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Gewaltfreiheit: Stil einer Politik für den Frieden

In seiner diesjährigen Botschaft zum Welttag des Friedens spricht Papst Franziskus davon, dass wir es heute mit einem schrecklichen, „stückweisen“ Weltkrieg zu tun haben, und meint damit die vielen – inner- wie zwischenstaatlichen – Kriege in verschiedenen Ländern und Kontinenten, auch die Bürgerkriege mit internationaler Beteiligung, wie wir sie gerade unter anderem in Syrien und Jemen erleben.

Pirmin Spiegel ist Hauptgeschäftsführer von MISEREOR.

Pirmin Spiegel ist Hauptgeschäftsführer von MISEREOR. Foto: MISEREOR

Auch Terrorismus, Kriminalität und unvorhersehbare bewaffnete Übergriffe sowie Formen des Missbrauchs, denen z.B. Migrantinnen und Migranten sowie Opfer des Menschenhandels ausgesetzt sind, nennt der Papst als Quellen der Gewalt. Von Vorteil sei diese nur für „einige wenige ‚Herren des Krieges‘“. Auf diese Gewalt mit neuer Gewalt zu reagieren kann nach Überzeugung des Papstes nicht die Antwort sein. „Die Gewalt ist nicht die heilende Behandlung für unsere zerbröckelnde Welt. Auf Gewalt mit Gewalt zu reagieren führt bestenfalls zu Zwangsmigrationen und ungeheuren Leiden, denn große Mengen an Ressourcen werden für militärische Zwecke bestimmt und den täglichen Bedürfnissen der Jugendlichen, der Familien in Not, der alten Menschen, der Kranken, der großen Mehrheit der Erdenbewohner entzogen. Schlimmstenfalls kann sie zum physischen und psychischen Tod vieler, wenn nicht sogar aller führen.“ So der Papst. Die Antwort auf die Gewalt dieser Tage kann seiner Überzeugung nach nur Gewaltfreiheit als Stil einer Politik für den Frieden sein.

Diese Botschaft von Papst Franziskus zum 50. Weltfriedenstag könnte besser nicht passen in die politische Diskussion, die wir aktuell in Deutschland und Europa führen. Angesichts der großen Herausforderungen und der Tatsache, dass der Terrorismus auch in Deutschland angekommen ist, wird der Ruf nach härteren Gesetzen und nach der „Lösung“ von bewaffneten Konflikten durch den Einsatz militärischer (Gegen-)Gewalt lauter. Dabei ist nachgewiesen, dass der militärische Sieg einer Partei über eine andere für eine gewisse Zeit die Waffen vielleicht schweigen lässt, in der Regel aber nicht zu einem dauerhaften Frieden führt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kämpfe wieder aufflammen, ist hoch. Deshalb ist es so wichtig, beides im Auge zu haben: Sicherheit im engeren Sinne und das Ziel, die Waffen schweigen zu lassen; aber auch das Ziel eines dauerhaften Friedens, der menschlicher Sicherheit verpflichtet ist und der die Abwesenheit offener und direkter Gewalt UND die Abwesenheit struktureller Gewalt erfordert. Um es mit den Worten der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ zu sagen: wir brauchen eine Welt, in der alle Menschen „ohne Furcht und ohne Not“ leben können. Mit dem Beitritt zur UN erkennt jeder Staat diese Erklärung an – doch von der Umsetzung, so scheint es, entfernen wir uns gerade mehr, als wir ihr näher kommen.

Vom Frieden her denken – Gerechtigkeit schafft Frieden: Es ist höchste Zeit, den Fokus unseres Denkens zu verändern. Ein Perspektivwechsel ist angesagt. Statt von der auf Krisenreaktion fokussierten Sicherheitslogik müssen wir vom Frieden her denken und unseren Blick viel stärker als bisher auf bekannte und neue Möglichkeiten zur Gewaltprävention und auf zivile Maßnahmen der Krisenbearbeitung richten. Schon die üblicherweise verwendeten Begriffe führen in die Irre. Immer wieder hören und lesen wir, dass es um „Konfliktprävention“ gehe. Doch Konflikte sind nicht per se schlecht. Sie sind vielmehr Teil des alltäglichen Lebens und jeder Gesellschaft; und sie können Motor für nötige und sinnvolle Veränderung sein. Ohne Konflikte würden sich Gesellschaften nicht verändern. Es geht nicht darum, Konflikte zu vermeiden; es geht darum, sie ohne Anwendung von Gewalt und im gerechten Interessensausgleich zu bearbeiten und zu lösen. Dort, wo Menschen keine Lebensperspektive haben, wo die Jugendarbeitslosigkeit in Armut und Frustration führt, wo Gewalt und der reine Überlebenskampf das Leben in der Familie und der Gesellschaft bestimmt, finden auch extreme Ansichten aller Couleur und terroristische Ideologien reichen Nährboden. Ein zutiefst ungerechtes Weltwirtschaftssystem, das dazu führt, dass Wenige immer reicher und Viele immer ärmer werden, tut ein übriges, diesen Trend zu verschärfen und den dramatischen Zerfall staatlicher Strukturen weiter zu beschleunigen. 2030 werden Schätzungen der OECD zufolge mehr als 60 % aller Menschen, die in Armut leben, in Regionen zerfallen(d)er Staatlichkeit leben.

„Eine Welt, in der den meisten Menschen vorenthalten wird, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht, ist nicht zukunftsfähig. Sie steckt auch dann voller Gewalt, wenn es keinen Krieg gibt. Verhältnisse fortdauernder schwerer Ungerechtigkeit sind in sich gewaltgeladen und gewaltträchtig. Daraus folgt positiv: „Gerechtigkeit schafft Frieden“. So die deutschen Bischöfe bereits im Jahr 2000 in ihrem Hirtenwort „Gerechter Frieden“. Angesichts zunehmender politischer und gesellschaftlicher Entsolidarisierung in einer wirtschaftlich immer globalisierteren Welt sind Friedensethik, Friedenslogik und eine darauf aufbauende kohärente Friedenspolitik von existenzieller Bedeutung.

Friedliche und inklusive Gesellschaften fördern: Die im September 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) erkennen den engen Zusammenhang von Frieden und Entwicklung explizit an und haben im Ziel 16 erstmals ein eigenes „Friedensziel“ formuliert. Die „Förderung inklusiver und friedlicher Gesellschaften“ ist damit allen Regierungen ins Aufgabenbuch geschrieben. Die Integration der Friedensdimension in die Nachhaltigkeitsziele und in das ehrgeizige Transformationsprogramm, das mit der Agenda 2030 weltweit anerkannt wurde, –, verbindet, was nicht mehr getrennt gedacht werden kann und darf. Kulturelle, ökologische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung gehören zusammen.

Dass Friedensprozesse vor allem dann Aussicht auf langfristigen Erfolg haben, wenn es gelingt, alle Ebenen und Gruppen der Bevölkerung einzubeziehen, ist längst wissenschaftlich nachgewiesen. Obwohl sich seit Verabschiedung der UN-Resolution 1325 viel getan hat, werden jedoch Frauen leider nach wie vor von Friedensprozessen oft systematisch ausgeschlossen. Um das zu ändern, reicht es nicht, nur die Zahl der anwesenden Frauen am Verhandlungstisch zu erhöhen, sondern sie müssen auch gehört werden und Einflussmöglichkeiten auf den Prozess haben und. Deshalb sollten Frauen aktiv darin unterstützt und darauf vorbereitet werden, leitende Aufgaben auf den verschiedenen Ebenen von Friedensprozessen zu übernehmen. MISEREOR unterstützt einige Organisationen und Projekte – z.B. in Asien – die dies zum Ziel haben.

MISEREOR-Partnerorganisationen leisten in vielen Ländern einen wichtigen Beitrag, zum einen, um die Lebenssituation ihrer oft in extremer Armut lebenden Zielgruppe konkret zu verbessern, aber auch, um deren berechtigten Bedürfnissen und Interessen im Rahmen von Friedensverhandlungen auch auf höherer – nationaler oder internationaler Ebene – Gehör zu verschaffen. Sie beobachten Waffenstillstandsvereinbarungen, melden Verstöße oder sprechen direkt mit den jeweils verantwortlichen Konfliktparteien. Und sie schaffen sichere Räume, in denen Betroffene sich äußern und austauschen können, und Dialogforen, um mit allen Konfliktparteien ins Gespräch zu kommen – auch mit staatlichen Sicherheitskräften und mit bewaffneten Gruppen. Denn nur, wenn es gelingt, sie inhaltlich einzubeziehen, hat ein Friedensprozess Aussicht auf Erfolg. Nur die Berücksichtigung verschiedener Ansichten, einschließlich der von Minoritäten und benachteiligten Gruppen, ermöglicht eine robuste Analyse und die Erarbeitung nachhaltiger Lösungen. Immer wieder hören wir von unseren Partnern und erleben selbst, dass solche Bemühungen belohnt werden und Erfolg haben.

Mindestanforderungen an eine kohärente deutsche Friedenspolitik: Die Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung, die derzeit unter Federführung des Auswärtigen Amtes erarbeitet und in wenigen Monaten dem Kabinett zur Abstimmung vorgelegt werden sollen, haben den Anspruch, den neuen Herausforderungen Rechnung zu tragen, vor die uns der schreckliche „stückchenweise Weltkrieg“ des 21. Jahrhunderts stellt, von dem Papst Franziskus in seiner Friedensbotschaft spricht. Die Leitlinien haben vor allem – und nur dann – Aussicht auf Erfolg, wenn sie nicht in die Falle tappen, in erster Linie reaktiv Symptome zu bekämpfen, sondern eine Richtung und politische Strategie vorgeben, die zeigen, dass und wie Konflikte konstruktiv und mit zivilen Mitteln gelöst werden können und eine Eskalation in die Gewalt verhindert werden kann.

Sicherheit und Wohlstand der Menschen in den Industrieländern lassen sich nicht auf Kosten der Sicherheit und Überlebenschancen der Menschen aus anderen Regionen der Welt erkaufen. Grenzzäune werden nicht schützen. Vielmehr bedarf es einer auf das Weltgemeinwohl ausgerichteten Politik, die allen Menschen ein Leben in Würde ermöglicht. Eine solche Welt IST möglich. Die Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung sollten definieren, welchen konkreten Beitrag Deutschland leisten kann und will, um einer friedlichen und gerechten Welt einen Schritt näher zu kommen. Dazu sollten in den Leitlinien das längst nicht ausgeschöpfte Potenzial der zivilen Konfliktbearbeitung und Gewaltprävention in den Blick genommen und die nötigen finanziellen Mittel und Strukturen zur Stärkung der zivilen Konfliktbearbeitung ebenso vorgesehen werden wie konkrete Monitoring- und Evaluierungsinstrumente, die Erfolge und Misserfolge deutscher Friedens- und Sicherheitspolitik analysieren, damit daraus Lehren gezogen werden können. Die Zivilgesellschaft in Nord und Süd sollte bei der Umsetzung als Partner auf Augenhöhe einbezogen werden. Der Diskussionsprozess im Rahmen des PeaceLab2016 hat hierzu einen guten Anfang gemacht. Ob die Leitlinien sich an dem von Papst Franziskus geforderten „Stil einer Politik für den Frieden“ werden messen lassen können, wird vor allem davon abhängen, ob das Dokument von einem der Friedenslogik verpflichteten Denken bestimmt sein wird. Das lässt Sicherheitsbedarfe keinesfalls außer Acht. Aber Sicherheit wird darin als menschliche Sicherheit und als Teil von Frieden gedacht. Nicht umgekehrt.

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Pirmin Spiegel ist Hauptgeschäftsführer bei Misereor. Bevor er 2012 zu Misereor kam, war er 15 Jahre in Brasilien als Pfarrer tätig und bildete in verschiedenen Ländern Lateinamerikas Laienmissionare aus.

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