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Das Christkind im Autoreifen – Weihnachtszeit in Kolumbien

An die Weihnachtszeit habe ich seit jeher ganz bestimmte Vorstellungen und Erwartungen: Draußen kalt, drinnen ein schön geschmückter Weihnachtsbaum, um den sich die ganze Familie versammelt. Dieses Jahr gilt das zum ersten Mal nicht mehr, da diese gesamten „Zutaten“ fehlen. Wie lebt es sich stattdessen zur Weihnachtszeit in Kolumbien bei 35°C unter Kokospalmen, Mangobäumen und Bananenstauden?


Wer kennt es nicht, wenn die Kinder zur Adventszeit lachend singen: „Und wenn die fünfte Kerze brennt, dann hast du Weihnachten verpennt!“ Ganz so weit ist es bei mir dann zwar nicht gekommen. Doch ich muss zugeben, einigermaßen überrascht gewesen zu sein, als meine Eltern bei einem spontanen Videoanruf plötzlich vor einem Adventskranz saßen. Den deutschen Auftakt in die Vorweihnachtszeit hatte ich also gründlich vermasselt.

 
Allerdings habe ich zwei starke Argumente zu meiner Verteidigung: zum einen versetzt hochsommerliche Hitze aus Gewohnheit nicht in Weihnachtsstimmung. Zum anderen spielt der Advent in Kolumbien keine große Rolle, nur in einer Kirche entdeckte ich einmal ein kleines Adventskränzchen. Immerhin war für mich seitdem spätestens klar, dass dieses Weihnachten ganz anders wird.

 
Die Vorweihnachtszeit startete für mich in diesem Jahr am 8. Dezember. An diesem Tag wurde die weihnachtliche Beleuchtung im Zentralpark von Tierralta feierlich angeknipst. Teil dieses Events war ein kleines Konzert, bei dem ich einen Kinderchor bei der Präsentation einiger Weihnachtslieder auf dem Klavier begleitete. Zum Abschluss gab es dann zur Begeisterung der vielen anwesenden Kinder ein Feuerwerk.

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Mit dem Batuta-Chor im Zentralpark

In den folgenden Tagen gab es jedoch zunächst keine weiteren Festivitäten. Allerdings schmückten viele Menschen ihre Häuser mit blinkenden Lichterketten in allen erdenklichen Farben. Vereinzelt wurden sogar Straßen abgesperrt, sodass diese vollständig mit Girlanden überhangen werden konnten. Außerdem erhielt die Weihnachtszeit auch bei meiner Organisation Benposta Einzug: die Benposta-Jugendgruppen der einzelnen Stadtviertel Tierraltas bauten große Krippen in ihren Jugendhäusern auf. Wichtige Bedingung dabei war, dass dabei Plastikabfall verwendet wird, um auf die enormen Mengen achtlos weggeworfenen Plastikmülls hinzuweisen. So dienten beispielweise auch Autoreifen als Krippe und kunstvoll bemalte Plastikflaschen als Figuren.

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Die Krippe im Stadtviertel San José

Gebaut wurden die Krippen für die sogenannten Novenas (dieser Ausdruck leitet sich von der Zahl Neun ab). Das sind Gebetsandachten, die in den neun Tagen vor Heiligabend abgehalten werden. Ab dem 16. Dezember wurden also in den vier Stadtvierteln, in denen Benposta vertreten ist, diese Andachten abgehalten. In drei Zonen wurde um 5 Uhr morgens begonnen, in der vierten um 7 Uhr abends. Zu diesen Novenas kamen nicht nur sehr viele Kinder, sondern auch viele Eltern, sodass sich in einer einzelnen Zone bis zu 200 Personen versammelten. Gemeinsam wurde gebetet und gesungen. Außerdem wurde jeden Tag in Verbindung mit Bibeltexten ein bestimmtes Thema behandelt, das sich meist um das Zusammenleben in der Familie drehte. Nach der etwa einstündigen Andacht wurden die Kinder mit einer kleinen Erfrischung (z.B. ein Kakao mit Brot) belohnt.

 
Am 24. Dezember begannen die Novenas bereits um 4 Uhr morgens mit einem lauten Festumzug durch die jeweiligen Stadtviertel, um auf die Ankunft des Herrn aufmerksam zu machen. Mit Hupen, Rasseln und Kochtöpfen ausgestattet zog also der Benposta-Umzug los und riss die Anwohner aus dem Schlaf. Nach der anschließenden Abschlussnovena erhielten die Kinder noch ein von deutschen Spenden finanziertes Weihnachtsgeschenk. Viele Eltern haben nicht die Möglichkeit, ihren Kindern am Heiligen Abend etwas zu schenken, sodass Benposta sich darum sehr bemüht, den Kindern wenigstens eine kleine Freude bereiten zu können.

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Geschenkausgabe im Stadtteil El Rosario

Den Weihnachtsabend verbrachte ich im Stadtteil San José bei der einzigen Abendnovena Benpostas. Dort feierte die Benpostagemeinschaft Heiligabend mit einem traditionellen Abendessen, einem Festumzug und einer Messe. Im Anschluss besuchte ich mit meiner Mitfreiwilligen Johanna und einem unserer Chefs gegen Mitternacht den Zentralpark Tierraltas, wo es sehr voll war. Familien saßen in den Restaurants zusammen beim Abendessen, Freundesgruppen strömten in die Diskotheken und Pärchen machten Fotos unter den Weihnachtslichtern, begleitet von Latin-Rhythmen.

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Abendnovena im Stadtteil San José

Ja, dieses Weihnachten war ganz anders. Es war, besonders abends, eine laute Fiesta, eine Party. Das war ein sehr interessantes, neues Erlebnis für mich. Doch es hat mich auch die vertraute, besinnlichere Weihnachtszeit zu Hause schätzen gelernt. Und es hat mir gezeigt, was für ein Privileg ein Weihnachtsgeschenk ist!

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Felix absolvierte seinen Freiwilligendienst bei Benposta Nación de Muchachos Colombia in Montería, Kolumbien.

3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Lieber Peter, herzlichen Dank für deine Nachricht! Es freut mich sehr, dass du meinem Blog folgst… demnächst kommt dann auch nochmal ein Eintrag, versprochen 😉 Viele Grüße aus Kolumbien zu euch nach Bonn 🙂
    Liebe Uta, ja dieses Weihnachten war tatsächlich mal was ganz anderes. Aber es stimmt, die Weihnachtsmannmützen waren dann wieder etwas Vertrautes. Diese Mützen haben bei der Musikorganisation „Batuta“, bei der ich auch arbeite, eine lange Tradition und werden jede Weihnachten zum Konzert aus der Wühlecke hervorgeholt. Nach dem Konzert und den Fotos habe ich sie aber zügig wieder abgesetzt, da so eine Mütze bei 35 Grad nicht wirklich zur Erfrischung beiträgt 🙂 Liebe Grüße nach Aachen

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    Peter Mellis, Bonn 11.02.2017
    lieber Felix, immer wieder freut es mich, Interessantes von Dir zu lesen.
    Den Bildern folgend, fühlst Du Dich mit Deinem Anliegen sehr wohl.
    Du wirkst auf mich fröhlich und entspannt. Neuigkeiten erfahren wir durch Deine Eltern.
    Bleibe gesund, bis zum Wiedersehen, Grüsse aus Bonn!

  3. Avatar-Foto

    Lieber Felix,
    also, das finde ich mal eine super Idee: Krippen aus Müll. Das würde auch hier anstelle von Ochs, Esel und Kamel mal so richtig zum Nachdenken anregen. Ansonsten hört sich das tatsächlich ganz anders an, aber trotzdem auch schön. Von den „Novenas“ hatte ich noch nichts gehört bisher. Und dann möchte ich noch wissen: Wo habt ihr denn die Weihnachtsmannmützen her???
    LG, Uta

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