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Rio de Janeiro steckt nach Olympia in tiefer Krise

Nicht einmal sechs Monate nach den Olympischen Spielen sind die Stadt Rio de Janeiro und der gleichnamige Bundesstaat bankrott. Im Januar wurden die Zahlungen für Notunterkünfte und Pflegeheime eingestellt. Mehr als 100 soziale Einrichtungen, darunter auch einige von MISEREOR-Partnerorganisationen, sind von den radikalen Sparmaßnahmen betroffen. Ältere Menschen, Behinderte, Kinder und andere bedürftige Menschen sitzen wortwörtlich auf der Straße.

Proteste in Brasilien © MIDIA NINJA

In staatlichen Krankenhäusern fehlt es an wichtigen Medikamenten für Operationen und Chemotherapien, in Schulen an Reinigungsmitteln und Geld für Schulspeisungen und in manch einer Polizeistation an Benzin und Klopapier. Um Kosten einzusparen, wurde der Betrieb von U-Bahn und Schnellbussen eingeschränkt, der Fahrbetrieb der Seilbahn in die Favela „Komplex Alemão“ wurde auf unbestimmte Zeit gar ganz eingestellt. Als im November der amtierende Gouverneur, Luiz Fernando Pezão, ankündigte, die Löhne im öffentlichen Sektor zu kürzen und dazu noch in Raten auszuzahlen, stürmten Staatsbedienstete, darunter Ärzte und viele Polizisten, das Landesparlament. Etwa 200.000 Angestellte sind von den Kürzungen betroffen, die Parlamentarier selber aber nicht. Anfang Januar verkündete der Rektor der UERF, mit 35.000 Studenten eine der größten Universitäten des Landes, dass man kurz davor stünde, die Türen von Universität und Universitätskrankenhaus zu schließen. Schon seit November stehen die Zahlungen für Gehälter, Stipendien und andere Kosten aus. Schüler besetzen seit Monaten öffentliche Schulen, um auf Missstände und ihre Rechte auf Bildung aufmerksam zu machen.

Korruption in Brasilien auch bei Olympia

Schlagzeilen in der ganzen Welt machten im November die Verhaftungen der beiden ehemaligen Gouverneure von Rio, Anthony Garotinho und Sérgio Cabral (Parteigenosse von Präsident Temer in der PMDB). Ihnen wird Korruption und Veruntreuung von Staatsgeldern vorgeworfen. Cabral, der von 2007 bis 2014 den Bundesstaat regierte, soll mit seiner Schieberbande umgerechnet  65 Millionen Euro  aus den Mega-Bauprojekten, darunter auch WM- und Olympiabauten, unterschlagen haben. Die Tageszeitung US-Today berichtete in ihrer Internetausgabe vom 02.12.2016, dass in Rio durch Misswirtschaft, Korruption und Kosten zur Ausrichtung des Mega-Sportevents insgesamt ein Schuldenberg von mehr als 107 Milliarden Real,umgerechnet etwa 31 Milliarden Euro, aufgehäuft wurde. Nach einer Studie der Universität Oxford kostete allein die Austragung der Olympischen Spiele 4 Milliarden Euro, weitere Milliarden kommen für die Baumaßnahmen anlässlich der WM dazu. Die Versprechen von Politikern, welche Rio de Janeiro goldene Zeiten vorausgesagt haben, stellen sich als trügerisch und falsch heraus. Rio de Janeiro steht vor einem Scherbenhaufen und es fehlt an einem guten Plan, um aus diesem Schlamassel herauszukommen.

Die Armen werden zur Kasse gebeten

Ähnlich wie bei dem in Brasilien heftig kritisierten Sparprogramm des nicht gewählten Staatspräsidenten Michel Temer setzt Rios Gouverneur Pezão darauf, sich das fehlende Geld vor allem von den Armen zu holen. Sozialleistungen werden gekürzt oder gestrichen, Gesundheitszentren und soziale Einrichtungen geschlossen, Fahrpreise und Steuern erhöht. Dies ist nicht nur nach Ansicht vieler Experten der falsche Weg. Sowohl in Rio als auch im Rest von Brasilien ist davon auszugehen, dass durch die Kürzungen von Sozial- und Gesundheitsleistungen die Armut auf der einen und der Unmut der Bevölkerungen auf der anderen Seite rapide ansteigen werden.

Rio de Janeiro –  Favela Nova Holanda (Tomaz Silva/Agência Brasil)

Die Kriminalität in der „Cidade Maravilhosa“ ( „Wunderbare Stadt“), wie die Cariocas gerne ihre Stadt nennen, hat es bereits im Jahr 2016 getan. In den ersten neun Monaten wurden 4110 Ermordungen in der Stadt registriert, 18 % mehr als im Vorjahr. Bei den Diebstählen lag der Anstieg sogar bei 48 %, insgesamt über 100.000 Kriminaldelikte!  Und dies trotz des sehr teuren und aufwändigen Einsatzes von mehr als 70.000 Streit- und Sicherheitskräften während der Olympischen Spiele – die dann aber woanders fehlten. Rivalisierende Drogenbanden und paramilitärische Gruppen, zu denen auch viele Polizisten zählen, tragen offene Straßenkämpfe um Territorien aus, die sich längst nicht mehr nur auf die Favelas der Stadt begrenzen. Bei den Territorialkämpfen geht es nicht nur um das Drogengeschäft, sondern vor allem um andere lukrative Einnahmequellen wie Erpressungen, Schutzgeldforderungen als auch Gebührenerhebung für Basisleistungen wie Wasser und Gas oder illegale TV-Signale. Das von der internationalen Presse hochgelobte Befriedungsprogramm der knapp 700 Favelas ist gescheitert. Die Stadt befindet sich im tiefen Morast. Und nicht nur in der Guanabara-Bucht, in der vor wenigen Monaten noch die olympischen Segelwettbewerbe ausgetragen wurden, stinkt es trotz teurer Sanierungsmaßnahmen an einigen Stellen bereits genauso wie vorher.

Maracana-Stadion verrottet

Um die olympischen Sporttempel selbst ist es in den vergangenen Monaten ruhig geworden. Hoch bejubelt wurden die ambitionierten Nachhaltigkeitspläne von IOC und Präfektur, die vorsahen, den Olympiapark sowie andere Sportstätten in Freizeitparks, öffentliche Schwimmbäder und für die Bevölkerung zugängige Sporteinrichtungen umzuwandeln. Jetzt ist ausgerechnet das Maracana-Stadion, das Mekka des brasilianischen Fußballs, in die Schlagzeilen geraten. Braune, trockene Flecken breiten sich wie Pilze über den nicht gewässerten Rasen aus. Im ganzen Stadion staut sich der Müll, Sitzschalen verkommen in den Katakomben, der Putz fällt von den Wänden. Nach Berichten der britischen Zeitung „Sun“ wurden mehr als 7000 Sitze entwendet. Stadionbetreiber und IOC liegen im Clinch. Der IOC hatte die Auflage, das Stadion so zu übergeben, wie er es vorgefunden hatte. Das ist nicht geschehen. Wenn es nicht einmal gelingt, das beliebteste Stadion Brasiliens in Stand zu halten, schließt sich die Frage an, wie man bei leeren Haushaltskassen die bei der Eröffnungsfeier der Olympiade emotional dick aufgetragene Nachhaltigkeit der vielen anderen Sportstätten umsetzen will? Die Olympischen Spiele in Rio laufen Gefahr, als Spiele der leeren Phrasen in die Geschichte einzugehen, die nicht den wirtschaftlichen Aufschwung, sowie Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit fördern sondern stattdessen Gewalt, Armut und Ungleichheit in Brasilien weiter vorantreiben. IOC und FIFA müssen sich zunehmend Fragen über die Mitverantwortung für das Chaos nach den Spielen von Rio gefallen lassen.

Über den Autor: Stefan Kramer leitet die MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia.

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Stefan Kramer leitet die MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia/Brasilien.

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