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Freiwilligendienst: Workshop zu „Critical Whiteness“

Alle Jahre wieder treffen sich die Rückkehrer und Rückkehrerinnen des MISEREOR-Freiwilligendienstes im Herbst, um gemeinsam ein Wochenende zu verbringen und ein ausgewähltes Thema zu bearbeiten.rueckkehrer-freiwilligendienst

Dieses Jahr haben wir uns wieder in Aachen getroffen, wo einem dieses gewisse schöne, angenehme, vertraute MISEREOR-Freiwilliger-Gefühl überkommt, sobald man schon aus dem Zug ausgestiegen ist. Mit insgesamt sechs Generationen des Freiwilligendienstes und den Incoming-Freiwilligen aus diesem Jahr, waren wir ein bunt gemischter Haufen, der sich während des Wochenendes mit dem Thema „Critical Whiteness“ auseinandergesetzt hat.

Jeder von uns hat während des Freiwilligendienstes die Erfahrung gemacht, wie es ist, offensichtlich anders zu sein, eine andere Hautfarbe, Körpergröße, Haarfarbe etc. zu haben und deswegen auch anders behandelt zu werden.

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Während des Wochenendes wurde die Give Box wiederbelebt…

Aufgrund von gesellschaftlichen Strukturen und Systemen, die sich besonders in der Zeit des Kolonialismus entwickelt haben, haben wir heute eine bestimmte Art zu denken und zu handeln. Sowohl wir als Weiße, als auch Menschen mit anderer Hautfarbe.
Als Menschen weißer Hautfarbe haben wir Privilegien, andere Ausgangspositionen als auch andere Möglichkeiten und werden anders behandelt. Im Freiwilligendienst ist uns dies aufgefallen, aber dieses „System“ endet nicht in Ruanda, Thailand oder Timor-Leste. In Europa, in Deutschland, überall, werden Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe unterschiedlich behandelt. Die Werte, die zu diesem Verhalten führen, hat der Mensch über Jahrhunderte verinnerlicht und oft nehmen wir sie nicht einmal bewusst wahr. Deshalb ist es ein äußerst langwieriger Prozess, etwas daran zu ändern.

Nach einem gemütlichen Ankommen mit Kaffee und Kuchen sind wir in das Thema eingestiegen und haben gemeinsam den Film „Fuck White Tears“ angeschaut. Der Film handelt von einer jungen weißen deutschen Frau, die nach Südafrika reiste, um über die dortige Studentenbewegung zu berichten. Doch sie wird davon überrascht, dass die Studentinnen und Studenten von ihrem Vorhaben gar nichts halten. Der Grund: dunkelhäutige Südafrikaner kämpfen für ihr Recht auf Bildung und Gleichberechtigung – was hat eine Weiße damit zu tun? Aus Sicht der Südafrikanerinnen und Südafrikaner ist dies ihr Kampf, den sie allein führen müssen. Denn obwohl eine Weiße möglicherweise die gleiche Meinung vertritt, ist sie nicht Teil der Gruppe, die mit Benachteiligungen und ähnlichem zu kämpfen hat. Dass sie es für nötig hält, sich in diesen Streit einzumischen, der sie selbst gar nicht betrifft, wird vor Ort als herablassend und entwürdigend empfunden. Indem sie mit Einheimischen darüber spricht, versucht die Deutsche, die Situation zu verstehen und zu akzeptieren.
Der Film war sehr berührend und hat auch während des Kochens und de gemütlichen Abend noch für Gesprächsbedarf bei uns gesorgt.

Für Samstag hatten wir einen Referenten eingeladen, der mit uns das Phänomen Weißsein beleuchtete, die Auswirkungen von Rassismus darstellte und unsere Erfahrungen als Freiwillige in einem fremden Land reflektiert hat. Dabei war die Teilnahme unserer drei Reverse-Freiwilligen und ihre Ansichten sehr bereichernd. Sie schilderten ihre Erfahrungen in Deutschland beleuchteten auch unsere Erfahrungen während des Freiwilligendienst von einer anderen Seite. Spannend war auch, dass der Referent Tsepo Bollwinkel selbst Südafrikaner ist, also die Seite eines Nicht-Weißen vertritt.

Ich glaube, jeder war ein bisschen skeptisch, was der Verlauf des Workshops so bringen mag. Schließlich ist es ein schwieriges Thema. Wer ist sich schon tagtäglich bewusst, dass uns unsere weiße Hautfarbe in vielen Situationen Privilegien einräumt? Und wie ist es mit der anderen Seite, der nicht-weißen Bevölkerung? Viel zu schnell stecken wir Menschen in eine Schublade, haben Vorurteile etc. – teilweise weder gewollt, noch bewusst! Manche Denkweisen sind so tief in der Gesellschaft verankert, dass man vor sich selbst erschrickt, wenn einem diese bewusst werden. Dies hat der Referent uns an anschaulichen Beispielen deutlich gemacht. Und tatsächlich: nicht selten waren wir verblüfft, überrascht und erschrocken. Da kommt die Frage auf: bin ich wirklich so? Sind das nicht die anderen? Habe ich damit tatsächlich was zu tun? Die Antwort von Tsepo Bollwinkel war ganz klar: „Ihr könnt aus diesem System nicht raus. Aber ihr könnt anfangen, es zu verändern!“

Ein weiterer Aufruf, auf unsere Frage, was wir tun könnten, war: „Shut up and listen!“. So heißt es im Film „Fuck white tears“ auf die Frage, was eine Weiße für die schwarze Studentenbewegung tun kann.  Mund halten und zuhören! Was bedeutet das für uns? Wir sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der man von klein auf lernt, sich für seine Meinung und Ideen einzusetzen und diese verteidigt. Sein Appell an uns ist, das Gegenteil zu tun: leise zu sein, seine Meinung für sich behalten, sich informieren, den Leuten, die mit Problemen zu kämpfen haben, die wir nicht haben(!) zuzusehen. Es ist ihr Kampf! Überspitzt gesagt: wir können nicht der Gegner sein (wofür wir nichts können, weil wir in dieses System reingeboren wurden) und gleichzeitig für die anderen kämpfen. Wir können versuchen, einen Überblick über das Problem, was so viele Jahrhunderte zuvor seine Wurzeln hat, zu bekommen und denen, die auf der anderen Seite sind, zuhören und auf Anregungen warten.

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Indische Kochgerüche strömen durch das Haus!

Dieser Workshop hat in uns allen eine Menge bewegt – mit Sicherheit wird dieses Thema in jedem von uns weiterleben. Doch nach diesem intensiven Tag haben wir den freien, bunten Abend genossen. Jyoti und Subhadra, unsere beiden Reverse-Freiwilligen aus Indien, haben für uns fantastisch lecker indisch gekocht, die Nicht-Kölner wurden mit kölscher Musik auf Karneval vorbereitet, wir haben die Vorweihnachtszeit eröffnet und zu timoresischer Musik getanzt.

Der Sonntagvormittag ließ traditionell den Tatendrang der Rückkehrerinnen und Rückkehrer wieder aufflammen. In verschiedenen Arbeitsgruppen wurden Ideen für das nächste Wochenende gesammelt und eine Gesprächsrunde über das Reverse-Programm gebildet, welches um ein Jahr verlängert wird. Das ist schön, da das Programm dem Namen Nord-Süd-Austausch somit gerecht wird und es keine Einbahnstraße des „Austausches“ von deutschen Freiwilligen in Länder des globalen Südens mehr ist. Die dritte Gruppe hat unsere nächste Aktion geplant: Präsenz bei der Eröffnung der Fastenaktion 2017 in Trier. Dabei sind schon viele tolle konkrete Ideen entstanden, die nun noch auf ihren Feinschliff warten.

Wir sind schon Feuer und Flamme und freuen uns auf das nächste Treffen im März mit alten und neuen Gesichtern!

In diesem Sinne: Go Rückis! Wir sehen uns bei der Fastenaktionseröffnung in Trier!

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Geschrieben von:

Maria

Meine Name ist Maria. Ich habe 2014/2015 einen Freiwilligendienst in Timor-Leste im CTID (Centro Treinamento Integral no Desenvolvimento) geleistet. Dort habe ich junge Frauen in Englisch und Sport unterrichtet.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Hey Maria,
    du hast unser WE toll zusammen gefasst. Vor allem hast du die konkreten Punkte unseres Diskussionsthemas sehr gut beschrieben. Ich muss sagen, dass auch ich vorher ganz schön skeptisch war, ob wir denn jetzt nicht womöglich eins auf die Mütze bekommen, nur, weil wir eben „weiß“ sind. Aber ich war wirklich, wirklich sehr angetan von Tsepos Workshop. Er hat mich noch Tage später beschäftigt und auch jetzt bemerke ich, wie ich immer wieder über verschiedene Situationen nachdenke. Und dass ist doch das, was gewollt war: Aufpassen. Umdenken. Handeln.
    LG, Uta

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