Im Dezember 2016 trafen sich auf Einladung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie in Berlin Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und aus der Zivilgesellschaft zu einer internationalen Konferenz zum Thema „Tiefseebergbau“. Nichtregierungsorganisationen – darunter auch MISEREOR – nahmen dies zum Anlass, mit einer gemeinsamen Pressemitteilung zum Stopp des Tiefseebergbaus aufzurufen.
Das Interesse Deutschlands und Risiken des Tiefseebergbaus
Der Tiefseebergbau ist in mehrererlei Hinsicht für die deutsche Regierung und Unternehmen von großem Interesse. Zum einen stellt der Sektor ein neues, großes Potenzial an strategisch wichtigen Rohstoffen dar und könnte Deutschland in dieser Hinsicht eine langfristige Versorgungssicherheit bieten. Deutschland ist zur Deckung seines Rohstoffbedarfes in hohem Maße von Importen abhängig – u.a. aus Ländern wie China – und bestrebt, diese zu reduzieren. Bereits jetzt besitzt die Bundesrepublik Erkundungslizenzen für 85.000 Quadratkilometer Meeresboden im Zentralpazifik und im Indischen Ozean. Zum anderen könnte die Entwicklung der neuen und sehr aufwändigen Technologien, die der Tiefseebergbau erfordert, ein attraktives wirtschaftliches Zukunftsfeld für deutsche Unternehmen darstellen. So haben sich die deutsche Regierung, aber auch andere EU-Mitgliedsstaaten und die EU selbst in den vergangenen Jahren immer wieder klar zugunsten des Tiefseebergbaus positioniert.
Diese neue Form des Rohstoffabbaus birgt jedoch unkalkulierbare Risiken für Mensch und Natur. Die Frage drängt sich auf, ob wir diese Technik wirklich brauchen, oder ob es nicht sinnvoller und nachhaltiger wäre, in die Suche nach und die Entwicklung von alternativen Technologien zu investieren.
Um welche Rohstoffe geht es?
Im Fokus des Tiefseebergbaus stehen drei marine mineralische Rohstoffe: Manganknollen, Kobaltkrusten und Massivsulfide. Manganknollen sind große, schwarze Klumpen, die in einer Tiefe von 4.000 – 6.000 Metern lose auf dem Meeresboden liegen. Sie haben einen hohen Anteil an Mangan sowie Anteile von Eisen, Kupfer, Nickel und einigen weiteren Edelmetallen. Kobaltkrusten kommen vor allem in einer Meerestiefe von 1.000 bis 3.000 Metern vor und enthalten u.a. Mangan, Eisen, Kobalt, Nickel, Platin und Seltene Erden. Massivsulfide sind Schichten von schwefelhaltigen Metallerzen; sie entstehen in einer Tiefe von 1.000 – 4.000 Metern unter der Meeresoberfläche und enthalten u.a. Gold, Silber, Cadmium, Zink, Kupfer, Blei, Platin und andere Edelmetalle. Je nach Bestandteilen finden diese Rohstoffe u.a. Verwendung in der Herstellung von Stahl, Autos, Batterien, Akkus, LEDs, Elektronik, Solarzellen, Smartphones oder Schmuck.
Je nachdem, in welcher Entfernung von der Küste diese Rohstoffe vorkommen, gilt entweder das nationale Recht oder internationales Recht. Bisher ist international nur die Exploration geregelt; ein Regelwerk für einen möglichen Abbau wird derzeit von der zuständigen UN-Organisation, der Internationalen Meeresbodenbehörde (IMB), erarbeitet. Auch die nationalen Gesetzgebungen weisen vielfach noch Lücken auf, was den nötigen Schutz von Umwelt und Menschenrechten in Zusammenhang mit dem Tiefseebergbau betrifft.
Was sagen die Betroffenen vor Ort?
Insbesondere der pazifische Raum ist für den Tiefseebergbau von Interesse. Hier leben in einem Gebiet von rund 70 Millionen Quadratkilometern rund 15 Millionen Menschen – verteilt auf mehr als 2.000 bewohnte Inseln. Die Mehrzahl dieser Menschen leben von Fischfang und Subsistenzwirtschaft. Auch der Tourismus spielt als Einnahmequelle eine gewisse Rolle. Eingriffe in die Meeresfauna und –flora, die der Tiefseebergbau unweigerlich mit sich bringt, sind für die Menschen der Region nicht vorstellbar. Nicht nur ihr wirtschaftliches Überleben hängt vom Meer ab; auch kulturell spielt das Meer für die BewohnerInnen des Pazifiks eine existenzielle Rolle. Für sie ist der Pazifik ihr „flüssiger Kontinent“.
„Die Menschen denken, dass das Meer uns trennt. Man kann sagen, das stimmt, und gleichzeitig stimmt es doch nicht. Die Menschen haben das Meer immer genutzt, um miteinander zu kommunizieren… Das Meer verbindet uns…. Der Pazifik ist unser „flüssiger Kontinent“. Alles in allem sind wir größer als die gesamte Landmasse der Erde zusammengenommen.“
Rev. François Pihaatae, Generalsekretär der Pacific Conference of Churches (PCC)
Schon jetzt leiden die Menschen im Pazifik weltweit am meisten unter den Folgen des Klimawandels, obwohl sie selbst am wenigsten zu deren Entstehen beitragen. Das Wort „Klimaflüchtlinge“ ist für sie kein Fremdwort mehr; einige Inseln sind bereits jetzt akut vom Untergang bedroht und die Menschen müssen umgesiedelt werden. Viele befürchten ähnlich desaströse Folgen des Tiefseebergbaus auf ihr Leben. Die meisten lehnen den Tiefseebergbau daher strikt ab. Sie wollen auch nicht – wie in der Vergangenheit, als die USA und Frankreich im Pazifik ihre Atomtests durchführten – erneut zu „Versuchskaninchen“ für eine neue Technologie werden, die unter Umständen ihre Existenz gefährdet, und die doch in erster Linie dazu dient, Bedürfnisse reicher Industrienationen zu befriedigen.
Es gibt Alternativen
Der bestehende Rohstoffhunger dieser Welt ist nicht zukunftsfähig. Der maßlose Verbrauch an endlichen Rohstoffen führt nicht nur zu Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen, Gewaltkonflikten und Verarmung, sondern er treibt auch den industriellen Tiefseebergbau voran. Statt immer weiter auf technische Lösungen zu setzen, um den wachsenden Rohstoffbedarf zu decken, müssen Anreize geschaffen und Maßnahmen gefördert werden, die auf eine absolute Senkung des Rohstoffverbrauches abzielen – wie Recycling, Erhöhung der Ressourceneffizienz, „Urban Mining“ oder „Cradle-to-Cradle“-Verfahren (i.e. die Schaffung von geschlossenen Produktkreisläufen). Hier stecken noch enorme Potenziale. Sie erst einmal auszuschöpfen sind wir den Meeren als „gemeinsames Erbe der Menschheit“ und den Menschen im Pazifik schuldig. Deutschland und die EU können und sollten eine Vorreiterfunktion in der Förderung solcher Alternativen übernehmen. Als verantwortliche Bürgerinnen und Bürger sollten wir die Politik auffordern, sich entsprechend einzusetzen. Als Verbraucherinnen und Verbraucher können und sollten wir auch das eigene Konsumverhalten überdenken, um ressourcenschonender und energiesparender zu leben. Denn dann können wir auf die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen und werden ruhigen Gewissens sagen: „Auf jeden Fall ohne Tiefseebergbau“.
Weitere Informationen…
… Diskussionspapier: Tiefseebergbau – Unkalkulierbares Risiko für Mensch und Natur: Im Fokus – der Pazifik
Hallo Elisabeth.
Toller, informativer Artikel. Ich bin gerade an einem Schulprojekt und du sicherst mir die 1! Danke vielmals!
Liebe Grüße Melissa