnahmen zur Umsetzung. „Inklusive Städte“, was bedeutet das für Sie?

Alfredo Bernarte Jr.: Wir von „Urban Poor Associates“ begrüßen sehr, was Papst Franziskus gesagt hat: Dass die Armen das Recht haben, in der Stadt zu leben. Seit Jahrzehnten kämpfen wir dafür, dass Arme in den Innenstädten leben bleiben können und nicht an die Stadtränder umgesiedelt werden.

Was bedeutet der Klimawandel für die Lebensbedingungen gerade von armen Menschen auf den Philippinen?

Alfredo Bernarte Jr.: In einem Land wie dem unseren, mit einer Armutsrate von 26,5 Prozent – bei den Bauern- und Fischerfamilien liegt sie sogar noch höher – können die schädlichen Effekte und Auswirkungen des Klimawandels nicht deutlicher beobachtet werden als daran, wie viel härter sie die armen, benachteiligen Bevölkerungsgruppen treffen. Der Schutz armer Menschen muss an erste Stelle gesetzt werden, sonst werden sie immer noch verwundbarer.

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Nina Brodbeck arbeitet bei Misereor in der Abteilung Kommunikation.

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