MISEREOR-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel besucht in diesen Tagen Projekte in Sri Lanka und spricht mit Menschen, die fast drei Jahrzehnte Krieg durchlitten haben.
Wir sind unterwegs im Norden von Sri Lanka. Unser tamilischer Begleiter, ein katholischer Priester, öffnet uns während der Fahrt immer wieder die Augen für die Erinnerungen an den fast drei Jahrzehnte langen Krieg, der 2009 zu Ende ging.
Heute ist ein besonderer Tag. Die Tamilen in Sri Lanka gedenken ihrer Toten im Krieg. Es ist aber auch deswegen ein besonderer Tag, da die Tamilen seit sieben Jahren das erste Mal wieder die Erlaubnis haben, Orte zu besuchen, an denen ihre Toten liegen und an denen früher die Grabsteine standen. Die Friedhöfe der Tamilen sind nach dem Krieg mitsamt den Grabsteinen zumeist vorsätzlich zerstört worden. Die Menschen können also nur ahnen, wo ihre Liebsten liegen. Und dennoch: sie dürfen wieder dort hingehen.
Wir unterhalten uns mit einigen Frauen. Eine Frau beginnt zu erzählen, aber bereits nach wenigen Worten stockt ihre Stimme, sie unterdrückt die Tränen, hält kurz inne und spricht dann weiter. Sie erzählt von den vielen schrecklichen Erinnerungen aus den Kriegstagen. Sie hat ihren Mann und ihre drei Söhne verloren. Zwei Söhne sind im Krieg umgekommen, von einem hat sie nie wieder etwas gehört. Jahre der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit folgten.
Neuen Mut schöpfte sie durch die Hilfe von Ordensschwestern. Sie haben ihr geholfen, ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften. Selbstbewusstsein hat sie in Trainings gewonnen, in denen sie gemeinsam mit anderen Frauen gelernt hat, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen. MISEREOR begleitet und unterstützt diese Arbeit.
Ich ermuntere die Frauen, ihre eigene Lebensgeschichte aufzuschreiben: „In meiner Zeit als Missionar in Brasilien habe ich gesehen und gelernt, wie wichtig es ist, dass Menschen und Gemeinden ihre eigene Lebensgeschichte und die ihrer Gemeinde aufschreiben. Ihre Leiden dürfen nicht vergessen werden, sondern müssen für alle eine Mahnung sein.“
Danach sprechen die Frauen unter sich und wir wissen nicht, worum es geht. Am Ende der Begegnung erfahren wir, dass sie nun entschlossen sind, ihre Lebensgeschichten aufzuschreiben, damit auch künftige Generationen in Sri Lanka erfahren, was ihnen im Krieg widerfahren ist. Denn auch ihre Geschichte darf nicht vergessen werden. In offiziellen Geschichtsbüchern wird man ihre Geschichten nämlich nicht finden.