„Vision Jeunesse Nouvelle“ – meine Arbeitsstelle wird ihrem Namen, der so viel wie „neue Perspektive für Jugendliche“ bedeutet, durchaus gerecht. 2002 von dem Kanadier Frère Gabriel Lauzon gegründet, bietet sie seither ein buntes Programm für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in den Bereichen Bildung, Sport, Kultur und Friedensarbeit – ein Programm, von dem ich nun ein Teil sein darf.
Courage! Mein Leben als „Vijiste“
„Don’t worry ‘bout a thing, ‘cause every little thing’s gonna be alright in Rwanda!“
Mit den wohlbekannten, etwas abgeänderten Zeilen von Bob Marley, wurden wir an unserem ersten Arbeitstag von unserem Kollegen Mugabe begrüßt. Er und die anderen „Vijistes“, wie Frère Lauzon seine Mitarbeiter nennt, hatten extra für uns ein kleines musikalisches Willkommensprogramm zusammengestellt, bei dem uns leckeres Essen serviert wurde, wir uns kurz vorgestellt und anschließend gemeinsam zu traditioneller Musik getanzt haben. Seither sind wir ein fester Teil der Gruppe aus etwa 25 Sporttrainern, Musikern, Lehrern und Büroarbeitern, die bei Vision Jeunesse Nouvelle ihr Wissen und Können an die jungen Menschen weitergeben.
Nach einer Phase des Erkundens und langsamen Eingewöhnens sind unsere Aufgaben im Projekt nun, ähnlich wie VJN selber, sehr vielseitig und kein Tag verläuft genau gleich. Was ich an unserer Arbeit hier am meisten zu schätzen weiß, ist, dass wir nicht nur in einen Bereich, sondern gleich in mehrere blicken und so viele Erfahrungen sammeln dürfen. Von Kindern im Vorschulalter bis zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeiten wir mit nahezu allen Altersgruppen, wobei wir Englisch-, Deutsch- und gelegentlich sogar Französischunterricht geben, einmal die Woche mit einer Klasse von Taubstummen im kreativen Bereich tätig werden und in der Vorschule, die unser Mentor Alexis leitet, mit den Kleinen basteln, singen und Spiele wie „Plumpssack“ und „Fischer Fischer“ spielen. Und nicht nur das – auch im Sport- und Kulturprogramm von VJN können wir uns, gemäß unserer Interessen und Talente, einbringen. So leer das „Centre Culturel“, das Zentrum unserer Arbeit, manchmal vormittags ist, so belebt ist es plötzlich am Nachmittag, wenn Tänzer, Akrobaten, Theaterleute, Choristen, Fußballer, Kampfsportler und viele weitere aus der Schule hierher kommen, um ihren Hobbys nachgehen. So steht man immer in engem Austausch mit vielen Jugendlichen und kann selbst auch noch etwas dazulernen – so wie ich, die immer mal wieder beim Aerobic oder Tischtennis mitmacht und sich schon beim Breakdance probiert (und teilweise auch etwas zum Affen gemacht) hat ;-).Da ich viel Spaß an meiner Arbeit habe und mich gut mit meinen Kollegen verstehe, finde ich es nicht schlimm, dass Arbeit und Freizeit bei uns eng miteinander verbunden sind. Nicht selten wird man am Wochenende angerufen und spontan gefragt, ob man zu einem Wettkampf, Tanz- oder Theaterauftritt kommen möchte bzw. bei etwas helfen kann, oder ob man Lust hat, etwas gemeinsam mit den Kollegen zu unternehmen.
„Teacher, Teacher!“ – die Angst vor dem neuen Blickwinkel
„Good morning, boys and girls!“, begrüße ich meine Klasse im „Centre de Métiers“, dem Berufszentrum von VJN für junge Erwachsene, jeden Donnerstag bei unserem allwöchentlichen Englischkurs. „Good morning, teacher!“, schallt es zurück – für mich noch immer etwas ungewohnte Worte. Zwölf Jahre saß man schließlich selbst auf der Schulbank und versuchte – mit regelmäßig schwankender Motivation – den Unterrichtsstoff zu verstehen, und plötzlich findet man sich selbst vor einer Klasse von etwa 30, 40 Schülern wieder, die einen erwartungsvoll anschauen und mal mehr oder weniger interessiert den eigenen Worten über die große Weite der englischen Grammatik folgen. Schüler, die alle auf einem unterschiedlichen Level sind, was die englische Sprache betrifft: während also die Hälfte der Jugendlichen innerhalb von ein, zwei Stunden das „Present Tense“ begreift und allmählich der sich wiederholenden Übungen dazu überdrüssig wird, scheitert es bei dem anderen Teil oftmals schon bei der Begrüßung…
Nicht nur aus diesem Grund war das Unterrichten für mich am Anfang eine große Herausforderung. Wie geht man die Grammatik am besten an? Was ist wichtiger, Vokabeln oder Satzbau und Zeitformen? Was, wenn ich selbst Fragen über die Sprache nicht beantworten kann? Und wie motiviert man ruandische Schüler Anfang 20, einer im meisten Fall jüngeren, deutschen Freiwilligen zuzuhören und das, was sie sagt, für voll zu nehmen? Das alles waren Dinge, die mich am Anfang beschäftigt haben – und das nicht nur bei meinem Kurs im Berufszentrum. Hatte ich doch zuvor nur wenig Erfahrung damit gemacht, Menschen zu unterrichten, so fand ich mich Schlag auf Schlag jede Woche vor zwei Kursen Englisch – einen im Centre de Métiers und einen selbst initiierten für die Straßenkinder im Centre Culturel – sowie mit Unterrichtsstunden, die ich einzelnen Schülern in Französisch und Deutsch gebe, wieder.
Doch auch wenn ich mir bezüglich vieler Dinge unsicher war, eines wusste ich auf jeden Fall: ich wollte nicht nur Unterricht abhalten, bei dem die Schüler etwas lernen, sondern Unterricht, der Spaß macht und zum freiwilligen Lernen motiviert. Aber wie? Es hat einige Stunden gedauert, bis ich schließlich im Berufszentrum auf das große Geheimnis der Lernbereitschaft gestoßen bin: Konkurrenz. Man mag es nicht glauben, aber das mir aus meiner Schulzeit nur allzu bekannte „Bankreihen im Wettstreit gegeneinander“ verfehlte seine Wirkung auch bei den jungen Auszubildenden nicht. Wie schnell und nahezu fehlerfrei die Aufgaben an der Tafel mit einem Mal gelöst wurden, als es ums Punkte sammeln für die eigene Bankreihe ging und ein Preis für das Ende des Jahres in Aussicht gestellt wurde… 🙂
Inzwischen bereitet mir meine Aufgabe als Lehrerin, das Vorbereiten meiner Stunden, das Erklären, gemeinsame Üben und Vokabelspiele spielen mit den Schülern immer größere Freude und die Angst, an meine Grenzen zu stoßen und nicht mehr weiterzuwissen, rückt mehr und mehr in den Hintergrund. Warum nicht auch mal an Grenzen stoßen? Dazu habe ich mich ja schließlich auch für einen Freiwilligendienst entschieden. 🙂
Liebe Yasmin,
hört sich an, als hättest du dich schon gut eingelebt und bist auf dem Weg, ein richtiger „Vijiste“ zu werden. Top! Viel Spaß weiterhin, vor allem beim Unterrichten :-)))
LG, Uta